Der Syrer Sami Idris (mit Sohn) ist auch nur auf Kurzbesuch im top ausgestatteten Lager Slavonski Brod gewesen. Seine Herbergssuche endet in Deutschland – wie bei so vielen.

Foto: Adelheid Wölfl

An der Aperitif-Bar haben jetzt World Vision und Ärzte ohne Grenzen ihre Büros. Dort, wo früher der Friseursalon war, ist heute ein Schild mit einem roten Kreuz und einem Arzt mit Stethoskop angebracht. Eine reale Ärztin in grünem Mantel steht davor und telefoniert unentwegt. Ein paar Flüchtlingshelfer erzählen, wie ein junger Mann in die Krankenstation gebracht wurde, weil er sich Hilfe suchend umgeschaut hatte.

Als die Ärzte ihn behandeln wollten, versuchte er verzweifelt zu erklären, dass er nur sein Handy aufladen wolle. Tatsächlich ist die Reise von Griechenland nach Slowenien für viele eine fortwährende Suche nach Steckdosen. Denn das Wichtigste in den Herbergen auf dem Weg ist, dass man mit den Zuhausegebliebenen oder denen, die bereits in Deutschland angekommen sind, facebooken und whatsappen kann.

An der Rezeption des früheren jugoslawischen Motels in Adasevci überwachen Beamte des serbischen Flüchtlingskommissariats das Geschehen. "Sie dürfen hier nicht arbeiten", sagt einer von ihnen und weist Journalisten aus dem Flüchtlingszentrum. Der serbische Staat war von Anfang an in der Flüchtlingsfrage präsent.

Die Busse, die die Leute von der mazedonischen Grenze hierher an die kroatische Grenze bringen, sind privat organisiert, und die Flüchtlinge müssen dafür zahlen. Doch die Behörden beobachten den Verlauf der Dinge, und ab und zu kommt ein strenger Ton zum Vorschein, der wie aus einer anderen Zeit zu kommen scheint. Ebenso wie die roten Plastiklampen in dem Motel, die abgewetzten braunen Stoffbezüge der Sessel und die schrägen Buchstaben, die darauf hinweisen, dass es links weiter zu den "Rooms, sobe, Zimmern" geht. Früher haben hier wohl Touristen geschlafen.

Seifenblasen für Kinder

Hinter der Rezeption hat ein Kind ein Bild mit einer großen Moschee gemalt, mit einem Halbmond auf dem Dach, daneben eine Sonne und ein Mensch mit Luftballonen. Vor dem Motel warten ein paar Flüchtlingshelfer auf die Busse mit Neuankömmlingen. Als ein paar Kinder aussteigen, gehen die Flüchtlingshelfer auf sie zu und blasen ihnen Seifenblasen entgegen. Doch die Kinder sind müde und frieren und interessieren sich nicht für Seifenblasen und Flüchtlingshelfer.

Die Reise über den Balkan und Mitteleuropa nach Deutschland geht mittlerweile so rasend schnell, dass es keine Zeit zum Ausruhen oder Schlafen gibt. Innerhalb von drei Tagen fährt man per Bus und Zug aus Griechenland nach Österreich. Noch vor ein paar Wochen dauerte die Reise eine Woche.

An der Autobahn in Adasevci, hinter dem Motel, werden gerade große weiße Baracken aufgebaut. Zurzeit werden diese Herbergen aber nicht gebraucht, denn pro Tag kommen jetzt "nur" 2000 bis 4000 Flüchtlinge – sodass niemand bleiben und warten muss. In Adasevci wird aber offenbar für den Frühling geplant, und man erwartet, dass dann wieder viel mehr Menschen die Fluchtroute nutzen. Seit dem 3. November müssen die Flüchtlinge auch nicht mehr zu Fuß von Serbien nach Kroatien gehen, sondern werden direkt in kroatischen Zügen nach Slavonski Brod gebracht.

Die kroatischen und die serbischen Behörden haben quasi einen Weihnachtsfrieden geschlossen und ein Abkommen getroffen. Vergessen ist der Sommer, in dem noch heftigst gestritten wurde. Kroatien sperrte damals sogar seine Grenze für die Lkws, die aus Serbien kamen, und der kroatische Premier Zoran Milanovic verglich Serben mit "Fliegen", mit denen sich "Adler" wie die Kroaten nicht abgeben würden. Jetzt ist es in Südosteuropa kalt, aber entspannt.

