Meerblick gefällig? Die Frage mutet eigenartig an. Die Restaurants, die sich an der Strandpromenade von Kep aneinanderreihen, sind nicht viel mehr als Bretterverschläge. Neben dem Eingang eine Grillstelle, im Inneren ein paar Plastiktische. Unter dem Bretterboden der Terrassenbauten rauscht die Brandung, nebenan eine Toilette in Endlosspülung. Den meisten Besuchern ist der spektakuläre Blick auf das schäumende Meer egal. Sie kommen wegen der Köstlichkeiten, die aus dem Meer geholt werden.

Krebse oder Garnelen? Die Frage hat Lun So Cheat an diesem Tag schon des Öfteren gestellt. Gemeinsam mit seiner Familie hat er vor einigen Jahren eines der hübscheren der Restaurants übernommen. Und tischt seitdem in seiner Crab Kitchen amerikanischen Rucksacktouristen oder chinesischen Textilunternehmern eine Variation seiner Spezialitäten auf. Krebse, Garnelen, Tintenfische. Wahlweise mit oder ohne frischen Pfeffer aus dem Nachbarort Kampot.

Die Hotelinfrastruktur in Kambodscha ist überschaubar. Im Bild: das auf einem Fluss schwimmende Zelthotel Four Rivers Floating Lodge.
Foto: Jürgen Gschwind

Umgerechnet fünf oder sechs Euro kosten die Gerichte. Und munden um einiges besser als vieles, was in den wenigen Hotels und Gästehäusern in Kep auf den Tisch kommt. "Sehen sie die Bambusreusen auf den Klippen", fragt So Cheat und zeigt auf eine Gruppe von Frauen, die hüfthoch im Wasser stehen. In den Reusen werden die Krebse gefangen bevor sie kurze Zeit später auf den Kohlegrillern der Restaurants landen.

Kep und Krebse, das ist beinahe ein Synonym. Bis in die 1960er-Jahre war die Stadt an der kambodschanischen Südküste unweit der Grenze zu Vietnam die südostasiatische Antwort auf Cannes oder Saint-Tropez. Ein Palmenparadies mit einem klingenden Namen (Kep-sur-Mer) und spektakulären Sonnenuntergängen vor der Kulisse von Rabbit Island. Letztere gibt es auch heute noch. Von den herrschaftlichen tropischen Villen stehen aber nicht mehr viele. Die meisten wurden von den Roten Khmer in Schutt und Asche gelegt. Brandruinen wie Mahnmale einer dunklen Vergangenheit.

Charme des alten Indochina

Seitdem in Kambodscha politische Ruhe eingekehrt ist, versucht man auch an der Küste an die glanzvollen Zeiten der Zwischen- und Nachkriegszeit anzuknüpfen. 4,2 Millionen Gäste besuchten 2013 das Land, ein Jahr später waren es 4,5 Millionen. Die meisten von ihnen fliegen direkt nach Siem Reap, um den monumentalen Tempelanlagen von Angkor Wat einen Besuch abzustatten. Zum Baden geht's dann wieder zurück nach Thailand oder Vietnam. Dabei verfügt Kambodscha über 450 Küsten- und Strandkilometer, und mit Kep, Kampot oder Sihanoukville über Küstenstädte, die gleichermaßen vom Charme des alten Indochina wie von den Verwerfungen der jüngeren Vergangenheit geprägt sind.

In den vergangenen Jahren sind aber einige interessante Unterkünfte entstanden, wie das im Le-Corbusier-Stil gehaltene Knai Bang Chatt.
Foto: Jürgen Gschwind

Die Holperpisten und zusammengezimmerten Gästehäuser, die vor einem Jahrzehnt noch die Küste prägten, sind Fahrbahnen mit Nebenbahnen und Boutiquehotels gewichen. Joffrey Gris führt zusammen mit seiner Frau eines von ihnen (Knai Bang Chatt). Es befindet sich in Gehweite der Krebsrestaurants und erstreckt sich über mehrere modernistische Villen. Seit 2006 wird die Anlage im Le-Corbusier-Stil als Hotel mit eigenem Segelclub und Infinitypool geführt. "Seit damals hat sich viel getan", sagt Gris und erzählt von den Expats, die in ihren dicken SUVs übers Wochenende von der Hauptstadt Phnom Penh hierher an die Küste kommen.

