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Das ambulante Gewerbe sorgt in Griechenland regelmäßig für Konflikte mit den Behörden.

Foto: EPA

Verraucht ist die Geschichte noch keineswegs. Giorgos Dimou, der Maronibrater aus Thessaloniki, hat am Tag nach seiner Verurteilung wieder sein Wagerl trotzig in eine der Einkaufsstraßen von Thessaloniki gezogen, die griechische Fahne am Metallkasten und ein paar Kilo Kastanien auf der Ofenplatte. Passanten fotografieren ihn mit dem Handy, man spricht ihm aufmunternd zu, eine Aktivistengruppe verteilt Flugblätter mit einem Solidaritätsaufruf für den 62-jährigen Straßenverkäufer in der Militärjacke.

Sechs Monate Gefängnis auf Bewährung hat der Maronibrater abbekommen und noch einmal 10.000 Euro Strafe zu seinem Schuldenberg, den er bei Finanzamt und Sozialversicherung über die Jahre angehäuft hat – knapp 150.000 Euro. Sieben Polizisten haben ihn Mitte des Monats in einer Kommandoaktion in flagranti beim Maronibraten ohne Lizenz gestellt. Es ist eine griechische Geschichte über Unrecht, den kleinen Mann und die ganz normalen Tricksereien mit dem Staat.

Griechen aufgebracht

Doch dieses Mal regiert die Linke in Athen und in Thessaloniki, der zweitgrößten Stadt des Landes, ein anerkannter Reformer: Yannis Boutaris, der Winzermillionär und linksliberale Philanthrop. Die Maronibrateraffäre hat viele Griechen aufgebracht

Mit zweierlei Maß misst der Staat, heißt es. Die großen Steuerhinterzieher und Schmiergeldzahler lässt er laufen, die Kleinen aber hängt man. Leute wie Giorgos Dimou eben. "Da haben wir also die Erklärung für unser 400-Milliarden-Euro-Loch", spottete ein Twitterschreiber über die staatliche Exekution an dem Kastanienröster.

Die große Erschöpfung

Drei enorme Rettungskredite hat Griechenland wegen seiner Staatsverschuldung aufnehmen müssen. Den vorerst letzten in diesem Sommer nach einer monatelangen Politoperette, bei der das linksgerichtete Kleinparteienbündnis Syriza, ganz neu an der Macht, erst die Befreiung des griechischen Volks von den Gläubigern verkündete, die Eurofinanzminister mit halbfertigen Papieren zur Weißglut brachte und dann doch in die Knie ging. Jetzt herrscht ein Gefühl der Erschöpfung. Zwei Parlamentswahlen und ein Volksentscheid in einem einzigen Jahr haben auch nur wieder ein Sparprogramm gebracht.

In der letzten Kabinettsitzung vor den Feiertagen schwor Alexis Tsipras Prinzipientreue und Unnachgiebigkeit. Eine Kürzung der Hauptpensionen werde es mit ihm nicht geben, sagte er seinen Ministern. Das muss es auch nicht: Die Gläubiger, allen voran der Internationale Währungsfonds, wollen am System der Zusatzpensionen streichen, das der Staat bisher mitfinanziert, weil die Kassen schon lange kein Geld mehr haben.

Riskantes Unterfangen

Mitte Jänner will die Regierung ihren Plan für eine Pensionsreform ins Parlament bringen. Es gilt als das politisch riskanteste Unternehmen für die Koalition, die nur noch drei Stimmen Mehrheit hat. Es geht um soziale Gerechtigkeit und vorderhand um Leute wie den Maronibrater Dimou. Der hat erst mit einem Ordner, dann mit Esskastanien auf die Beamten geworfen, sagte ein Polizist in der Verhandlung aus. Die Anzeige gegen den Röster kam von einem anderen Verkäufer, berichteten griechische Medien. So viel zur Solidarität im Volk. Dimou hatte schon seit 2007 keine Lizenz mehr für sein Geschäft.

Ganz stimmt die Sache mit den Großen und den Kleinen in Griechenland auch nicht mehr. Allein in diesen Tagen hat die Justiz zwei Korruptionsaffären aufgerollt. Bei der einen geht es um das Außenamt, das Anfang 2000 unter angeblich fragwürdigen Umständen 900.000 Euro an eine NGO weiterreichte. In einer anderen Gerichtssache kommt ein 600 Millionen Euro schwerer Rüstungsdeal zur Verhandlung. Und Hervé Falciani, der Aufdecker der HSBC-Bank, gab der Regierung soeben eine Schwarzkontenliste. In Thessaloniki bat Bürgermeister Boutaris derweil den Maronibrater zu sich. Vielleicht findet sich doch noch eine neue Lizenz zum Rösten. (Markus Bernath aus Athen, 27.12.2015)