"Elend und Vernichtung", wenn in autoritären Strukturen Hilfe gegen Angst gesucht wird: Psychiaterin Karin Gutierrez-Lobos.

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Karin Gutierrez-Lobos, Professorin für Psychiatrie und bis Oktober Vizerektorin an der Medizinischen Universität Wien, wo sie die Personalentwicklung aufbaute, im Gespräch über Führungskräfte als Angstbewältigungsmanager.

STANDARD: Angst ist ja als Impuls zweckdienlich, um uns zu schützen. Derzeit scheint sie aber ubiquitär zu sein und sich überall einzunisten. Was passiert da?

Gutierrez: Wir haben so gewaltige Anstrengungen unternommen, um uns gegen Krankheiten, Unfälle, Terror abzusichern – und viele fühlen sich jetzt dieser errungenen vermeintlichen Sicherheit beraubt. Trivial gesagt tritt die Erkenntnis ein, dass das Leben lebensgefährlich ist. Das macht Angst, die überall präsent ist, überall zutage tritt, auf vielen Ebenen: Jobangst, Angst, nicht in Sicherheit leben zu können, Unsicherheit und Angst bei den grundsätzlichen Fragen über die Entwicklung der Welt, des Planeten. Das Problem ist einerseits, dass Angst bekanntlich ein schlechter Ratgeber ist, weil Lähmung einsetzt und alles, was zu einem gelingenden, gesunden Leben gehört, wie Freude und Kreativität, hemmt oder sogar verunmöglicht. Andererseits glauben wir offenbar, dass wir Angst mit dem Drehen an Kontrollschrauben in den Griff bekommen können. Wir betreiben sozusagen technische Angstabwehr. Das ist gefährlich, weil instabile Situationen hohe Manipulationsgefahr in sich tragen – das kann man beispielsweise sehr gut am laufenden Überwachungsdiskurs sehen. Wo viel Angst ist, wo die Vulnerabilität so groß wird, treten erfahrungsgemäß gerne autoritäre Maßnahmen auf. Das lässt sich in Unternehmen in Schieflage oder in großen Transformationserfordernissen ja auch gut beobachten.

STANDARD: Dazu gibt es ja ausreichend Studien à la "Stress macht Chefs autoritär" ... Und wie ist ihr beizukommen, der Angst, wie lässt sich ihr die Nahrung entziehen?

Gutierrez: Es geht immer darum, Vertrauen zu reaktivieren. Das ist eine komplexe Geschichte, beginnt aber in einem selbst, bei der Arbeit am Selbstwert und der Haltung – das hat im weitesten Sinn mit Liebe zu tun (um indirekt Freud zu zitieren) und setzt sich dann gesellschaftlich fort. Dialog, Respekt und Wertschätzung sind die Zutaten, die Antworten auf die Fragen "Wie leben wir miteinander?" und "Wie weit können wir andere Lebensweisen akzeptieren?" geben. Es geht nur, gelingt nur, wenn wir uns auf Solidarität und Miteinander besinnen. Freiheit und Sicherheit sind niemals mit dem Weg in die Unfreiheit zu erhalten, das führt nur in Elend und Vernichtung.

STANDARD: In einer auf Superkonkurrenz getrimmten Welt, in der es dauernd um Gewinnen oder Verlieren geht, sind solche Einladungen, so ein Zugehen aufeinander schwierig ...

Gutierrez: Die Wurzel negativer Entwicklungen ist Runtermachen und Abwerten. Da schließt sich der Kreis von Druck und Neid zur Angst. Soziale Spaltungen, das Wie des Miteinanders gehören deswegen ganz oben auf die Agenda des Managements und der Politik. Es ist auch die Frage zu stellen: Wie sieht denn ein guter Gewinner aus? Die Ahnung, dass es künftig weniger geben wird, hat sich ja mittlerweile verbreitet.

STANDARD: Und wie sieht der Preis des Sieges aus?

Gutierrez: Dazu ist Konfliktfähigkeit ein zentrales Mittel – wer Konflikte ignoriert oder als etwas Böses statt als Quelle für Kreativität und Neues sieht, wird auch nicht wirklich gewinnen können und der Angst Nährboden verschaffen. Das ist natürlich eine zentrale Führungsaufgabe, sich als Führungskraft mit solchen Irrtümern bezüglich Konflikten zu beschäftigen.

STANDARD: Führungskräfte als Angstbewältigungsmanager?

Gutierrez: Ja, für Führungsaufgaben sollte niemand ausgewählt werden, der davon gar nichts versteht. Es ist durch und durch Aufgabe des Managements, Ängste zu handeln. Es ist bekannt, was krank macht, und die steigenden Zahlen an psychischen Erkrankungen etwa durch Burnout und Mobbing liegen auf dem Tisch. Ebenso die zunehmenden Spaltungen – allein schon hinsichtlich der Ungleichheit in Einkommens- und Vermögensverteilung. Angst wohnt auch nicht in irgendeiner Schublade, sondern wird sehr schnell zum generellen Lebensgefühl. In Unternehmen ist der beste Anfang, sich ernsthaft mit dem Gegenüber auseinanderzusetzen. Es gibt keinen anderen Weg – und wir wissen, wohin es führt, wenn wir an autoritäre Strukturen als Hilfe und Rettung glauben. Im Organismus Unternehmen wie auch gesamtgesellschaftlich und auf staatlicher Ebene. (Karin Bauer, 7.12.2015)