"Das Schwierigste für uns sind die großen Erwartungen", sagt Francesca Bonelli vom UNCHR. Fragt man die jungen Flüchtlinge, was sie in Deutschland wollen, sagen viele: studieren. Sie zweifeln nicht daran, dass dies möglich sein wird. Sie zweifeln auch nicht daran, dass sie in Deutschland leben werden können. In Adasevci bleiben nur die wenigsten, entweder weil sie krank oder weil sie hochschwanger sind. Bonelli erzählt, dass bereits vier Babys hier zu Welt kamen.

Das beste Lager auf dem Weg

Die nächste Herberge ist mit dem Zug in einer Stunde zu erreichen: Slavonski Brod an der Sava, eine schöne kleine Stadt. Die Kroaten sind stolz auf ihr "Winterlager". Sie fragen: "Ach, Sie sind doch sicher gekommen, um unser Lager anzusehen? Es ist gut, oder? Es ist das beste, oder?" Ja, es ist wirklich gut. Alles ist durchorganisiert in Slavonski Brod. Kroatien ist immer darauf bedacht, zu beweisen, wie europäisch es ist – und ein bisschen besser als die Nachbarn auf dem Balkan.

Wer aus dem Zug aussteigt, sieht zuerst die riesige digitale Anzeigetafel, auf der Anweisungen auf Arabisch stehen. Dahinter können die meist muslimischen Flüchtlinge einen riesigen Christbaum bewundern, auf dem die Hilfsorganisationen ihre Weihnachtspackerln, inklusive Eigenwerbung, aufgehängt haben – in Slavonski Brod gibt es 19 NGOs.

Dann werden die Leute in die grünen Registrierzelte geleitet. Jeder muss an einem Beamten vorbei. Name, Herkunftsland, Ehepartner, Kinder. Das Ganze erinnert an eine Volkszählung – fast wie jene weltberühmte vor mehr als 2000 Jahren.

Kanada wirbt um Junge

Wer aus dem Registrierzelt herauskommt, bekommt Tee verabreicht, kann in eines der blauen Toilettenhäuschen und bekommt eine blaue Ikea-Tasche. Mit der wird er weiter in eine Art "Weihnachtszelt" mit Geschenken geleitet. Links bekommt man Hosen, Schuhe, Anoraks, Decken, Matten, rechts Hipp-Gläser für Babys. Am Ende wartet ein junger, freundlicher Herr und verteilt Zettel.

"Canada, my new home" steht darauf. Angepriesen werden eine permanente und rasche Niederlassung, die sofortige Möglichkeit zu arbeiten, Wohnungen, Englisch- und Französischkurse, Schulen für Kinder, Sozialversicherung und vier Jahre später die Staatsbürgerschaft.

Auf dem Prospekt ist eine glückliche syrische Familie in hellen T-Shirts zu sehen. Voraussetzungen sind ein Universitätsabschluss oder eine Berufsausbildung und eine einjährige Arbeitserfahrung, Englisch oder Französisch müssen die Bewerber, wenn sie ansuchen, aber bereits auf gehobenem Niveau sprechen, Level B2. Und sie dürfen nicht älter als 40 Jahre alt sein. Kanada will die Gebildeten und Jungen herauspicken.

Kaum mehr Englischkenntnisse

Von den Leuten, die jetzt gerade auf der Fluchtroute sind, sprechen aber nur mehr die wenigsten Englisch. Im Juli und August kamen noch mehr Leute mit höherem Bildungsniveau. Nach dem "Weihnachtszelt" kann man noch in ein Zelt gehen, wo Kindergartenpädagoginnen zwischen Spielzeug warten. Zum Spielen bleibt aber keine Zeit, genauso wenig, um die Duschen zu nutzen oder sich im eigens eingerichteten Gebetszelt niederzuknien. Der Zug wartet bereits darauf, die Migranten nach Slowenien zu bringen.

Prinzipiell könnten in Slavonski Brod 5000 Personen übernachten – doch die Flüchtlinge bleiben nur etwa zwei Stunden hier. Der Syrer Sami Idris ist mit seiner Frau, einer Tochter und einem Sohn Richtung Berlin unterwegs. Er kommt aus Damaskus und hat seinen Stadtteil durch einen Tunnel verlassen.

