Ankara – Die Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen (ROG) verurteilt die Verhaftung von Journalisten der oppositionellen türkischen Zeitung "Cumhuriyet" wegen "Spionage" und "Verbreitung von Staatsgeheimnissen". "Die gestrigen Festnahmen zeigen einmal mehr, dass unabhängiger Journalismus in der Türkei kaum möglich ist", sagte ROG-Österreich-Präsidentin Rubina Möhring.

"Cumhuriyet"-Chefredakteur Can Dündar und sein Ankara-Büroleiter Erdem Gül hatten im Mai über einen angeblichen Waffenschmuggel von der Türkei nach Syrien berichtet. Nach stundenlangen Verhören ordnete das Gericht nun die Verhaftung der Reporter an. "Wir fordern die umgehende Freilassung der Journalisten von 'Cumhuriyet', einer Zeitung, die als Vorkämpferin der Pressefreiheit gilt", so Möhring. Die Tageszeitung wurde von Reporter ohne Grenzen erst vergangene Woche als Medium des Jahres ausgezeichnet.

Behörden verhängten Nachrichtensperre

Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan persönlich ließ Strafanzeige gegen das Blatt und seinen Chefredakteur Can Dündar stellen, nachdem "Cumhuriyet" Ende Mai Fotos und ein Video veröffentlicht hatte, die eine Beteiligung des türkischen Geheimdienstes an Waffenlieferungen an Islamisten in Syrien nahelegen. Erdogan drohte darauf hin im TRT-Fernsehen, der Journalist werde einen hohen Preis für die Veröffentlichung bezahlen und nicht ungestraft davonkommen. Die Behörden verhängten eine Nachrichtensperre, die Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen ein. Gestern mussten die Journalisten aussagen, gefolgt von der Erlassung eines Haftbefehls.

Dündar muss sich wie viele seiner Kollegen wegen Beleidigung des Präsidenten und Terrorismusvorwürfen vor Gericht verantworten. Hohe Haftstrafen drohen mehreren "Cumhuriyet"-Mitarbeitern auch wegen der Veröffentlichung von "Charlie Hebdo"-Karikaturen nach den Anschlägen auf das französische Satiremagazin im Jänner. Die Behörden hatten auf diese Geste der Solidarität mit einer nächtlichen Razzia in der Druckerei der Zeitung reagiert. Am 24. April widmete das Blatt seine Titelseite mit der armenisch geschriebenen Schlagzeile "Nie wieder" dem 100. Jahrestag des Genozids an den Armeniern.

Besorgniserregende derzeitige Entwicklungen

"Zu den besorgniserregenden derzeitigen Entwicklungen für die Pressefreiheit in der Türkei gehören die immer stärkere Medienkonzentration in den Händen regierungsnaher Unternehmer sowie eine zunehmend systematische Internetzensur ohne richterliche Prüfung", kritisierte Reporter ohne Grenzen weiters. Ergänzt werde das "Arsenal der Einschüchterung und Schikane durch repressive Gesetze, eine von Sicherheitsdenken dominierte Justiz und verbreitete, selten geahndete Polizeigewalt".

Redaktionen würden von AKP-Anhängern angegriffen, regierungskritische Medien müssten mit Razzien rechnen. Kritische Journalisten würden inhaftiert und belästigt. "Anstatt dem Klima von Selbstzensur und politischer Polarisierung etwas entgegenzusetzen, stacheln Regierung und Staatsspitze mit aggressiver Rhetorik gegen Journalisten die Stimmung zusätzlich an", so die Organisation. Die Türkei steht auf der Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 149 von 180 Staaten. (APA, 30.11.2015)