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Die letzten Wochen des Jahres sind traditionell eine gute Zeit für Esoterik und Pseudowissenschaft. Überall findet man nun Vorhersagen und Prophezeiungen, die uns auf die Zukunft vorbereiten sollen. Kaum eine Zeitung kommt ohne "Jahreshoroskop" aus, in den Buchhandlungen stapeln sich die Mondkalender, und Wahrsager aus allen Disziplinen wollen uns erklären, womit im nächsten Jahr zu rechnen sei.

Zu wissen, was die Zukunft bringt, ist ein nachvollziehbares Bedürfnis. Wer Bescheid weiß, kann sich vorbereiten; die Unwissenheit lässt Probleme dagegen oft größer erscheinen, als sie sind. Die Faszination, die von Prophezeiungen ausgeht, ist daher verständlich. Der scheinbare Blick in die Zukunft macht ja auch Spaß, wenn er nicht allzu ernst genommen wird. Die Begeisterung, mit der alte Bräuche wie zum Beispiel das Bleigießen zu Silvester heute immer noch gepflegt werden, macht das deutlich.

Wissenschaftssprech

Aber auf dem Markt der Vorhersagen ist es mit den althergebrachten Methoden schon längst nicht mehr getan. Astrologen, Kartenleger und Wahrsager haben Konkurrenz von Propheten bekommen, die sich moderner und wissenschaftlicher Methoden bedienen. Oder besser gesagt: die ein wissenschaftliches Vokabular benutzen, um den Anschein der Seriosität zu erwecken.

Ein äußerst interessantes Beispiel für so ein modernes Prophetie-System ist das "Global Scaling". Es ist einerseits interessant, weil es seine Vertreter geschafft haben, ihre Lehre bis in die Universitäten zu tragen. Andererseits aber auch, weil es zu den wenigen esoterischen Disziplinen gehört, die öffentlich gescheitert sind.

Das Global Scaling ist eine Erfindung des Deutschen Hartmut Müller. Der wird in einschlägigen Publikationen gerne mal als "Wissenschafter" oder gar "Professor" bezeichnet – ist aber bei genauerer Betrachtung weder das eine noch das andere. Die "Forschungseinrichtungen", an denen Müller seine Theorien entwickelt, heißen "Institut für Raumenergieforschung in memoriam Leonhard Euler", "Global Scaling Research Institute" oder "Advanced Natural Research Institute", sind aber trotz der beeindruckend klingenden Bezeichnungen nur von Müller selbst gegründete Firmen.

Eigenschwingungen von Kettensystemen

Was Global Scaling genau ist, lässt sich schwer in wenigen Sätzen beschreiben. Nicht, weil es sich um so eine komplizierte Theorie handelt, sondern weil es eine völlig absurde Mischung unterschiedlichster pseudowissenschaftlicher Schlagwörter und nichtssagender Behauptungen ist. Ein Beispiel (aus einem Text des Global Scaling Research Institute):

"Scaling entsteht sehr einfach – infolge von Eigenschwingungsprozessen. Eigenschwingungen sind Schwingungen der Materie, die bereits bei sehr geringer Energiezufuhr entstehen." Klingt irgendwie wissenschaftlich – ist es aber nicht. Genauso wenig wie die Erklärung: "Gegenstand der Global-Scaling-Theorie ist das Spektrum der Eigenschwingungen von Kettensystemen, die aus Protonen bestehen. Als Spektrum von Eigenschwingungsprozessen ist es fraktal, das bedeutet lückenhaft, sich selbst ähnlich und logarithmisch skaleninvariant."

Hanebüchene "Analysen"

Global Scaling ist eigentlich nur eine sehr umständliche Methode, den Esoterik-Klassiker "Alles ist Schwingung" zu beschreiben. Allerdings nun mit einer angeblich prophetischen und analytischen Erweiterung. Denn da "Protonenresonanzen den Verlauf aller Prozesse und den Aufbau aller Strukturen im Universum" bestimmen, muss man laut Hartmut Müller nur die von ihm entwickelte Methode anwenden, um im Prinzip alles über alles herausfinden zu können. Diese Methode arbeitet mit Zahlen wie dem "Protonen-Eichmaß" oder dem "Fundamentalen Fraktal", und wenn man lang genug mit ihnen herumgerechnet hat, bekommt man am Ende jede Menge bunter Diagramme, die entsprechende "Analysen" ermöglichen.

Nutzt man zum Beispiel astronomische Daten als Grundlage dieser Rechnungen, erfährt man – zumindest laut Global Scaling Institut – Neuigkeiten dieser Art: "Venus ist der einzige Planet im Sonnensystem, dessen mittlere Entfernung vom Sonnenzentrum in unmittelbarer Nähe eines Knotens im Spektrum der Protonenresonanz-Wellenlängen liegt. Deshalb ist mit einer hohen Fluktuationswahrscheinlichkeit der Orbitalbewegung der Venus zu rechnen." Oder: "Saturn befindet sich knapp rechts neben dem Knoten 54, Jupiter etwas weiter rechts. Daher werden Saturn und Jupiter mit hoher Wahrscheinlichkeit noch wesentlich größer werden."

