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Schlagkräftige Onlineriesen naschen bei den Weihnachtsumsätzen mehr oder weniger kräftig mit.

Foto: dpa / Franz Peter

Seid doch nicht altmodisch: Senta Berger, Hannelore Elsner und Christiane Hörbiger tun es. Zumindest, wenn man der Werbebotschaft des deutschen Onlineriesen Zalando glaubt. Schick gewandet verkünden die drei Diven im feudalen Ambiente, dass Onlineshopping sie glücklich macht.

Der Fernsehspot hat größere Bedeutung, als es auf den ersten Blick scheint. Zalando ist eine hocheffiziente Verkaufsmaschine. Noch während die Werbung läuft, wird exakt registriert, wie sich das Filmchen in den Hirnen der Konsumenten einnistet und was diese dann auf der Homepage tun. Die Deutschen stecken viel Geld in dieses Konzept. Der 2008 gegründete Konzern wächst rasant, ist in 15 Ländern Europas aktiv und zählt 9000 Beschäftigte.

In Eferding geben es drei gestandene Modehändlerinnen billiger. Nicht nur, weil Eferding ein kleines Bezirksstädtchen in Oberösterreich ist. Barbara Wögerbauer, Ursula Domberger und Claudia Stadler haben keine Investoren hinter sich, die teure Werbung finanzieren.

Gemeinsam mit den Stadtmarketing-Leuten blasen sie dennoch direkt zum Angriff und posieren für einen Spot im Regionalfernsehen selbst vor der Kamera. Das Setting erinnert in manchen Sequenzen verdammt an die Zalando-Kampagne. Gewollt, wie die Damen mit Humor und Kampfgeist in Regionalmedien bekunden. Ihre Botschaft: Kauft doch bei uns im Geschäft.

Ungeliebte Revolution

Auch bei Rainer Trefelik in Wien stößt die Zalando-Werbung auf wenig Gegenliebe: "Gefällt mir gar nicht", brummt der Spartenobmann des Wiener Handels. Es sind nicht die erstmals extra für den österreichischen Markt produzierten Plakate und Fernsehspots selbst, die ihm die Stirnfalten aufziehen: Was in Wien und Eferding für Aufsehen sorgt, ist nichts weniger als der Ausdruck einer Revolution, die jeden beschäftigt, der heute Handel betreibt.

Schlagkräftige Onlineriesen drängen mit Macht in angestammte Reviere und naschen bei den Handelsumsätzen mehr oder weniger kräftig mit. Trefelik ist dabei als Chef von Popp & Kretschmer noch gut dran. Sein Haus vis-à-vis der Wiener Oper führt Roben und Accessoires in jener Preisklasse, die wohl gut zur Einkommenshöhe von Zalandos Promi-Testimonials passen würden. Entsprechender Service und Chichi inklusive. Gute Lage, guter Name, Luxus, Geschick und Tüchtigkeit: keine schlechten Voraussetzungen für gute Geschäfte.

Doch Trefelik ist auch Vertreter von 12.000 stationären Geschäften. Nicht alle sind in solch einer glücklichen Lage. Die Konsumenten waren schon einmal besser gelaunt, außerdem geben sie ihr Geld schon lange auch für Reisen, Bildung und Gesundheit aus. Was die Handelsbetriebe sich aber überall wünschen, sind gute Geschäfte.

Dazu müssten die Menschen allerdings kommen. "Es nützt nichts zu sagen, so ein liebes Geschäft. Wenn niemand dort einkauft, ist es nicht mehr da", sagt Trefelik. Er kann auch viele gute Gründe in ihrem Namen aufzählen, warum sich der Besuch lohnt – etwa jetzt zu Weihnachten. Nicht nur, weil man Weihnachtssterne und Lametta wieder aus den Schachteln geholt und die Lichterketten montiert hat.

