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US-Verteidigungsminister Ashton Carter (li.) und Generalstabsvorsitzender Joseph Dunford im Verteidigungsausschuss: Wie nach Syrien werden nun auch in den Irak Spezialkräfte entsandt.

Foto: AFP PHOTO/BRENDAN SMIALOWSKI

Bagdad/Wien – Um die Republik Irak – zwölf Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins ein Staat ohne Gewaltmonopol, ohne Kontrolle über große Teile seines Territoriums und über seine Grenzen – ist ein seltsamer Wettbewerb ausgebrochen: Wer darf die irakische Souveränität noch ein Stück weit aushöhlen – die besten Freunde in Teheran oder doch die besten Freunde in Washington? Zwischendrin sitzt der schwache Premier Haidar al-Abadi und versucht, es beiden Freunden recht zu machen – und den Anschein zu wahren, dass die irakischen Truppen allein die Stadt Ramadi vom "Islamischen Staat" (IS) befreien können. Damit die USA ihn aus der Luft unterstützen, muss er die vom Iran abhängigen und oft auch geführten schiitischen Milizen vom Schlachtfeld fernhalten.

Diese schießen sich auf die USA ein, die angekündigt haben, nach Syrien nun auch im Irak eine Gruppe SOF (Special Operation Forces) in Stellung zu bringen. Die Rede ist von über 50 und unter 200 Mann, US-General Steven Warren nannte die Zahl 100. Sind das nun Bodentruppen oder nicht? US-Präsident Barack Obama besteht auf dem Unterschied: "Boots on the ground", Stiefel am Boden, das wären "Bataillone, die durch die Wüste marschieren", sagte er in einem CBS-Interview am Donnerstag. Die Elitesoldaten hingegen sind für – wie ihr Name ja sagt – spezielle Operationen gedacht, auch gegen den IS und auch in Syrien. Die Staatsgrenze gibt es ja ohnehin nicht mehr.

Abgesprochen oder nicht

Hatte US-Außenminister John Kerry zu Wochenmitte beteuert, dass die Entsendung der SOF selbstverständlich mit Bagdad abgesprochen sei, so wurde aus Abadis anfangs allgemein gehaltenem "Wir brauchen keine fremden Truppen" am Donnerstag ein Facebook-Eintrag, der so einen Einsatz als "feindlichen Akt" bezeichnete. Die USA haben ja auch kein Truppenstationierungsabkommen mit dem Irak mehr, allerdings einen Vertrag über strategische Zusammenarbeit.

Abadi steht unter großem Druck. Die Volksmobilisierungseinheiten, wie die schiitischen Milizen heißen, machen ihm auch politisch das Leben schwer. Sie stehen seinem Vorgänger, Expremier Nuri al-Maliki, den Abadi im Rahmen eines Sparprogramms als Vizepräsident entlassen hat, nahe: Momentan versuchen sie ein neues Budget für das Jahr 2016 zu erzwingen, das ihnen mehr Geld garantieren würde.

Dass die USA ihr militärisches Engagement im Irak herauffahren, hat allerdings vor allem mit der russischen Intervention in Syrien zu tun: Seitdem gibt es verstärkt Stimmen im Irak – und es sind die Iran-freundlichen -, die sich ein russisches Eingreifen auch im Irak wünschen würden. Das ist stets verbunden mit dem Hinweis, dass die US-Versuche, den IS zu schlagen, immer halbherzig geblieben seien.

Rund um Ramadi, das der IS im Mai 2015 erobert hat, haben die USA ihre Luftangriffe in den letzten Wochen verstärkt. Zwar haben die irakischen Streitkräfte Ende November eine strategisch wichtige Euphrat-Brücke im Nordwesten der Stadt eingenommen, aber seitdem stockt laut Institute for the Study of War die Offensive.

Die schiitische Miliz Asaib Ahl al-Haq nennt das verstärkte US-Engagement ein "Projekt, die Souveränität des Irak zu beschädigen und dessen Volk zu unterjochen", berichtet die Zeitung Al-Mada. Mit der iranischen Präsenz – die wiederum die arabischen Sunniten beunruhigt – haben diese Kräfte hingegen keinerlei Probleme. Und sie gewinnen an Einfluss.

Spannungen und sogar tödliche Zusammenstöße gab es zuletzt zwischen kurdischen Peschmerga und schiitischen Milizen, die zwar an der gleichen Front gegen den IS kämpfen, aber darüber differieren, wer Kirkuk kontrollieren soll: Die kurdischen Sicherheitskräfte waren ja im Sommer 2014 in die umstrittene Stadt vorgerückt, nachdem die irakische Armee das Weite gesucht hatte. Im November gerieten Schiitenmilizen und Peschmerga in Tuz Khurmatu aneinander, es gab tagelange Gefechte. Iranische Vermittler traten auf den Plan, während Bagdad abgemeldet blieb.

Iraner stürmen die Grenze

Ein für manche Iraker alarmierender Vorfall ereignete sich vor einigen Tagen am iranisch-irakischen Grenzübergang Zarbatiyah: Zehntausende iranische Pilger – auf dem Weg nach Kerbala zur jährlichen Arbain-Wallfahrt – trafen dort ohne Visa ein, ließen sich jedoch von den irakischen Posten nicht aufhalten und überrannten die Grenzanlagen. Das irakische Innenministerium beschuldigte den Iran, die Pilger absichtlich und in einer solchen Masse an die Grenze gebracht zu haben. Offenbar besteht der Verdacht, dass der Iran eine offene Grenze für seine Pilger erzwingen will. Seit dem Sturz Saddam Husseins reisen jährlich Millionen Iraner zu den schiitischen Stätten im Irak. (Gudrun Harrer, 4.12.2015)