Lange Zeit war so wenig über die Omurawale bekannt, dass ihre Existenz als eigenständige Art auch nach der Erstbeschreibung 2003 umstritten war.

Neue Studien räumen alle Zweifel aus .

Woods Hole / Wien – Nur wenige Kilometer vor der Küste der Halbinsel Apinsidava im Nordwesten Madagaskars tummeln sich allerhand große Fische und Wale. Kein Wunder, denn das Plankton gedeiht in dieser Meeresregion bestens. Einzellige Algen vermehren sich rapide und dienen riesigen Schwärmen von Kleingetier als Futter. Die oberen Wasserschichten sind manchmal sogar gelblich gefärbt vor lauter Leben, berichtet der Biologe Salvatore Cerchio.

Hauptursache für das üppige Nahrungsangebot ist der steil abfallende Meeresboden. Dort spült kaltes, nährstoffreiches Tiefenwasser ins Flache. Die Algen werden dadurch regelrecht gedüngt und bilden so die Basis eines dynamischen Ökosystems, das Cerchio von der Woods Hole Oceanographic Institution in Massachusetts seit 2007 erforscht.

Genetischer Nachweis

Im August 2011 sichtete er mit Kollegen vom Boot aus eine zehn Meter lange Walmutter und ihr Kalb, später tauchte noch ein drittes Exemplar auf. Man hielt sie für Brydewale. In den folgenden Jahren beobachteten die Forscher immer wieder solche Tiere, doch kamen Zweifel auf. Waren das wirklich Brydewale? Die asymmetrische Färbung der Unterkiefer, links dunkel, rechts hell, passte nicht zu dieser Art. Sie erinnerte eher an die viel größeren Finnwale.

Genetische Analysen von Gewebeproben brachten schließlich Gewissheit: Das Team hatte zum ersten Mal lebende Omurawale entdeckt. Bisher hatten Biologen nur sterbliche Überreste des Balaenoptera omurai zu Gesicht bekommen. Die Art wurde 2003 erstmals beschrieben – auf Basis von Erbgut aus den Knochen einiger durch japanische Walfänger getöteter Exemplare.

Es folgten vereinzelte Meldungen über gestrandete Omurawale, aber keine Lebendbeobachtungen. Wie konnten bis zu zwölf Meter lange Meeressäuger so lange versteckt bleiben? "Es sind tropische Tiere, die in ziemlich entlegenen Teilen der Welt leben", sagt Cerchio. Wenn dennoch welche gesehen wurden, verwechselte man sie vermutlich mit verwandten Arten wie dem Brydewal. Nun hat sich die Datenlage drastisch geändert. Vor zwei Monaten veröffentlichten Cerchio und Kollegen einen umfassenden Untersuchungsbericht im Fachblatt Royal Society Open Science. Seither waren sie wieder vor Ort, um weitere Daten zu sammeln – und sichteten fünf Mutter-Kalb-Paare.

Atlantische Population

Die madagassischen Omurawale verbringen wohl den Großteil des Jahres in den flachen Küstengewässern. Vermutlich bringen die Weibchen dort auch ihre Jungen zur Welt. Dass sich die Riesen vor allem von Zooplankton ernähren, wird durch Unterwasservideoaufnahmen bestätigt.

Die genetischen Analysen offenbaren indes ein weiteres Detail: Das Erbgut der Omurawale weicht stärker als bisher vermutet von jenem anderer Balaenoptera-Spezies ab. Sie sind demnach gar nicht so nah mit Brydewalen verwandt. Das Vorkommen von Balaenoptera omurai scheint zudem nicht auf den indopazifischen Raum begrenzt zu sein.

An der Küste Mauretaniens wurde 2013 ein totes Jungtier angespült. Das vermutlich erst wenige Monate alte Exemplar sei wohl kaum um halb Afrika herumgeschwommen, von Madagaskar wären es rund 11.000 Kilometer, sagt Jean-Luc Jung von der Universität der Westbretagne in Brest, der den Kadaver damals untersuchte. Vor Westafrika dürften die Lebensbedingungen für Omurawale durchaus günstig sein. Auch hier strömt Tiefenwasser an die Meeresoberfläche und kurbelt das Planktonwachstum an. "Wir glauben, dass es auch eine atlantische Population gibt", sagt Jung. (Kurt de Swaaf, 25.12.2015)