Man habe etwas, was der Onlinehandel nicht bieten könne, ist Trefelik überzeugt: Charme und die bessere Beratung. "Und die Menschen wollen Waren fühlen und angreifen." Dass Trefelik mit all dem recht hat, ist nicht so sicher: So manche Zahlen sprechen eine andere Sprache. Die österreichische Post wird heuer 80 Millionen Pakete ausliefern, um gut fünf Millionen mehr als 2014. Die Menschen kaufen also immer lieber online ein.

Nachzügler Österreich

Weiß die Branche nicht, was ihre Kunden – die doch im Branchenjargon die Könige sind – wollen? "So ist es tatsächlich", sagt Gerrit Heinemann. Er ist Wissenschafter und hat davor lange selbst in verschiedenen Kaufhäusern führende Positionen bekleidet. Heinemann kennt die Branche in- und auswendig, erforscht er doch die Wünsche der Kunden und wie die Anbieter darauf reagieren (siehe Interview).

Die Digitalisierung habe zu einer Entfremdung zwischen Kunden und Handel geführt, ist Heinemann überzeugt. So mancher würde heute seine Geschäfte führen wie "in der Steinzeit". Und während Händler durchaus davon überzeugt sind, dass jetzt nicht falsch sein kann, was die letzten 40 Jahre gut war, sind die Kunden weiter. Viele Betriebe haben nicht einmal so einfache Dinge wie ein Warenwirtschaftssystem, geschweige denn einen Onlineshop. Aber ihre Kunden nutzen inzwischen das Smartphone, um einzukaufen.

Am liebsten werden Bücher online gekauft, gefolgt von Elektronik. Derzeit ist jener Anteil, der im Inland via Internet erwirtschaftet wird, mit 4,4 Prozent gering. Zum Vergleich: In Großbritannien liegt er bei rund 15 Prozent. Geht es nach einer Studie von Berater McKinsey, könnte Österreich in zehn Jahren ebenfalls dieses Niveau erreichen.

Noch wird die Hälfte des heimischen Onlinehandels von ausländischen Unternehmen bedient – allen voran Amazon. Allein der Branchenprimus schöpft laut deutschem ECC-Institut rund 40 Prozent des Gesamtumsatzes ab. Universal und Zalando folgen mit Respektabstand. Womit klar ist: Der Onlinehandel ist ein Match der Großen. Einer der Gründe dafür ist die Zögerlichkeit vieler Kleiner. Weil es mühsam ist, sagt Heinemann. Er ortet eine Mischung aus Ignoranz und Unwissenheit.

In der heimischen Branche wird viel herumgerechnet, wie viel via Internet wirklich verdient wird – verknüpft mit der Frage, ob es sich denn auszahle, da wirklich zu investieren. Und während die Köpfe rauchen und die Rechenstifte gezückt werden, sind es unglücklicherweise die Konsumenten, die auf der Strecke bleiben. Noch nie sei die Lücke zwischen den Kundenerwartungen und dem, was der Handel bereit sei zu geben oder zunächst einmal zu sehen, so groß gewesen wie jetzt, sagt Heinemann. Mit anderen Worten: Man redet aneinander vorbei.

Tatsächlich braucht man sich nur im Bekanntenkreis umzuhören. Jeder hat da Fragen, Klagen und Anmerkungen. Eine kleine Auswahl: Oft trifft man auf gequälte Mitarbeiter, die deutlich signalisieren, dass sie einen manweiß-schon-wohin wünschen. Je größer das Einkaufszentrum, desto höher die Chance, ewig und unberaten inmitten all der Waren herumzustehen. Oder man ersteht online den Flachbildschirm, den man gerne an der dafür vorgesehenen Warenausgabe abholen möchte, um dann dort festzustellen, dass man doch ins überfüllte Einkaufszentrum muss.

