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Hauptsache Pita, die Füllung variiert.

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Eyal Shanis Restaurants sind so unkonventionell wie hip.

Foto: Georges Desrues

Karfiol wird bei Shani mit Olivenöl im Ofen gebacken und im Ganzen serviert.

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Wenn Eyal Shani über den Tel Aviver Carmel-Markt spaziert, bilden sich augenblicklich Menschentrauben. Jeder will ihm die Hand schütteln, ihm auf die Schulter klopfen, sich mit ihm fotografieren lassen.

Händler reichen ihm Lebensmittel und fordern ihn auf, von ihrem Käse, ihrem Hummus oder ihrem Gemüse zu kosten. "He, Tomatenkönig, probier doch mal diese Tomate, so etwas hast du noch nie gegessen", ruft einer von ihnen. Shani lacht und beißt hinein. "Ein paar Leute nennen mich immer noch Tomatenkönig, weil ich im Fernsehen einmal mit Bergen von Tomaten gezeigt wurde. Aber in Wahrheit bin ich Gemüsekönig", erklärt der Koch, der am 11. Dezember ein neues Restaurant in Wien eröffnete.

Dass dem 56-Jährigen sein Starruhm alles andere als unangenehm ist, merkt man auf den ersten Blick. Zu verdanken hat er ihn dem Fernsehen, genauer gesagt der erfolgreichen israelischen Kochsendung "Masterchef". In jeder der drei bisher gezeigten Staffeln trat der charismatische Shani als Juror auf und wurde durch seine leidenschaftlichen Ausführungen schlagartig und landesweit berühmt.

"Als ich in den 1980er-Jahren als Koch begann und mein erstes Restaurant eröffnete, gab es so gut wie keine qualitätsorientierte Lebensmittelproduktion in Israel", sagt der Autodidakt Shani, "damals bestimmten noch die großen Kibbuze, was erzeugt wurde. Dabei ging es in jedem Fall um Masse – Masse, um die Bevölkerung zu ernähren, Masse, um immer mehr exportieren zu können." Deswegen wandte er selbst sich vorerst an die Araber im Land, die im Unterschied dazu noch Kleinproduktionen aufrechterhielten und hochwertigere Lebensmittel erzeugten. "Das Gemüse der Araber war viel aromatischer, saftiger, gehaltvoller als das, was die Israelis produzierten", sagt er.

Lass die Blume ganz

Dass er sein Qualitätsbewusstsein nicht nur in blumige Sprüche packt, zeigt sich am deutlichsten bei einem Besuch in einem beliebigen seiner inzwischen acht Lokale in Tel Aviv. Diese beruhen zwar auf unterschiedlichen Konzepten, bieten aber allesamt eine Küche, die von beeindruckender Sorgfalt geprägt ist, und zwar sowohl, was die Auswahl der Produkte betrifft, als auch im Bezug auf ihre gekonnte und schonende Zubereitung.

Einer seiner Signature-Dishes ist ein Karfiol, den er bis zu einem bestimmten Grad weichkocht, dann sanft mit Olivenöl einreibt, im Rohr bäckt und im Ganzen serviert. "Er heißt wie eine Blume und sieht aus wie eine Blume. Wer würde seinen Gästen eine in ihre Einzelteile zerlegte Blume überreichen?", fragt Shani. Der Blumenkohl ist knusprig und butterweich zugleich. Ein Gericht von nahezu biblischer Einfachheit, aber perfekt in der Ausführung.

"Eyal mag ein bunter Vogel und eine schrille Persönlichkeit sein, ist zugleich aber auch ein wahres Genie", sagt die Herausgeberin von Israels bedeutendstem Food-Magazin, die Journalistin und Kochbuchautorin Janna Gur, "für die Entwicklung der israelischen Küche hat er jedenfalls mehr getan als irgendjemand sonst." Durch Shani sei gutes Essen in die Mitte der Gesellschaft gerückt, durch ihn würden junge Leute sich für den Kochberuf interessieren, und durch ihn seien Lokalbesuche sowie das Gespräch über Essen zu einem der liebsten Zeitvertreibe der Israelis geworden. Als Vater der israelischen Küche würde Gur den Koch dennoch nicht bezeichnen.

"In Wahrheit ist es noch zu früh, über so etwas wie eine israelische Küche zu sprechen, dafür sind unser Land und unsere Nation noch viel zu jung", sagt sie. Das Spannungsfeld zwischen althergebracht und neu, zwischen einer jahrtausendealten Kultur wie der jüdischen und einer blutjungen Nation wie Israel, ist eines, das die Menschen schon vor der Gründung des Staates Israel beschäftigt hatte.

Bereits Theodor Herzl, der Erfinder des politischen Zionismus, schrieb einen utopischen Roman mit dem vielsagenden Titel "Altneuland", in dem es nicht zuletzt darum geht, wie das multikulturelle Erbe der verschiedenen Länder, aus denen die Juden nach Israel einwandern, zu einem einzigen Ganzen, zu einer einheitlichen Nation zusammengeführt werden könnte. Heutzutage spiegelt sich diese Spannung auch in der Küche des Landes wider.

