"Meine größte Enttäuschung ist, dass wir Edward Snowden nicht schützen konnten. Er ist im Exil in Russland gelandet", sagt "Guardian"-Journalist Ewen MacAskill.

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Edward Snowden brachte die Affäre um Massenüberwachung der Geheimdienste ins Rollen.

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STANDARD: Glauben Sie, dass ihre digitale Kommunikation abgehört wird? Oder sogar unser Gespräch?

MacAskill: In Folge der Snowden-Geschichte wurden alle Leute beim "Guardian" ziemlich paranoid. Ich habe keinen Beweis, dass ich abgehört werde, aber ich denke, wenn man überwacht wird, merkt man es nicht. Im ersten halben Jahr nach der Snowden-Geschichte wurde ich am Flughafen jedes Mal auf die Seite genommen.

STANDARD: Diese ganzen Schikanen, die Paranoia – damit zahlen Sie einen ziemlich hohen Preis für Ihre Geschichte.

MacAskill: Das ist kein hoher Preis. Edward Snowden zahlt einen hohen Preis. Er hatte ein gemütliches Leben auf Hawaii. Jetzt sitzt er im Exil in Moskau, vielleicht für den Rest seines Lebens. Das Schlimmste für den "Guardian" war, als zwei Mitglieder eines Nachrichtendienstes in die Büros der Zeitung gekommen sind, um die Zerstörung von jenen Computern des "Guardian" zu überwachen, auf denen Snowdens Dokumente gespeichert waren und auf denen die Geschichten geschrieben wurden. Die wurden mit Bohrmaschinen und Hämmern zerstört.

STANDARD: Was tatsächlich eher eine Art Geste war, weil der Geheimdienst ja ohnehin wusste, dass es Kopien von allen Dokumenten gibt.

MacAskill: Das ist ja das Beleidigende daran! Es war eine gänzlich irrationale Tat.

STANDARD: Vor zweieinhalb Jahren sind Sie mit Edward Snowden in einem Hotelzimmer in Hong Kong gesessen. Sehen Sie ihren Job anders als noch vor drei Jahren?

MacAskill: Beruflich gesehen war das wunderbar. Wir haben viele Preise bekommen. Ab einem bestimmten Punkt muss man aber vorsichtig sein, davon nicht mitgerissen zu werden. Ich gehe immer noch jeden Tag ins Büro, um Geschichten zu finden. Für mich liegt vieles in der Vergangenheit. Ich bin weitergezogen.

STANDARD: Die meisten Leute kennen Edward Snowden, viele kennen Glenn Greenwald. Sie wurden nie so berühmt.

MacAskill: Ich wurde in der Tradition des anonymen Redakteurs ausgebildet. Ein Redakteur konnte nie die Geschichte sein. Ich fühle mich wohl damit. Die Idee eines "Celebrity Journalism" liegt nicht in meiner Natur. Der echte Held dieser Geschichte ist Edward Snowden.

STANDARD: Snowden hat immer gesagt, dass er nur das Material zur Verfügung stellt und jemand anderes es veröffentlichen muss – weil er das journalistische Handwerk nicht kennt. Diese Verantwortung ist doch eine ziemliche Belastung, oder?

MacAskill: Es war weniger eine Belastung als anfangs verwirrend. Die Snowden-Dokumente sind sehr technisch, verwenden viele Codenamen und eine Sprache, die viele nicht verstehen. Als ich sie zum ersten Mal gesehen habe, war mir die Bedeutung also nicht wirklich klar. Erst durch systematisches Durchsuchen und das Herstellen von Querverbindungen konnten wir sie verstehen. Snowden gab mir 60.000 Dokumente, davon hatten einige mehr als 1.000 Seiten. Da waren viele Informationen über militärische Operationen dabei, die für sich tolle Geschichten gewesen wären. Doch Snowden wollte nur Bewusstsein für Massenüberwachung herstellen. Wir veröffentlichten also nur etwa ein Prozent der Dokumente.

STANDARD: "Es sind ja nur Metadaten", "Facebook hat sowieso alle meine Daten", "Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten" – haben Sie diese Argumente schon satt?

