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Eines der größten schwimmenden Wohnareale der Niederlande entstand in Ijburg in der Nähe von Amsterdam.

Foto: Corbis / George Steinmetz

Ein langer Steg und rechts und links Häuser, die auf dem Wasser liegen – wie elegante Schiffe in einem Hafen. In einem der ersten gleich rechts wohnt Inge Valk. Die 55-jährige Keramikdesignerin kommt gerade aus der Amsterdamer Innenstadt zurück, wo sie sich mit neuem Arbeitsmaterial eingedeckt hat. "Für meinen nächsten Kurs", erklärt sie, als sie sich über ihre Reling zur Eingangstür begibt. Inges schwimmendes Zuhause kann mit 160 Quadratmetern, verteilt über drei Stockwerke, aufwarten. Da bleibt genug Platz für ein Atelier, in dem auch ihre Keramikkurse stattfinden.

Die sportliche blonde Niederländerin und ihr Mann finden es wunderbar, auf dem Wasser zu leben. "Es gibt einem ein Gefühl von Freiheit und Ruhe", findet sie. "Im Sommer können wir ins Wasser springen, und im Winter flitzen wir auf den Schlittschuhen zwischen den Häusern hindurch."

Das schwimmende Zuhause der Valks gehört zu einem Wasserviertel, das 2012 im Osten von Amsterdam vollendet wurde. Steigereiland lautet der Name: Steginsel. Es besteht aus insgesamt vier Stegen mit 43 schwimmenden Häusern. Das Fundament ist eine mit Styropor gefüllte Betonwanne, die als unsinkbar gilt. Ringe, mit denen die Häuser an Pfählen festgemacht sind, sorgen dafür, dass sie an Ort und Stelle bleiben. "Außerdem können sie sich dadurch problemlos dem Wasserspiegel anpassen und nach oben oder unten mitbewegen", erklärt Floris Hund vom Amsterdamer Architekturbüro Marlies Roehmer, das die Steginsel entworfen hat.

Antwort auf den steigenden Wasserspiegel

Diese "waterwoningen" sind die Antwort der ebenso pragmatischen wie innovativen Niederländer auf den steigenden Meeresspiegel und die zunehmenden Regenfälle, die der Klimawandel mit sich bringt. Schon jetzt liegt gut ein Drittel des Landes unter oder gerade einmal auf dem Niveau des Meeresspiegels. Wie kein anderes Volk hat die kleine Nation im Rheindelta im Laufe der Jahrhunderte gelernt, das Wasser zu zähmen, ihm Land abzuringen oder mit Deichen, Dämmen und Flutwehren in Bahnen zu lenken. Nicht umsonst besagt ein Sprichwort: "Gott schuf die Welt – und die Niederländer die Niederlande."

Doch der Meeresspiegel steigt – bis zum Ende dieses Jahrhunderts wohl um bis zu 1,70 Meter. Gleichzeitig droht eine "Flut von hinten", wie sie genannt wird: Durch den Klimawandel führen auch die Flüsse mehr Wasser mit sich. "Mit Deichen allein ist es nicht mehr getan", sagt Klimaforscher Pavel Kabat von der Universität Wageningen: "Wir müssen radikal umdenken. Wir dürfen das Wasser nicht länger als Gefahr sehen, sondern müssen es als Chance begreifen – oder als Herausforderung."

Das Flutgebiet als Baugrund

"Leven met water" lautet die neue Strategie: nicht mehr gegen das Wasser kämpfen, sondern mit dem Wasser leben. Überall wird dem früheren Feind wieder mehr Raum gegeben: Polder werden geflutet, Auffangbecken oder Flussnebenarme angelegt und zugeschüttete Grachten wieder ausgegraben. Dadurch aber steht der alten Seefahrernation immer weniger Land zur Verfügung – dabei ist dieses doch schon jetzt knapp bemessen: Die Niederlande gehören zu den am dichtesten bevölkerten Ländern der Welt. Die Wasserflächen hingegen nehmen durch den Klimawandel zu.

Aber die Niederländer haben entdeckt, wie sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen können. Denn die gefluteten Polder und künstlich angelegten Wasserbecken eignen sich nicht nur zum kontrollierten Abführen überschüssiger Wassermassen, sondern auch als Baugrund.

"Das eröffnet völlig neue Perspektiven", findet Architekt Koen Olthuis von waterstudio.nl, dem ersten Architekturbüro der Niederlande, das sich ganz aufs Aquawohnen spezialisiert hat und ausschließlich auf dem Wasser baut. Eines seiner aktuellen Projekte: In einem Polder bei Den Haag soll auf einem 140 mal 90 Meter großen Fundament der erste treibende Apartmentkomplex Europas entstehen, de Citadel. "Technisch alles überhaupt kein Problem."

Kaum Grenzen beim Bauen auf Wasser

Denn der Architekt hat eine Technologie entwickelt, die der Größe der Fundamente kaum noch Grenzen setzt: Oberflächen von bis zu 50 mal 100 Meter sind dadurch möglich. Mit anderen Worten: Das Fundament kann zu einer Plattform werden, auf der ganze Häuserblocks Platz finden, samt Gärten und Tiefgaragen: "Je größer ein Objekt, desto stabiler liegt es auf dem Wasser."

Für Olthuis ist es deshalb eine klare Sache: "Die Stadt der Zukunft besteht aus treibenden Plattformen, die wie Eisschollen hin und her geschoben werden können." Diese neue Art des Städtebaus, so Olthuis, diese neue Flexibilität sei für ihn "die Herausforderung, der sich die Architekten der Klimawandelgeneration stellen müssen".

Auch im Ausland ist der Holländer gut im Geschäft. Egal, ob New Orleans oder Bangladesch – das Know-how der niederländischen Wasserbauarchitekten und -ingenieure ist in aller Welt gefragt. Für Antwerpen hat Olthuis einen auf der Schelde treibenden Boulevard entworfen und für Paris ein Restaurant auf der Seine.

Eine schwimmende Moschee für die Emirate

Die Vereinten Arabischen Emirate will er mit einer im Wasser treibenden Moschee beglücken. In Norwegen soll 2016 das Krystall-Hotel eröffnet werden, ein riesiger, 15 Meter hoher Eiskristall, der bei Tromsø im Fjord dümpelt. Und in einer Malediven-Lagune ist soeben mit dem Bau der Ocean Flower begonnen worden: 185 schwimmende Ferienhäuser, die wie eine riesige Blume auf dem Wasser liegen. Vier weitere Lagunen mit darin treibenden Häusern sollen folgen.

Dabei geht geht es nicht bloß um das Freizeitvergnügen verwöhnter Touristen: Die Malediven mit ihren rund 300.000 Bewohnern liegen zu 80 Prozent nur knapp einen Meter über Normalnull. Die Regierung hatte bereits zum Umzug geblasen und angekündigt, zum Überleben woanders Land zu kaufen. Bis sie einen Anruf aus Holland bekam und von Olthuis hörte, dass dies nicht nötig sei: "Wir haben dem Präsidenten der Malediven klargemacht, wie aus Klimaflüchtlingen Klimapioniere werden können." (Kerstin Schweighöfer aus Den Haag, 27.11.2015)