Wien – "Ich als Mutter muss ja wissen, wo meine Tochter hingeht", erklärt Roqeah B. Richterin Doris Reifenauer. Schließlich sei ihr Kind am 26. Jänner erst um 21 Uhr heimgekommen. Daher habe sie ihr am nächsten Tag verboten, die Wohnung zu verlassen. Das Problem: Die Tochter war damals 18 Jahre und elf Monate alt, daher sind B. und ihr Sohn wegen Freiheitsentziehung angezeigt, da sie die Eingangstür versperrt haben sollen.

Beim 27-jährigen Mujebullah B. kommen zwei Anklagepunkte dazu: Er soll eine Ex-Affäre via Facebook gefährlich bedroht haben, genauso einen "Gegner" im Straßenverkehr. Der vorbestrafte Erstangeklagte streitet das alles energisch ab.

Als er den Screenshot der Facebook-Seite sieht, bezweifelt er zunächst, dass es sein Profil sei. Vor allem aber sei sein Deutsch besser als in dem Kommentar, in dem der Frau angedroht wird: "Ich schneide Dir die Zunge heraus, wenn Du noch einmal etwas über meine Familie erzählst." B. vermutet einen Racheakt, schließlich habe er seine Affäre mit der Frau beendet gehabt.

"Hurenkind, ich bring dich um!"

Auch der Betroffene des Verkehrszwischenfalls lüge aus unerfindlichen Gründen. Ja, er sei vor einer Ampel geschnitten worden. Ja, er sei ausgestiegen und habe den anderen Fahrer zur Rede stellen wollen. Ja, es habe sich herausgestellt, dass er seinen Kontrahenten kennt. Aber er habe nur "Komm, steig aus, ich will dich ficken!" geschrien. Und nicht, wie das Opfer und dessen Freundin behaupten: "Du Hurenkind, ich bring dich um, sei froh, dass ich dich kenne!" Da die Zeugen nicht erschienen sind, wird dieses Faktum ausgeschieden.

Der schwerste Vorwurf ist aber ohnehin das Einsperren der Schwester. B. erzählt die Geschichte so: Die Volljährige sei am Abend zuvor spät heimgekommen und habe gesagt, sie habe am nächsten Tag frei. Um etwa 6.30 Uhr wollte sie plötzlich doch zur Arbeit, was die Mutter verboten habe. Es kam zum Streit.

"Bei uns zu Hause gibt es Regeln, die muss man einhalten", sagt er. Und: "Ich habe sieben Schwestern, sie ist die einzige, die stur und hitzig ist." Schließlich: "Sie denkt schon wie eine Europäerin", sagt der aus Afghanistan stammende Österreicher. Gehen habe sie aber immer können, die Mutter habe die Tür zwar zugesperrt, aber den Schlüssel stecken lassen.

Ruhe, wenn die Mama schreit

"Was für einen Sinn soll das haben?", will die Staatsanwältin wissen. "Es geht darum, ob sie Respekt zeigt", lautet die Antwort. "Ja, aber sie hat sich offensichtlich nicht getraut, sondern die Polizei gerufen." – "Wenn Mama schreit, ist jeder ruhig", erfährt man über die Familienhierarchie.

Dann wird es ungewöhnlich: Die Mutter, die im Nebenraum warten musste, erzählt nämlich in wesentlichen Punkten eine andere Geschichte. Den Streit habe es gegeben, aber nur, da sie wissen wollte, wo ihre Tochter in der Früh hingeht. Bei der Polizei hatte sie noch ausgesagt, den "Hausarrest" habe es wegen eines Streits mit einer anderen Schwester gegeben, die Angeklagte habe daraufhin dekretiert, ihre Tochter solle sich krank melden. "War die Tür zugesperrt?", fragt Reifenauer. "Wir versperren nie die Tür."

Opfer verweigert die Aussage

Entscheidend ist, was die nicht mehr daheim lebende Betroffene erzählt. Doch die macht von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Der Richterin bleibt daher nur die Möglichkeit eines nicht rechtskräftigen Freispruchs im Zweifel, da sich der Sachverhalt trotz der Widersprüche nicht mehr aufklären lässt. Grundsätzlich sei es verboten, es gebe bei einer 18-Jährigen auch keinen "Erziehungsanlass" mehr.

Auch von der Facebook-Drohung wird B. freigesprochen. Reifenauer glaubt zwar, dass die Nachricht von ihm ist, ob sie das Opfer aber tatsächlich ernst genommen habe – sie zeigte es erst 13 Tage später an –, weiß sie nicht. Aber: "Sie bewegen sich auf einem sehr, sehr schmalen Grat", warnt sie den Angeklagten noch. (Michael Möseneder, 17.12.2015)