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Ende Oktober kam es im nordkoreanischen Touristengebiet Kumgang zu einer Familienzusammenkunft von 400 Senioren aus Südkorea mit Verwandten aus dem Norden. Nach Jahrzehnten der Trennung haben sich zwischen Süd- und Nordkorea sprachliche Differenzen ausgeprägt.

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Die beiden Koreas trennt nicht nur eine militärisch hochgerüstete Landesgrenze, sondern auch ihre gemeinsame Sprache. Niemand erkannte das Problem der linguistischen Teilung scharfsinniger als der Theologe Moon Ik-hwan, der einst maßgeblich bei der Übersetzung des Alten Testaments ins Koreanische geholfen hat. Als der 71-Jährige im März 1989 nach Pjöngjang reist, führt er jedoch statt einer Bibel ein ganz gewöhnliches Wörterbuch bei sich – als Geschenk an Kim Il-sung.

Beim Durchblättern des Nachschlagewerks gerät der nordkoreanische Staatsgründer ins Stutzen: Zu sehr hatte sich die Teilung des Landes bereits im Wortschatz der zwei Koreas niedergeschlagen. Damals sagt Pastor Moon zu seinem Gastgeber: Auch wenn eine politische Wiedervereinigung derzeit kaum möglich scheine, könne eine sprachliche Annäherung den weiteren Weg dahin ebnen. Der Ausgangspunkt für das innerkoreanische Wörterbuch liest sich fast wie eine Utopie.

Verständigungsprobleme

Wenig später droht diese jedoch an der Paranoia des Kalten Kriegs zu zerschellen: In seiner Heimat zurückgekehrt, wird Moon Ik-hwan für seine illegale Einreise beim kommunistischen Nachbarn weggesperrt, und nur kurz nach seiner Freilassung nimmt er seinen Traum mit ins Grab.

20 Jahre später sitzt Kim Wan-seo im zwölften Stock eines Seouler Büroturms zwischen grauen Trennwänden und mannshohen Bücherschränken. Begeistert erzählt der Linguist von den Vorbereitungen für die nächste Arbeitsreise nach Nordkorea – seiner 25. bisher. "Vor der Teilung Koreas gab es im Grunde kein Problem zur Verständigung – trotz der regionalen Dialekte", sagt Kim. Wenn man jedoch heutzutage die Wörterbücher der beiden Länder vergleiche, würden sich bis zu 50 Prozent der Einträge unterscheiden.

Vor rund sieben Jahren hat das Linguistenteam rund um Kim Wan-seo grünes Licht bekommen, die sprachlichen Differenzen in einer gemeinsamen Enzyklopädie auszumerzen. Bis es dazu kommen konnte, ist viel Wasser den Han-Fluss hinuntergeflossen: Der Kalte Krieg der 1980er wich um die Jahrtausendwende einer Politik der Annäherung, die jetzige Präsidentin Park Geun-hye sucht in ihrer Ausrichtung gen Norden einen pragmatischen Mittelweg. In der Sprache muss die goldene Mitte zwischen den beiden Koreas jedoch erst gefunden werden.

Umgang mit Fremdwörtern

Am größten sind die linguistischen Unterschiede beim Umgang mit Fremdwörtern. "Während in Südkorea englische und chinesische Wörter oft übernommen werden, will das nordkoreanische Regime alles koreanisieren", sagt Kim. So wird etwa der südkoreanische "Donut" nördlich der Demarkationslinie zum Ringbrot, der "penalty kick" zum Strafstoß, die "handbag" zur Handtasche.

"Es gibt zwar auch in Südkorea Bemühungen der Regierung, Anglizismen einzudämmen, doch oft vergeblich. Das nordkoreanische Regime kann mehr Kontrolle ausüben – auch auf den Wortschatz seiner Bevölkerung", sagt Kim Hak-mook, der das Forschungsteam als Generalsekretär führt.

Konservative Sprachhüter würden wohl sagen: Im Norden würde ein reinerer Zustand der Sprache bewahrt. Für die Jugend im Süden klingt es schlicht altbacken. Genau so fühlen sich auch die meisten nordkoreanischen Flüchtlinge, wenn sie nicht in Supermärkten, sondern in "Lebensmittelläden" einkaufen und mit "Handtelefonen" telefonieren. Viele nehmen daher in ihrer Wahlheimat sofort den heimischen Dialekt auf.

Hipper südlicher Akzent

Und doch lässt sich auch ein Gegentrend beobachten: Seitdem man auf nordkoreanischen Schwarzmärkten ausländische Filme und Fernsehserien kaufen kann, ist es laut NGOs unter Nordkoreas Jugend hip geworden, mit einem leicht südlichen Akzent zu sprechen. Die Sprache wird so auch zum subversiven Statement.

"Während in Südkorea die Kommunikation im Vordergrund steht, hat die Sprache in Nordkorea immer auch eine ideologische Funktion", sagt Kim Hak-mook. Das Wort "Kamerad" bezeichnet etwa in Südkorea lediglich einen engen Freund, in Nordkorea jedoch jemanden, "mit dem man gemeinsam für die Revolution kämpft". Großgrundbesitzer werden nicht rein an der Größe ihres Besitzes definiert, sondern sind unweigerlich "reiche Leute, die das arme Volk ausbeuten".

Beim gemeinsamen Treffen der koreanischen Sprachforscher gehen sie in langen Schichten in Zweierteams täglich Hunderte Wörter durch. Am Ende sei man nur mehr froh, endlich aufzubrechen. Gleichzeitig schweiße die Sisyphusarbeit in all den Jahren jedoch auch zusammen.

Das gemeinsame Abschiedsessen vor fünf Jahren sei so ein Highlight gewesen. Zu vorgerückter Stunde habe jemand aus der Runde spontan ein Volkslied angestimmt, und wenig später tanzten Linguisten aus Süd- und Nordkorea, manche von ihnen 70 Jahre und älter, gemeinsam eine Polonäse. "Bis zum nächsten Jahr", wünschte man sich beim Abschied. Niemand ahnte damals, dass dieser erst fünf Jahre später erfolgen sollte – weil politische Spannungen den innerkoreanischen Austausch auf Eis legten. Beim letzten Treffen im Oktober sei der Abschied daher wehmütiger ausgefallen. Kim Wan-seo: "Schließlich wissen wir ja nie, wann wir uns wiedersehen." (Fabian Kretschmer, 16.12.2015)