Das alles klingt nach großen Shoppingflächen, die der moderne Mensch mehr oder weniger notgedrungen ansteuert, weil er seine Einkäufe gerne in Bausch und Bogen an einem Tag erledigt. Warum dann nicht zum kleinen Geschäft abseits der Massen, um das gesuchte Weihnachtsgeschenk in Ruhe zu erstehen? Ja, aber woher soll man wissen, was zu haben ist, wenn man mangels professionellen Internetauftritts nicht stöbern kann?

Gerade, dass die Kunden oft einen Informationsvorsprung haben, wolle die Branche vor allem im stationären Bereich vielfach nicht wahrhaben, sagt Heinemann. Passt es in den Kram, kommen sie trotzdem ins Geschäft. Was wollen sie dann dort? Jemanden, der auch Wünsche erfüllt, die ein wenig vom Durchschnitt abweichen. Jemanden, der sagen kann, ob sich die Investition in das teurere Gerät lohnt. Für das Nullachtfünfzehn-T-Shirt, das man überall zu Schleuderpreisen bekommt, bezahlen er und sie nicht 20 Prozent mehr – nur, damit kleine Geschäfte nicht aussterben.

"Haben wir nicht, machen wir nicht", ist auch kein gutes Verkaufsargument. In endlosen Schlangen stehen, obwohl man seine Bluse ohnedies selbst gefunden und probiert hat, will man auch nicht.

Die Kunst liege darin, das Beste aus allen Welten miteinander zu verbinden, sagt Heinemann. Es gebe viele Möglichkeiten zu punkten. Man müsse sich nur ein wenig in der Welt umsehen. In Großbritannien ist etwa gang und gäbe, vor Ort im Onlineshop einzukaufen und nach Hause oder in die nächstgelegene Filiale liefern zu lassen, wenn die Ware im Geschäft nicht lagernd ist.

An der Kassa ist auch Selbstbedienung angesagt. Bei echtem Beratungsbedarf gibt es dafür "Personal, das echt gut drauf ist". Kunden zahlen extra dafür. Cityhändler tun sich bei der Lieferung mit Fahrradboten zusammen und bringen den Anzug nach Hause. Manches davon ist komplizierter einzurichten, manches einfach. Alles kommt den Kunden zugute. So etwas kann nicht nur ein Amazon, sagt Heinemann.

Kopf in den Sand

Warum das in unseren Breiten höchstens ansatzweise klappt? Viele Händler stecken den Kopf in den Sand. Dabei könnten das Match um die Kunden nicht nur die Riesen gewinnen. Nicht wenige Buchhändler sind online inzwischen so gut oder sogar besser als Amazon. Auch im dazugehörenden Geschäft ist alles bestens. Wer wirklich auf seine Kunden schaut, macht das nämlich überall.

Einiges spricht dafür, dass da in vielen Branchen noch viel Luft nach oben ist. Zalando etwa schaffte es bei einer Umfrage des ECC-Instituts nach der Zufriedenheit mit dem Webshop nicht unter die Top Ten. Gekauft wird trotzdem. Das kann nur heißen, dass der Kunde sich noch gerne abholen lässt – auch vom Fachhändler, so dieser die Bedürfnisse erkennt. Und selbstverständlich muss man zeigen, was man kann – das Eferdinger Trio zeigt vor, wie das geht.

Nestlé hat in Japan übrigens Roboter Pepper in den Verkauf geschickt. Der schaut bei "blöden" Arbeiten nicht einmal grantig drein. Der Kunde ist dort nicht König, sondern Gott. Ihre Vorstellung vom guten Umgang mit ihm beschreiben Japaner mit dem Wort Omotenashi – heißt in etwa: Kunden aus tiefstem Herzen und selbstlos glücklich machen.

Während Pepper brav Dienst nach Vorschrift macht, ist für Omotenashi Zeit und Platz: Solche Fürsorge kommt wohl weltweit bei Kunden an. Und wenn es nur darum geht, ohne großes Gewese ein spezielles Radio von Mattersburg nach Wien zu schicken. (Regina Bruckner, 13.12.2015)