Erfolg an der Donau-Uni-Krems

In der Realität wurde allerdings weder eine hohe "Fluktuationswahrscheinlichkeit" der Venus (was auch immer das sein soll) noch ein Anwachsen von Jupiter und Saturn beobachtet. Aber Astronomie gehört normalerweise nicht zu den vorrangigen Anwendungsgebieten des Global Scaling – Astronomen und Physiker sind ja auch in der Lage, Ausdrücke wie "Spektrum der Protonenresonanz-Wellenlänge" als den pseudowissenschaftlichen Unsinn zu erkennen, um den es sich handelt. Anderswo war das Global Scaling aber deutlich erfolgreicher. Zum Beispiel an der Donau-Universität in Krems, wie man in der Pseudowissenschaftszeitschrift "Raum & Zeit" nachlesen kann:

"Am 18. Dezember 2003 gelang am Forschungszentrum TIM-Lab der Donau-Universität Krems ein Experiment zu einem völlig neuen Verfahren der drahtlosen Datenübertragung. Dr. Hartmut Müller, Leiter des Instituts für Raum-Energie-Forschung im oberbayrischen Wolfratshausen demonstrierte, dass eine Datenübertragung zwischen zwei Notebooks in Deutschland und Krems ohne herkömmliche Übertragungsverfahen (wie Internet, Telefon, WLAN, etc.) und ohne Verwendung zusätzlicher Geräte rein software-basierend möglich ist."

Getilgte Spuren

Geschafft hat Müller dieses nobelpreiswürdige Kunststück übrigens angeblich dadurch, dass er die Prozessen der beiden Rechner durch Überlastung "gestresst" hat, und dieser Stress hat die Computer anscheinend veranlasst, sich mittels Quanten-Teleportation und der kosmischen Hintergrundstrahlung zu synchronisieren.

Klingt nach Unsinn und ist es natürlich auch. Aber zumindest Erwin Bratengeyer von der Donau-Universität (der heute dort immer noch tätig ist) und seine damalige Arbeitsgruppe fanden die Global-Scaling-Theorien des Hartmut Müller anscheinend plausibel und ließen sich nicht nur stolz in "Raum & Zeit" ablichten, sondern berichteten auch direkt auf der Homepage der Universität von den angeblichen Erfolgen bei der "Global-Scaling Quantum Teleportation". Mittlerweile wurden diese Seiten allerdings gelöscht. Auch die Donau-Universität dürfte irgendwann gemerkt haben, dass es nicht sonderlich gut für das eigene Image ist, sich mit solchen pseudowissenschaftlichen Umtrieben zu präsentieren.

Haftstrafe für flüchtigen "Professor"

Denn abseits der universitären "Forschung" ist Global Scaling den üblichen Weg jeder esoterischen Disziplin gegangen. Jeder, der wollte und das nötige Geld dafür hatte, konnte sich zu einem "Global Scaling Berater" ausbilden lassen und mit der neuen Wundermethode den Leuten dann erklären, wie sie ihr Haus richtig einrichten müssen; wo sie am Finanzmarkt investieren sollen; wie sich die Gesundheit entwickeln wird, und so weiter.

Man entwickelte Produkte, um per Global Scaling die "Lebenskraft" zu verbessern oder sich vor Elektrosmog zu schützen. Es gab Global-Scaling-Uhren, um immer den richtigen Biorhythmus zu finden, Global-Scaling-Software für alle, die selber skalieren wollen, und "Global-Scaling-Socken", um sportliche Leistungen zu erhöhen. Sogar eine (kostenpflichtige) Vorhersage der Lottozahlen wurde angeboten.

Um all diese Wundermethoden und -maschinen weiterzuentwickeln, wurde natürlich auch nach finanzkräftigen Anlegern gesucht. Und die fand man auch: Seit 2003 investierten knapp 3.000 Leute circa fünf Millionen Euro in diverse Global-Scaling-Projekte.

Die Erfolgsgeschichte des Hartmut Müller endete aber 2012. Und zwar auf eine in der Esoterik-Welt eher ungewöhnliche Art und Weise: Mit einer Verurteilung vor dem Landgericht Dresden. "Die Technik hat nicht funktioniert. Sie beruht ausschließlich auf Manipulation", sagte der Richter Schlüter-Staats damals, und Müller wurde zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. In Abwesenheit, denn der "Professor" flüchtete vor der Urteilsverkündung ins Ausland. Ein paar Monate später hat man ihn schließlich in Brasilien verhaften können.

Die Popularität des Global Scaling ist dadurch drastisch gesunken. Die Esoterik an sich ist aber natürlich immer noch so beliebt wie früher. Wir können der Versuchung nicht widerstehen, einen Blick in die Zukunft zu werfen, selbst wenn es sich nur um Humbug handelt. Aber wenn man sich schon mit solchem Humbug beschäftigt, dann sollte man lieber beim Bleigießen bleiben. Das ist immer noch die billigste Variante. (Florian Freistetter, 22.12.2015)