Wenige Reiseveranstalter

Die kambodschanische Küste hat sich in den vergangenen Jahren zu einer Alternative für jene gemausert, denen die Nachbarländer Thailand oder Vietnam zu überlaufen sind. Rucksacktouristen, die sich in einfachen Strandhütten einquartieren. Oder Rollkofferbesucher, die ausgefallenere Destinationen schätzen. Nur wenige große Reiseveranstalter haben Kambodschas Küste im Programm, große Hotelanlagen gibt es wenige. Die meisten von ihnen befinden sich in Sihanoukville, etwa zwei Autostunden von Kep entfernt. Es ist das wirtschaftliche Zentrum der Küste, eine nicht gerade reizvolle Hafenstadt mit zweifelhafter Vergangenheit, an deren Südzipfel sich einige der beliebtesten Strände des Landes aneinanderreihen.

Otres 2
Foto: Stephan Hilpold

Otres 1 und Otres 2 heißen die palmengesäumten Strandabschnitte, die viel von dem bewahrt haben, wofür viele einst an die Strände Asiens pilgerten. Türkisblaues Meer, Vollmondpartys, Restaurants in Form von Pilzen, wer keine Cabana mieten will, legt sich in eine der Hängematten am Strand. "Die Preise haben in den vergangenen Jahren aber ganz schön angezogen", erzählt Seiha Kun, ein 29-jähriger Australier kambodschanischer Herkunft, der sein ganzes Geld in den Aufbau eines kleinen Resorts gesteckt hat. Ren Resort heißt es, und es ist das letzte Hotel des Strandes, bevor er den Mangroven gehört.

Luxus nur mit Speedboot

So schick und cool das Hotel geworden ist, so improvisiert wirkt hier in Otres 2 noch vieles. Bei Regen verwandeln sich die Buckelpisten in Schlammfurchen, manche der Bauten, erzählt man, seien ohne Genehmigung entstanden, bei anderen frage man sich, auf welchen Wegen man sie erhalten habe. Viele Grundstücke liegen brach. Kambodscha gehört zu den weltweit korruptesten Ländern, darunter leidet auch die touristische Entwicklung. "Ich habe lange überlegt, ob ich hier mein Geld investieren soll", gibt Kun unumwunden zu. Zahlungskräftige Touristen gibt es in Otres noch immer nicht viele – genauso wie (abseits von Siem Reap) in ganz Kambodscha. Wer wirklichen Luxus will, muss im Hafen von Sihanoukville ein Speedboot zu einer der vorgelagerten Inseln nehmen.

Luxusresort Song Saa
Foto: Jürgen Gschwind

Die größte von ihnen heißt Koh Rong, wartet mit undurchdringbarem Urwald, Postkartenstränden und einigen kleinen Bungalowanlagen auf. Seitdem ein einheimisches Konsortium die Insel für 99 Jahre gepachtet hat, werden "Entwicklungspläne" gewälzt. Noch ist es aber nicht so weit. Noch ist Song Saa das einzige wirkliche Luxusresort, das es an Kambodschas Küste gibt. Es befindet sich auf einer durch einen Steg verbundenen Doppelinsel ein paar Hundert Meter vor der Küste von Koh Rong. Als die Australier Melita und Rory Hunter vor neun Jahren die beiden Inselchen an der Ostküste von Kong Roh entdeckten, beschlossen sie, hier eine Luxusanlage zu bauen.

