Elisabeth Zenz arbeitet in Schulen und Kindergärten als Clownpädagogin. Kinder sollen dabei motiviert werden, abseits des gängigen Leistungsideals zu agieren.

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Wien – Elisabeth Zenz wird dafür bezahlt, sich in Schulklassen und Kindergärten so richtig aufzuführen und damit auch noch die Kinder anzustecken. Regeln des ordentlichen Benehmens werden außer Kraft gesetzt. Kinder, die sonst als verhaltensauffällig gelten, brillieren plötzlich.

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Das Gefühl, dass Erwachsene Kraft ihres Alters automatisch als Autoritäten gelten müssen, lässt Zenz erst gar nicht aufkommen. Elisabeth Zenz heißt dann Liz Sixsensius, trägt eine rote Nase, herzförmig geschminkte Lippen und kombiniert ein grünes Karo-Sakko mit einem schwarz-weiß gestreiften T-Shirt. Die 30-Jährige ausgebildete Kindergartenpädagogin, Clownin und Performerin hat sich selbst vor gut vier Jahren zur Clownpädagogin ernannt.

Die Spaßmacher sind zurück

Der Clown, der lange Zeit nur noch als Spaßmacher im Zirkus anzutreffen war, ist in viele Bereiche des Lebens zurückgekehrt. Am geläufigsten sind Klinikclowns, deren Relevanz vor allem für langfristig und chronisch kranke Kinder längst allgemein anerkannt ist.

Auf vielen Kinderstationen sind die Auftritte der Klinikclowns fixer Bestandteil des Spitalsalltages. Workshops, in denen es darum geht, den eigenen inneren Clown zu entdecken, werden nicht nur von Menschen besucht, die eines Tages im Zirkus landen wollen. Selbst in Trainings für Führungskräfte wird die professionelle Clownerie betrieben. Und immer öfter wird den Gauklern auch in Schulen und Kindergärten eine Bühne geboten.

Der Clown ist eine kulturhistorische Figur, die in der einen oder anderen Gestalt – etwa als Hofnarr oder Harlekin – in vielen Gesellschaften seinen Platz eingenommen hat. Bei den Ureinwohnern Amerikas hatte der Heyoka etwa die Aufgabe, die Menschen zu unterhalten und durch sein Verhalten das Gegenteil zu herrschenden Konventionen aufzuzeigen. Manche sehen die Ursprünge des Clowns in der Figur des Götterboten Hermes.

Lob fürs Scheitern

Der Anthropologe Constantin von Barloewen schreibt dem Clown revolutionäres Potenzial zu: "Eine Kultur, die Fantasien und Utopien nicht mehr unmittelbar integrieren kann, braucht Clowns, die verbotene Passagen vermitteln, die an der Schwelle stehen und zu einer neuen Ordnung führen wollen." Weitergehen statt verharren, im Jetzt leben und sich über die kleinen Dinge zu freuen, so beschreibt Zenz die Lebensphilosophie des Clowns.

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Im Christentum war die Clowngestalt verpönt, weil sie – so wie alle Konventionen – die "göttliche Ordnung" infrage stellte und das sittliche Verständnis der Kirche konterkariert. Im öffentlichen Bewusstsein sind Clowns üblicherweise männlich. Frauen haben althergebrachten Vorstellungen folgend fürsorglich zu sein und müssen Ordnung halten – ein grober Widerspruch zur Clownfigur. Der Clown hingegen macht laut Clownlehrer David Gilmore "genau das, wovor alle Angst haben". Er gibt sich hin, einem Spiel, einem Gefühl. Er stolpert, er versagt, er blamiert sich, er scheitert.

In ihren Workshops erteilt Zenz Schülern und Kindergartenkindern die Lizenz zum Scheitern und lobt sie auch noch dafür. "Genau in diesem Raum zum Scheitern entwickeln Leute ein unglaubliches Potenzial, weil sie keinen Druck mehr haben." Kinder sollen entdecken, was ihnen Spaß macht, was ihnen leicht von der Hand geht. Sie sollen ermutigt werden, Dinge selbstständig zu machen und zu kreieren. Sie bekommen Zuspruch für Erfindungen, die in der "normalen Welt" nicht anerkannt werden. Den gewonnenen Mut sollen die Kinder in den Schulalltag mitnehmen.

