Wer aus Mexiko in die USA emigriert, bekommt ein Jausenpaket in den Zug geworfen: Arturo González Villaseñors Dokumentarfilm "All of Me" thematisiert eine ungewöhnliche Form der Flüchtlingsunterstützung.

Foto: Rise and Shine World Sales

"All of Me" / Trailer

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"In Bloom" / Trailer

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"Haunted" / Trailer

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Wien – Wenn in einer Geschichte eine Waffe auftaucht, ist auch von deren Verwendung auszugehen. Umso mehr, wenn es sich um eine Pistole handelt, die beständig zwischen zwei Mädchen hin und her wechselt, welche inner- wie außerhalb ihrer Elternhäuser mit Gewalt konfrontiert werden. Der während des georgisch-abchasischen Krieges in Tiflis spielende Coming-of-Age-Film In Bloom, der beim vom 3. bis 11. Dezember in Wien zu besuchenden Festival This Human World gezeigt wird, macht sich die so erwachsenden Publikumsbefürchtungen geschickt zunutze.

Erzählt wird von den Freundinnen Eka und Natia. Das Brot ist knapp, die Väter sind Säufer oder im Gefängnis, 14-jährige Mädchen Heiratsmaterial. Ihre Rollen in dieser Welt zu finden, ohne sich aufzugeben, das ist die Herausforderung, der sich Eka und Natia stellen müssen. Wie es ihnen auf unterschiedliche Weise gelingt, zeigen die Filmemacher Nana Ekvtimishvili und Simon Groß unaufgeregt und doch eindringlich – mit einer Pistole und einem Tanz.

Frauen stehen auch im Zentrum von Arturo González Villaseñors Dokumentarfilm All of Me. Die Heldinnen der mexikanischen Produktion haben ihre Lebensaufgabe jedoch bereits gefunden. Selbst in einem von Perspektivenlosigkeit geprägten Landstrich lebend, richten sie tagtäglich Jausenpakete, um damit Migranten auf ihrem Weg zur US-Grenze zu unterstützen. Im wahrsten Sinne des Wortes reißen die an Frachtzügen hängenden Männer den Frauen im Vorbeifahren Essen und Wasserflaschen aus den Händen. Wer abspringt und es nicht mehr auf den Zug schafft, wird umgehend zum nächsten Bahnhof gebracht. Die Motive der Helferinnen mögen unterschiedlich sein, Respekt nötigt einem ihr Einsatz aber in jedem Fall ab.

Neuer Österreich-Preis

Beide Filme, In Bloom und All of Me, sollen die Aufmerksamkeit auf Regionen lenken, deren Filmproduktionen vergleichsweise wenig Beachtung finden. Sowohl der Kaukasusregion wie auch dem lateinamerikanischen Kino widmet das im achten Jahr seines Bestehens gut etablierte Festival einen Schwerpunkt. Dass ihm zugleich auch die Unterstützung des heimischen Films ein Anliegen ist, verdeutlicht die erstmalige Verleihung eines Jurypreises für österreichische Produktionen. Ein internationaler Jurypreis und ein Publikumspreis stehen auch heuer wieder zur Vergabe.

Mit dem Ziel, ein Bewusstsein für gesellschaftspolitische Herausforderungen zu bilden, präsentiert sich das heurige Programm konzentrierter, ohne dass das Team um Zora Bachmann und Julian Berner auf Schwerpunkte und ein umfangreiches Rahmenprogramm verzichtet hätte. Neben Themen wie Armut und Arbeit wird wie im Vorjahr auch der diversitysensiblen Pornografie Platz gegeben. Vieler dieser Arbeiten werden wohl später nicht mehr im regulären Betrieb zu sehen sein.

Dringlicher erscheint freilich die Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Flüchtlingsbewegungen, auch und gerade weil diese die öffentliche Auseinandersetzung dieser Tage dominieren. Schließlich hat kein Nachrichtenbeitrag den Raum, um zu leisten, was ein Film wie etwa Liwaa Yazjis Dokumentation Haunted vermag. Neben schon fast unwirklichen Bildern der Zerstörung zeigt die syrische Regisseurin in ihrem ersten Film Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten oder kurz davor sind. Im Mittelpunkt steht dabei der Verlust der Heimat. Was nimmt man mit, was lässt man zurück? Und kann es für jene, deren Zuhause zerstört wurde, jemals wieder so etwas wie eine Heimat geben? Auch wenn diese Fragen unbeantwortet bleiben müssen, so ist es doch wichtig, sie zu stellen. (Dorian Waller, 2.12.2015)