Nicht alle Abenteuer führen zu anderen Lebenswelten: Charlie Brown und Snoopy in "Die Peanuts", ...

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... das Mädchen Saoirse und Entourage in "Die Melodie des Meeres".

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Wien – Unzulänglichkeiten sind niemandem ganz fremd. Nicht einmal Ronald Reagan. Der ehemalige US-Präsident, den man nicht eben für seine Handlungsschwäche in Erinnerung hat, bekannte einmal freimütig gegenüber dem Erfinder der Peanuts, Charles M. Schulz, sich mit Charlie Brown identifiziert zu haben. Brown, leicht zu erkennen am charakteristischen Löckchen auf der Stirn, bildet das zaudernde Zentrum von Schulz' handgezeichneter Suburbiawelt. Ein Pechvogel, wie er im Buche steht, mit beschädigtem Selbstwertgefühl ("Ich bin nichts!") – und gerade deshalb so liebenswert.

Wie immerwährend die Zuneigung zu Brown und den Peanuts ist, wurde an den weltweiten Reaktionen auf Schulz' Tod im Jahr 2000 ersichtlich. Das Projekt, die schön typisierte Gemeinschaft von Lucy, Linus, Peppermint Patty, Schroeder und Hund Snoopy für das Kino zu adaptieren, in digitaler Technik und 3-D, musste man dennoch mit Skepsis aufnehmen. Kann der Charme der Vorlage, der in der Kunst der grafischen Zurückhaltung liegt, gegen den attraktionsgeladenen Gestus modernen Zeichentricks bestehen, wenn nicht gerade jemand wie Wes Anderson – noch ein bekennender Fan – die Regie übernimmt?

Entwarnung: Steve Martino, der schon einen Dr.-Seuss-Film mitbetreute, hat die Aufgabe durchaus ordentlich bewerkstelligt. Man sieht Peanuts – Der Film sogar an, wie sorgfältig man sich an die Vorgaben gehalten hat (am Drehbuch haben Sohn und Enkel Schulz mitgeschrieben): von kleinen Details wie Snoopys Stimme, für die das Originalgekläff von Bill Melendez recycelt wurde, über hübsche Reverenzen an den Zeichenstift bis zu den luftig arrangierten, schablonenartigen Umrissen der Umgebung, dazu da, den Figuren und ihren Spleens genug Raum zu gewähren. Die 3-D-Technik kommt, abgesehen von ein paar gelungenen optischen Gags, vor allem bei Snoopy zur Geltung. Der selbstsichere Beagle fantasiert Luftschlachten aus dem Ersten Weltkrieg, in denen er sich gegen den Roten Baron behaupten kann, eine Parallelhandlung, die auf Dauer allerdings monoton wird.

Einsatz des Profiteams

Wie gut, dass ohnehin Charlie Brown im Mittelpunkt steht. Verliebt in das Mädchen mit den roten Haaren, hadert er mit seinem Mangel an Mut, diesem auch Avancen zu machen. Wo andere Kinder- und Teenagerfilme plausible Figuren erst neu erfinden müssen, schöpft Peanuts aus einem Profiteam, wenngleich man Lucys schnippische Kommentare gerne öfters gehört hätte. Noch in der merkbar gestreckten Handlung von Charlies Eroberungsplänen behält der Film eine sequenzielle Logik bei. Statt wie aus einem Guss zu wirken, zerbricht er in Einzelstücke, in Sketches, die unterschiedlich treffsicher ausfallen, aber auch selten ganz danebenhauen.

Ungleich ambitionierter und abgerundeter mutet hingegen Die Melodie des Meeres (Song of the Sea) an, der vor wenigen Wochen auch mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet wurde. Der Ire Tomm Moore entpuppt sich darin als Wahlverwandter des japanischen Zeichentrickmeisters Hayao Miyazaki. Wie in dessen Ponyo – Das große Abenteuer am Meer erzählt auch Moore von einem Mädchen, das zu einer Grenzgängerin zwischen den Welten des Meeres und der Erde wird.

Die kleine Saoirse ist eine Selkie, eine Figur aus der Fabelwelt, die sich im Wasser in einen Seehund verwandelt. Ihre Identität muss sie jedoch selbst erst entdecken. Ein abenteuerlicher Weg in die spirituelle Parallelwelt beginnt, in der sie ein ganzes Arsenal an Fabelwesen aus ihrer versteinerten Existenz retten soll, unterstützt von ihrem größeren Bruder Ben (und Schäferhund Cu) und geleitet von der von Bruno Coulais komponierten Folk-Musik, die den Film mitprägt.

Die Melodie des Meeres ist das rare Beispiel eines Animationsfilms, der den Reiz seiner betörend einfallsreichen Figuren – etwa eines Unterwassererzählers, der seine Geschichten auf seinen Haaren gespeichert trägt – durch seine visuelle Umsetzung in Wasserfarben und sanft abstrakten Formen noch zu steigern weiß. Man sinkt ab in ein irrlichterndes Sagenreich, in dem nicht der vordergründige Effekt, sondern der Schmerz des Verlusts, die Freude über Wiedererlangtes zum Fundament des Filmerlebnisses werden. Wo Peanuts mit der gemeinen Welt seine Späße treibt, entdeckt dieser Film die darin schlummernden Wunder. (Dominik Kamalzadeh, 24.12.2015)