Vergessene Tradition

So finden sich inzwischen in Tel Aviv, abgesehen von ein paar Ausnahmen in Form von historischen Lokalen, kaum mehr Restaurants, die die traditionelle Küche der Aschkenasim hochhalten, also jene der aus Ost- und Mitteleuropa stammenden Juden, deren Küche in so vielen Aspekten an die österreichische beziehungsweise Wiener Küche erinnert. "Freilich stimmt es, dass die aschkenasische Küche heute weit weniger präsent ist als noch vor zwanzig Jahren", bestätigt die Journalistin Janna Gur, "die ältere Generation, die noch mit Eintopfgerichten wie Tscholent, mit gefülltem Karpfen und Gänseschmalz aufgewachsen ist, stirbt langsam aus. Und die Jungen fühlen sich einfach viel mehr angesprochen von der gesünderen, auf Gemüse, frischen Kräutern und Olivenöl gründenden Küche der Levante."

Zudem gebe es im Unterschied zu New York kaum junge Küchenchefs, die sich von dieser Küche inspirieren ließen, sie durch neue Kreationen weiterentwickelten und am Leben hielten, was, so Gur, freilich zu bedauern sei, aber eben in der Natur der Sache liege. Schon allein deswegen, weil die schwere Küche der Ost- und Mitteleuropäer gar nicht in das heiße israelische Mittelmeerklima passe.

In manchen Lokalen wie dem äußerst angesagten Santa Katarina nahe der Großen Synagoge setzt man auf den Tabun, eine Form des Ton-Ofens, wie sie in dieser Region schon in vorbiblischer Zeit verwendet wurde. Im gleichfalls angesagten Romano bevorzugt man die Plancha, also die spanische und somit ebenfalls typisch mediterrane Grillplatte, die zur Zubereitung von Fleisch, Fisch und Gemüse dient. Und in vielen anderen Lokalen sind es Holzkohlen, über denen die Kebabs und sonstigen Spieße gebraten werden.

Ohne Zwang

Zwei weitere Aspekte stechen bei einer Erkundung der Tel Aviver Lokalszene gleichermaßen ins Auge: zum einen die im Vergleich zu früheren Jahren relative Bedeutungslosigkeit der koscheren Essensregeln und zum anderen die Ungezwungenheit in Sachen Tisch- und Verhaltensregeln im Restaurant.

"Zumindest in Tel Aviv gibt es heute kaum noch Leute, die großen Wert auf koscheres Essen legen", bestätigt Yoni Marmelbaum, der Besitzer des angesagten Fischlokals Barbunia auf der belebten Ben-Yehuda-Straße, "als mein Vater hier vor 25 Jahren eröffnete, aßen die Leute zwar bereits gerne Tintenfische, nur wollten sie diese in kleine Ringe geschnitten und möglichst ohne die Tentakel serviert bekommen, um nicht daran erinnert zu werden, dass sie Meeresfrüchte essen, die nicht koscher sind."

Darum galt es auch als regelrechte Sensation, als Herr Marmelbaum senior ein Gericht ausschließlich aus frittierten Tentakeln servierte. Heute stehen Tintenfische inklusive Tentakeln in den allermeisten angesagten Lokalen auf der Karte, genauso wie die gleichfalls nicht koscheren Muscheln, Garnelen und Cheeseburger. Ja, sogar Schweinefleisch findet sich immer wieder, wenn auch weniger häufig als die zuvor Genannten.

Keine Tischtücher, Besteck oder Teller

Und was die Förmlichkeiten und Tischsitten im Restaurant betrifft, so muss man sich hierzulande darauf einstellen, dass sie vielerorts gänzlich ignoriert werden. Viele der besten Lokale wirken auf den ersten Blick wie reine Szenebars, man sitzt gedrängt an Hochtischen, isst bisweilen sogar stehend. Ein DJ sorgt für lautstarke Musikuntermalung, das durchwegs junge Küchen- und Servierpersonal zeigt Piercings und Tätowierungen. Auf Tischtücher wird selbstverständlich verzichtet, auf Teller und Besteck häufig ebenso.

Stattdessen kommt vieles einfach auf einem Blatt Papier oder einem Pappendeckel auf den Tisch, und es werden immer wieder Papierservietten gebracht, damit man sich die unvermeidlichen Essenspatzer aus dem Gesicht und von den Fingern wischen kann. Zudem wird vieles nach nah-östlicher Tradition in kleinen Schüsseln serviert, in die alle Gäste eines Tisches ihr Fladenbrot eintauchen.

In Europa würde man angesichts eines derartigen Bar- oder Pub-ähnlichen Ambientes annehmen, dass Essen hier eine eher untergeordnete Rolle spiele – nicht so in Tel Aviv. "Das Essen mit den Händen ist gewissermaßen in unserer DNA, genauso wie die Küche haben wir eben auch die Tischsitten von den Arabern übernommen", sagt Shani, der überzeugt ist davon, dass die europäischen Küchenstile der Vorfahren in Israel mit der Zeit verschwinden werden und nur wenige Ausnahmen überleben.

"Viel zu viele Israelis glauben nach wie vor, dass wir uns an Amerika oder Europa orientieren sollten, dass es uns also um Macht und Herrschaft gehen sollte", sagt der Unternehmer, "aber früher oder später werden wir uns anpassen. Wir leben hier in einem ganz anderen Klima, in einem komplett neuen Land, in einem völlig verschiedenen Kulturkreis. Und das wird mit der Zeit in unserer Küche und damit in unserer Identität immer stärker zum Ausdruck kommen." (Georges Desrues, RONDO, 09.01.2016)