MacAskill: Ich habe sie nicht satt. Aber besonders, wenn sich Europa wegen des Terrorismus und des "Islamischen Staates" sorgt, ist es schwierig, für Privatsphäre, Bürgerfreiheit und Menschenrechte einzutreten. Zu den Metadaten: Für einen Spion sind Metadaten nützlicher als Inhalte. Über Metadaten kann man nicht lügen, in Inhalten schon. Die Leute geben Facebook tatsächlich sehr viele Daten. Für mich ist erschreckend, in welchem Ausmaß diese Daten dann anderen Unternehmen weitergegeben werden und die Leute haben keine Ahnung davon. Aber es gibt fundamentale Unterschiede: Diese Daten hat man freiwillig hergegeben. Man muss Facebook nicht beitreten. Werden Handys, Internetnutzung und E-Mails von der Regierung überwacht, ist daran nichts freiwillig.

STANDARD: Waren die politischen Konsequenzen der Enthüllung so, wie Sie es erwartet haben?

MacAskill: Ich hätte erwartet, dass die Geheimdienste in die Defensive geraten würden. In Amerika passierte das, dort sind einige gute Dinge passiert. In Großbritannien wurde erst vor einigen Monaten ein neues Überwachungsgesetz verabschiedet, das alle Tätigkeiten der Dienste auflistet. Dieses Ausmaß an Transparenz ist außergewöhnlich. In Deutschland, Südamerika, Australien und Indonesien gab es große Debatten zu diesem Thema. Aber die Kehrseite ist riesig: Die Geheimdienste haben in Großbritannien trotz des neuen Gesetzes noch mehr Befugnisse. Das Gleiche passiert in Deutschland, Frankreich, Österreich, auch in den USA haben die Dienste trotz des Freedom Acts mehr Befugnisse – sie haben diese Werkzeuge, die geben sie nicht auf. Mir fällt kein Platz auf der Erde ein, wo zurückgerudert wurde.

STANDARD: Was ist für Sie die größte Enttäuschung dabei, wie sich die Geschichte und die Konsequenzen daraus entwickelt haben?

MacAskill: Meine größte Enttäuschung ist, dass wir Edward Snowden nicht schützen konnten. Er ist im Exil in Russland gelandet. Für die ersten sechs Monate habe ich mich deshalb besonders schlecht gefühlt. Aber jetzt – auch wenn er versehentlich in Russland gelandet ist – ist es wahrscheinlich das einzige Land auf der Welt, wo er sicher ist. Viele Amerikaner sehen ihn als Helden, viele sehen ihn als Verräter. Zurück in Amerika wäre sein Leben von irgendeinem rechten Irren mit einer Waffe bedroht.

STANDARD: Man kann wohl sagen, dass sich die NSA-Enthüllungen in der Dimension des Watergate-Skandals bewegen. Sie sind Sie stolz darauf?

MacAskill: Ich bin nicht sicher wegen des Vergleichs mit Watergate. Woodward und Bernstein mussten sehr hart arbeiten, um an diese Information zu kommen. Sie mussten es zusammenflicken, sprachen mit hunderten Menschen. Wir haben die Dokumente einfach bekommen. Okay, es war harte Arbeit, die Geschichte herauszuarbeiten, sobald wir die Dokumente hatten. Aber ich glaube nicht, dass es mit Watergate vergleichbar ist. Es ist aus vielerlei Gründen eine Riesengeschichte, aber journalistisch … Ich hatte Glück; Woodward und Bernstein arbeiteten wirklich hart.

STANDARD: In Oliver Stones Film "Snowden", der in Österreich im Mai erscheint, werden Sie von Tom Wilkinson gespielt. Sind sie glücklich mit dieser Wahl?

MacAskill: Wilkinson ist ein toller Schauspieler. Ich habe die Dreharbeiten in München besucht und habe mit Wilkinson gesprochen – er bekommt den schottischen Akzent wirklich gut hin! Ich habe den Film schon gesehen, Oliver Stone hat ein Preview arrangiert. Er ist sehr gut und wird auch Snowden nutzen. Wilkinsons Spiel gefällt mir. Jemand hat gesagt, dass er dicker ist als ich, aber das ist die einzige Schwäche. (Sebastian Fellner, 19.12.2015)