Kolportierte 22 Millionen Dollar soll sie gekostet haben, und das obwohl die Anlage bei Ankunft auf dem Seeweg beinahe nicht zu sehen ist. Die Bungalows mit eigenem Pool schmiegen sich an den bewaldeten Hügel, ein japanischer Koch bereitet im Strandrestaurant Sushi-Spezialitäten zu. Das zweite Restaurant der Insel thront auf Stelzen und ist nur über einen geländerlosen Meeressteg zu erreichen. Song Saa, das ist Luxus, der alle Stückerln spielt – im Einklang mit der das Resort umgebenden Natur.

Im Meeresschutzgebiet

"Wir befinden uns inmitten eines Meeresschutzgebietes" erklärt der Lehrer Het Keut, der anderntags eine kleine Führung in das benachbarte Dorf Preaek Svay leitet. 650 Menschen leben hier, viele von ihnen arbeiten in Song Saa. Eine eigene von Melita und Rory Hunter gegründete Stiftung kümmert sich um die Schulbildung der Bewohner, versucht ihnen Umwelt- und Gewässerschutz nahezubringen. Das beruhigt das Gewissen, schließlich kostet jede einzelne der spektakulären 27 Oberwasser- oder Dschungelvillen (nicht nur für kambodschanische Verhältnisse) ein kleines Vermögen. Das ist auch Het Keut bewusst, der in dem Dorf 135 Schüler unterrichtet: "Früher musste man das Dorf verlassen, um Arbeit zu kriegen. Hier auf der Insel gibt es so gut wie gar nichts."

Bild nicht mehr verfügbar.

4,5 Millionen Touristen besuchten im vergangenen Jahr Kambodscha. Auf die Insel Koh Rong schafften es nur wenige von ihnen.
Foto: Corbis/Luis Martinez

Das trifft auch auf andere Teile des Landes zu. Ganze 43.000 Quadratkilometer bzw. 25 Prozent des Landes stehen unter Naturschutz, die komplette Isolation Kambodschas während der furchtbaren Herrschaft der Roten Khmer hat dazu geführt, dass viele Landstriche relativ unangetastet geblieben sind – selbst an der Küste. Heute hat das Land ein gewaltiges Problem mit illegaler Abholzung. Organisationen wie die Wildlife Alliance versuchen das international zu thematisieren. Auch Anna Pawlik-Szocs erzählt vom Raubbau, dem die Regenwälder ausgesetzt sind.

Zusammen mit Schwester und Mann betreibt die gebürtige Filipina inmitten der abgeschiedenen Kardamom-Berge die Four Rivers Floating Lodge, eine äußerst ungewöhnliche, auf einem Fluss schwimmende Hotelanlage aus Zelten. Die Küstengegend unweit der Grenze zu Thailand ist bis heute nur karg besiedelt, Grenzverkehr gibt es erst seit einigen Jahren. Um in die Lodge zu kommen, muss man das Boot nehmen, eine Straße gibt es nicht. Der Fluss wird vom nahen Meer gespeist, je nachdem ob gerade Ebbe oder Flut herrscht, verändert sich der Salzgehalt des Wassers. Ein Kontrastprogramm zu den belebten Stränden weiter im Süden.

Kampot
Foto: Stephan Hilpold

"Sie brauchen keine Angst vor Schlangen zu haben", ermuntert Pawlik-Szocs die Besucher, ins Wasser zu steigen: "Giftige Schlangen sehen Sie sofort. Sie schwimmen auf der Wasseroberfläche." In Zeiten der Roten Khmer waren die Kardamom-Berge ein Rückzugsgebiet für Menschen, heute eher für tierische Artgenossen. Beziehungsweise für all jene, die für ein paar Tage auf Handyempfang und Annehmlichkeiten verzichten wollen. Flussblick gefällig? Hier ist er im 360-Grad-Winkel zu kriegen. (Stephan Hilpold, Rondo, 18.12.2015)