Bei der Buntbarsch-Art Tropheus moorii haben sich Geschlechtsunterschiede über die Generationen hinweg stetig verringert, die Weibchen sind größer, bunter und territorialer geworden. Heute gilt: Der Größere setzt sich durch, egal ob männlich oder weiblich.

Foto: Wolfgang Gessl

Graz – Buntbarsche sind eine Fischfamilie, die mit ihrem Farben- und Formenreichtum nicht nur das Herz vieler passionierter Aquarianer erfreuen, sondern auch Evolutionsbiologen eine ausgedehnte Spielwiese für die verschiedensten Fragestellungen bieten. An der Universität Graz wird an ihnen unter anderem erforscht, wie neue Arten entstehen.

Was Buntbarsche oder Cichliden so attraktiv macht, ist der Umstand, dass es hunderte verschiedene Arten von ihnen gibt, die sich sowohl im Aussehen als auch im Verhalten oft dramatisch unterscheiden. Allein der ostafrikanische Tanganjikasee beherbergt rund 250 Buntbarsch-Arten, und die meisten davon sind endemisch, kommen also nur dort vor.

Anhand einer davon, der Buntbarsch-Art Tropheus moorii, untersucht Kristina Sefc vom Institut für Zoologie der Universität Graz die Evolution und Funktion von Körperfärbung. Die Fische sind circa acht Zentimeter lang und ernähren sich von Algen, die sie von Steinen abschaben. Jedes Individuum beansprucht dabei ein eigenes kleines Revier, das entschlossen gegen Eindringlinge verteidigt wird.

Bei den Vorfahren dieser Art unterschieden sich die Geschlechter noch deutlich: Die Männchen waren groß, bunt gefärbt und territorial, während die Weibchen kleiner, optisch unauffällig und verträglich waren. Heute sind beide Geschlechter gleich groß, gleich gefärbt und gleich streitbar, wenn es um ihr Revier geht. Um festzustellen, wie es zu dieser Entwicklung kam, untersuchten Sefc und ihre Mitarbeiter das Revierbehauptungsverhalten von Männchen und Weibchen im Detail.

Soziale Selektion

Dabei stellte sich heraus, dass beide Geschlechter mit denselben Mitteln kämpfen, allem voran mit Drohgebärden, bei denen sie ihrem Gegenüber ihre Körpergröße demonstrieren. Das Resultat dabei ist immer dasselbe: Das größere Individuum gewinnt – und zwar egal, ob es sich um ein Männchen oder ein Weibchen handelt.

Das ist insofern von Interesse, als es sich dabei um ein Beispiel für ein Phänomen handelt, das in der evolutionsbiologischen Forschung lange Zeit vernachlässigt wurde, nämlich soziale Selektion: Im Unterschied zur sexuellen Selektion geht es dabei um den Wettbewerb um Ressourcen, die nicht unmittelbar im Dienste der Fortpflanzung stehen. "Die Tiere müssen sich ja auch zwischen den Fortpflanzungsphasen behaupten", sagt Sefc, "es nützt nichts, wenn sie in der Reproduktionszeit wunderbare Erfolge haben, aber bis zur nächsten verhungert sind."

Nahrung ist denn auch der Treiber bei der "Vermännlichung" der Tropheus-Weibchen: Als die Vorfahren der Art – damals noch mit deutlichen Geschlechtsunterschieden – in den Tanganjikasee einwanderten, fanden sie mit den algenbewachsenen Steinen eine neue Nahrungsressource vor. "Die Algen wachsen ständig nach, dadurch sind diese Steine wie eine Farm", sagt Sefc, "und es lohnt sich, sie zu verteidigen."

Um die dafür nötige Wehrhaftigkeit zu erreichen, hatten die Weibchen zwei Möglichkeiten: mit denselben Mitteln zu kämpfen wie die Männchen oder mit anderen, namentlich: "Sie hätten klein und unscheinbar bleiben, aber sehr bissig werden können." Offensichtlich haben sie sich im Laufe der Evolution für den ersteren Weg entschieden. Mit finanzieller Unterstützung des Wissenschaftsfonds FWF soll nun untersucht werden, ob auch der Effekt von Körperfärbung auf den Ausgang von territorialen Auseinandersetzungen bei Weibchen und Männchen der gleiche ist.

Die Farbmuster der Fische spielen jedenfalls bei Revierkämpfen zwischen verschieden gefärbten Populationen von Tropheus moorii eine Rolle. Am Südende des Tanganjikasees findet man beispielsweise – geografisch voneinander getrennt – rote, blaugraue und gelb-orange Populationen. In Experimenten wurden Dominanzverhältnisse und Partnerwahl zwischen diesen Farbmorphen untersucht, einerseits um über die Dynamik von solchen Interaktionen in frühen Stadien der Auftrennung Aufschluss zu gewinnen, andererseits um vorhersagen zu können, wie sich diese Morphen bei Wegfall der derzeitigen Barrieren, etwa im Zuge einer Seespiegelschwankung, weiterentwickeln würden.

Als Paarungspartner akzeptieren die Weibchen nur Männchen mit einem Territorium, und bei Auseinandersetzungen gewinnen stets die roten Männchen. Gibt es also weniger Territorien als rote Fischmänner, bleibt den Weibchen nichts anderes übrig, als sich mit einem roten Revierbesitzer zu paaren – egal welche Farbe sie selbst haben. Die Entstehung neuer Arten, zu der es auf lange Sicht durch die bevorzugte Paarung innerhalb gleicher Morphe kommen sollte, wird durch diese Dominanz der Roten hintangehalten.

Auf dem Weg zu neuer Art

Apropos Farben: Wie Sefc und ihre Mitarbeiter zeigen konnten, gehen die gelb-orangen Tiere auf eine Kreuzung zwischen roten und graublauen Morphen vor rund 100.000 Jahren zurück, als der Wasserspiegel des Sees deutlich tiefer lag als heute. Derzeit sind die roten und graublauen Elternpopulationen von den gelb-orangen Tochterpopulationen durch Habitatbarrieren getrennt und Letztere daher möglicherweise auf dem besten Wege, sich zu einer neuen Art zu entwickeln.

Wie zwei Masterarbeiten jedoch zeigen konnten, paaren sich die gelb-orangen Hybrid-Weibchen im Labor bereitwillig mit Männchen beider Elternpopulationen – ein Verhalten, das gegen die Bildung einer neuen Art arbeitet: Sollte der Seespiegel wieder schwanken – und das hat er in der Vergangenheit immer wieder getan – und dabei die Trennung der Populationen aufheben, dürfte das das Ende der hübschen gelb-orangen Hybride bedeuten. Das würde viele Aquarianer schmerzen, bei denen diese Variante so beliebt ist, dass sie bereits stark überfischt ist. Andererseits dürften bis zur nächsten massiven Seeschwankung noch ein paar Tausend Jahre ins Land gehen. (Susanne Strnadl, 5.12.2015)