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Trauerschwäne stammen aus Australien, sind aber auch in Europa kein ungewöhnlicher Anblick mehr.

Foto: REUTERS/Joel Boh

Melbourne – Niemand dürfte von einem Studienergebnis überrascht sein, das besagt, dass Schwäne in der Stadt weniger menschenscheu sind als ihre Artgenossen auf dem Land. Allerdings liegt es nicht an einem simplen Gewöhnungseffekt, berichten australische Forscher im Open-Access-Journal "BMC Evolutionary Biology". Der Zusammenhang dürfte doch ein bisschen komplizierter sein als gedacht.

Für ihre Studie untersuchten die Forscher der Victoria University, der Deakin University und der University of Melbourne Populationen von Trauerschwänen (Cygnus atratus). Diese schwarze Schwanenart ist in Australien heimisch, wurde aber mittlerweile auch in Europa angesiedelt. Eine der untersuchten Populationen lebte in einer urbanen Parklandschaft, die andere 30 Kilometer entfernt von besiedelten Gebieten.

Zweistufiger Vergleich

Durch vorsichtige Annäherung maßen die Forscher zunächst die Fluchtdistanz der Schwäne. Wie erwartet war diese bei Stadtschwänen niedriger – sogar in beträchtlichem Ausmaß: Sie ließen Menschen bis auf 13 Meter an sich heran. Die Landschwäne hingegen ergriffen schon bei einer Entfernung von 96 Metern die Flucht.

Zusätzlich entnahmen die Forscher aber auch Blutproben in beiden Populationen, um Gen-Analysen durchführen zu können. Insbesondere die für den Dopamin-Rezeptor D4 (DRD4) und den Serotonintransporter (SERT) zuständigen Gene interessierten sie, da diese mit Angst- und Vermeidungsreaktionen in Verbindung gebracht werden.

Im Fall von SERT zeigten sich keine Unterschiede zwischen den Schwanengruppen – bei DRD4 hingegen wichen Stadt- und Landschwäne voneinander ab. Eine DRD4-Variante, die 89 Prozent der Stadtschwäne aufwiesen, kam bei den Landschwänen nur zu 60 Prozent vor. Und in beiden Populationen hatten Tiere mit dieser Variante eine kürzere Fluchtdistanz als ihre Artgenossen mit einem anderen Genotyp. Die Forscher schließen daraus, dass das Verhalten der Tiere zumindest teilweise genetisch bedingt ist.

Zuzug und Stadtflucht

Und warum sind die Stadtschwäne nun mutiger? Weil sich nur die von Geburt an Mutigen in Stadtgebieten dauerhaft niederlassen, so die Folgerung aus der Studie. Es sind sehr mobile Tiere, die zwischen verschiedenen Lebensräumen wechseln. Ein Schwan, der sich in der Nähe von Menschen nicht wohlfühlt, wird also früher später aufs Land wechseln. Ein mutiges Exemplar, das aus einem Landei geschlüpft ist, kann hingegen in die Stadt ziehen, wenn ihm die dortigen Lebensbedingungen günstig genug erscheinen.

Diese Studie gilt für eine konkrete Spezies – eben Trauerschwäne. Studienleiter Wouter von Dongen glaubt jedoch an verallgemeinerbare Aspekte: So könnte es bei Nachzucht- und Auswilderungsprogrammen sinnvoll sein, Tiere genauer auf ihre vorsichtige bzw. mutige Veranlagung zu untersuchen, um sie nur in solchen Lebensräumen auszusetzen, die ihren Bedürfnissen entgegenkommen. (jdo, 26. 12. 2015)