An der türkischen Küste hielt ein Schlepper Sami Idris eine Pistole an die Schläfe, weil er sich zunächst nicht mit weiteren 60 Leuten in das Schlauchboot setzen wollte, das nur für 15 Menschen zugelassen war. Die Schmuggler werden immer brutaler, auch weil die türkische Küstenwache strenger kontrolliert.

In Berlin warten bereits zwei weitere Kinder auf die Familie Idris. Spätestens zu Weihnachten wird es ein Familienzusammenführungsfest geben. Als die Flüchtlinge im Zug sitzen, singt ein Rot-Kreuz-Mann durch ein Megafon arabische Lieder, und einige singen mit. Sie winken aus den Fenstern. Weiter geht es nach Slowenien. Der Korridor funktioniert. Weil keiner mehr zu Fuß die Grenzen überquert und in jedem Land registriert wird, ist die Kontrolle besser. Vor ein paar Wochen noch irrten Flüchtlinge an der slowenischen Grenze herum.

Zaun gegen Überforderung

Der Zaun an der Grenze zwischen Kroatien und Slowenien ist bereits 135 Kilometer lang. Kürzlich verzierten ihn Anrainer aus Protest mit Christbaumkugeln und spielten über ihn hinweg Volleyball. Alte Leute begannen zu weinen – zuletzt hatte es hier unter den italienischen Faschisten einen Zaun gegeben. Zusätzlich können nun manche Tiere wegen des Zauns nicht mehr zu ihren Wasser- oder Weidestellen. Und einige sterben, weil sie sich im Stacheldraht verfangen.

Der Zaun markiert die Schengenzone. Slowenien baut ihn, um die Grenze schließen zu können und Überforderung zu vermeiden. Doch die Flüchtlinge, die alle innerhalb des Korridors nach Slowenien reisen, bemerken jetzt gar nichts von dem Zaun. Im Bahnhof in Dobova warten Polizisten vor einem schicken Weihnachtsbaum mit goldenen Kugeln, die glänzen wie die Zukunftsvorstellungen vieler, die hier ankommen.

Im Lager selbst sitzen Beamte vor schicken Flatscreens. Die technologische Ausstattung ist beeindruckend – etwa im Vergleich zu Mazedonien, wo der Staat sich nicht einmal leisten kann, Fingerprints abzunehmen. Wer mit den Flüchtlingen vom Süden ins Zentrum Europas reist, reist von der Armut in den Wohlstand.

"Wir wurden in Mazedonien von Polizisten getreten. Weshalb machen die das? Wir sind aus Damaskus weg, weil die Leute uns genau so behandelt haben. Und jetzt das in Europa!", sagt Omar Mohamad. Er kann natürlich nicht wissen, dass Mazedonien in den letzten Jahren immer mehr in eine autoritäre Richtung schlitterte und dass viele Mazedonier selbst am liebsten nach Deutschland auswandern würden. Der Vermessungstechniker lagert mit seiner Frau und den beiden Kleinkindern in der Halle in Dobova.

Die Aufnahme von Flüchtlingen wird im Islam großgeschrieben, weil der Prophet Mohammed und seine Leute selbst Flüchtlinge waren. "Diese historische 'hijra' (Flucht) war ein religiöser Akt der Auswanderung, wegen der Repression gegen die ersten Muslime", erklärt die Islamwissenschafterin Zora Hesova.

Selbstkritik als Reifezeugnis

Heiße Luft wird durch riesige Röhren in die Plastikzelte transportiert. Ein Polizist räumt ein, dass Slowenien im September, als die Flüchtlinge erstmals kamen, im Chaos versank. Die Selbstkritik zeugt von politischer Reife.

Die Halle füllt sich langsam, die Leute breiten Decken auf. Sie stellen Gitter zwischen sich und die nächste Familie. Sie packen Brot, Käseeckerln und Bananen aus und picknicken, als hätten sie nie etwas anderes getan. Es wird wärmer. Wenn jetzt noch die drei Weisen hereinspazierten, wäre richtig Morgenland. (Adelheid Wölfl, 25.12.2015)