Der Paläontologe Nick Longrich hat den kleinen Ceratopsier nicht nur untersucht, sondern auch gleich eine Illustration mitgeliefert.

Illustration: Nick Longrich

Bath – Während der mittleren und späten Kreidezeit hatte der nordamerikanische Kontinent ein völlig anderes Gesicht als heute. Anstatt eine Einheit zu bilden, war er durch flache Meere in mehrere Landmassen aufgeteilt, deren größte oft ebenfalls als "Kontinente" bezeichnet werden.

Wo heute die westlichen Bundesstaaten der USA bzw. Provinzen Kanadas liegen, erstreckte sich der langgezogene Kontinent Laramidia. Dieser war durch eine flache Meeresstraße, den bis zu 1.000 Kilometer breiten Western Interior Seaway, vom östlichen Teil Nordamerikas, Apppalachia genannt, abgetrennt. Eine weitere Meeresstraße, der Hudson Seaway, trennte diesen östlichen Hauptteil von einer Landmasse im Norden, wo heute die kanadische Region Nunavut liegt.

Wessi- und Ossi-Dinos

Seit im 19. Jahrhundert in großen Stil mit dem Graben nach Dinosaurierfossilien begonnen wurde, hat sich das ehemalige Laramidia als wahre Fundgrube erwiesen. Es hat sich gezeigt, dass die Dinopopulationen dieses Westkontinents – von Theropoden bis zu den gehörnten Ceratopsiern – insgesamt stark denen aus Ostasien ähnelten.

Appalachia war weniger ergiebig – was vor allem daran liegt, dass die Pflanzendecke im Osten der USA deutlich dichter ist als in den Wüsten- und Gebirgsregionen des Westens, was das Finden von Fossilien erschwert. Einen solchen Fund mit Seltenheitswert´haben Forscher um Nick Longrich von der Universität Bath untersucht und berichten darüber im Fachmagazin "Cretaceous Research".

Bei dem im Peabody Museum der Universität Yale gelagerten Stück handelt es sich um das Kieferfragment eines kreidezeitlichen Ceratopsiers, also jener Dinosauriergruppe, zu der auch der bekannte Triceratops zählte. Laut den Forschern ist es das bislang erste gesicherte Fossil eines Appalachia-Ceratopsiers aus dieser Zeit.

Kleiner Cousin von Triceratops

Das Fragment reicht nicht aus, um eine eindeutige Identifizierung der genauen Spezies zu ermöglichen, es weist aber auf einige Unterschiede zur Verwandtschaft aus dem Westen hin. Das Tier hatte nur die Ausmaße eines großen Hundes und gehörte zur Untergruppe der Leptoceratopsidae, die allesamt kleiner waren als ihre bekannteren, mehrere Tonnen schweren Verwandten.

Der Kiefer des Tiers war schmaler gebaut und auch etwas anders geformt als bei den großen Spezies, was auf eine andere Ernährungsweise hindeutet. Für Longrich sind dies alles klare Hinweise darauf, dass sich die Dinosaurier Appalachias – wie auch anderer damals isolierter Landmassen, etwa Europa oder Indien – auf einem anderen evolutionären Pfad bewegten als der asiatisch-westamerikanische "Mainstream".

"Es ist, als würde man auf mehrere unabhängig voneinander verlaufende Experimente in der Dinosaurier-Evolution blicken", sagt Longrich – und zieht daraus den Schluss, dass man in Zukunft noch viele bisher unbekannte Spezies finden wird. (jdo, 6. 12. 2015)