So werden etwa im Spiel "Was wir heute machen" alle Ideen der Kinder kompromisslos angenommen. "Wir hören so oft, was alles nicht geht, das Ja stärkt Kinder", erklärt Zenz. Die Kinder dürfen ihrer Fantasie freien Lauf lassen. Die Möglichkeit, die "verbotenen" Dinge sagen zu dürfen, bietet außerdem ein Ventil, aber auch die Chance, Ängste los zuwerden.

Heilsamer Humor

Humor wird auch therapeutisch angewandt. Der Neurologe und Psychiater Viktor Frankl prägte den Begriff der paradoxen Intention. "Dabei wird versucht, einen psychischen Zustand, etwa eine irrationale Angst, mittels Humor auszuhebeln", sagt Heidemarie Zürner, Logopädagogin und Vorständin des Viktor-Frankl-Zentrums in Wien. Diese nicht adäquate Angst soll vom Patienten ausgelacht werden, denn: "Wenn man über etwas lachen kann, kann man sich nicht gleichzeitig davor fürchten", sagt Zürner.

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In ihrer Arbeit sieht Zenz die Möglichkeit, nachhaltig Konstellationen in Klassengemeinschaften zu verändern. Zentral dabei ist stets der wohlwollende Blick auf jeden Einzelnen. Plötzlich werden Außenseiter von den Klassenkollegen mit anderen Augen gesehen. "Und jene, die sehr beliebt sind, haben die Chance, sich in einer anderen Rolle wahrzunehmen. Es treten Seiten an Menschen zutage, die im konventionellen Unterricht verborgen bleiben", sagt Zenz.

Clownpädagogik kommt auch dann zum Einsatz, wenn sehr ernste Herausforderungen zu bewältigen sind. Zenz arbeitet mit Kindern, die mit ihren Müttern in Frauenhäusern leben. Was sie dort als ihre Hauptaufgabe sieht? "Den Kindern im Frauenhaus geht es größtenteils darum, dass sie gesehen und gehört werden." Zenz versucht Situationen zu schaffen, in denen viel gelacht wird. "Ich versuche alles, was traurig und schwer ist, rauszuputzen und die Kinder mit neuen Perspektiven und Freuden aufzufüllen."

Selbstbewusstseinsstärkung

In Salzburg hat sich die 41-jährige Schauspielerin Karoline Heinrich als Clownpädagogin selbstständig gemacht. Sie arbeitet in Behinderteneinrichtungen, in Schulen und in Kindergärten. Neben den klassischen Workshops, die auf die Stärkung des Selbstbewusstseins abzielen, wird Heinrich mit ihrem Team gerufen, wenn in einer Schulklasse schwere Fälle von Mobbing vorliegen und Bemühungen von Lehrern, Psychologen und Sozialarbeiten nicht gefruchtet haben.

Die Kinder sollen erleben, was es bedeutet, von den anderen gemobbt zu werden. Im Rahmen des Spiels wird jeder Einzelne vom Rest der Gruppe gehänselt und gestoßen. "Wichtig ist, dass die erlebte Situation und die dabei entstandenen Gefühle sofort besprochen werden", sagt Heinrich.

Auch die Lehrer selbst werden als Teil der Intervention gemobbt, die Schüler dürfen zunächst allerdings nicht eingreifen. "Die Schüler sind besonders entsetzt, wenn wir Clowns ihre Klassenlehrerin beschimpfen." In einer zweiten Runde dürfen die Schüler eingreifen, dabei entwickeln sie Handlungsstrategien gegen Mobbing. Ziel des Seminars ist, die Klassengemeinschaft mit einem Erfahrungsrepertoire auszustatten, auf das Schüler und Lehrer gegebenenfalls zurückgreifen können. (Katrin Burgstaller, 5.12.2015)