Thomas Druyen: "Die meisten Reichen wollen etwas Sinnstiftendes tun."

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Aber natürlich gilt auch in diesem Spektrum: Es gibt solche und solche...

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STANDARD: Herr Druyen, Sie sind Vermögensforscher. Warum muss Reichtum erforscht werden?

Thomas Druyen: Während Armut schon in vielen Facetten wissenschaftlich beleuchtet wird, wissen wir über die Komplexität des Reichtums immer noch zu wenig. Der wesentliche Grund, sich mit diesem Thema mehr auseinanderzusetzen, ist die Tatsache, dass zwei Prozent Superreiche über einen großen Teil des Weltvermögens verfügen. Ist das Fluch oder Segen? Man sollte nicht vergessen, dass diese Klientel Millionen Arbeitsplätze trägt und nicht nur Polo spielt und karibische Inseln kauft.

STANDARD: Wer ist eigentlich reich?

Druyen: Es gibt keine objektive und verbindliche Definition. In der Forschung sagen wir, reich zu sein beginnt ab einem Vermögen von drei Millionen Euro, denn da kann man gut von der Rendite leben. Wer 30 Millionen Euro hat, ist sehr reich, und mit 300 Millionen ist man superreich.

STANDARD: Sie haben mit hunderten Millionären und 100 Milliardären weltweit ausführliche Gespräche geführt. Wie schwierig war die Annäherung?

Druyen: Enorm schwierig. Vor zehn Jahren kassierten wir fast nur Absagen. Ab 2006 haben wir uns auf Stifter und Mäzene konzentriert. Diese Interviews trugen dazu bei, dass sich allmählich auch die Türen jener geöffnet haben, die völlig abgeschottet leben. Aber es braucht Geduld.

STANDARD: Sind die meisten Reichen spendabel?

Druyen: Vorsichtig geschätzt, sind mittlerweile 60 Prozent im deutschsprachigen Raum der Meinung, dass Gerechtigkeit nicht über das Steuersystem geschaffen wird, und fühlen sich in der Pflicht, zum Allgemeinwohl beizutragen. In den USA, wo der Sozialstaat nicht so ausgeprägt ist wie in Europa, liegt die Anzahl allerdings bei 90 Prozent. Dort gehört es zum guten Ton zu spenden, die Universitäten zum Beispiel leben ja davon. In China hingegen ist der Gedanke, etwas abzugeben, noch eine Seltenheit.

STANDARD: Gibt es klassisches "Reichenverhalten"?

Druyen: Bei Reichen ist es wie bei Normalbürgern: Es gibt solche und solche. Man kann einen Hedgefonds-Manager, der an der Börse ein Vermögen macht, nicht mit einem Unternehmer vergleichen, der hundert Bäckereifilialen betreibt. Diese Menschen treibt auch nicht das Gleiche an. Der Hedgefonds-Manager liebt das Risiko, will immer gewinnen. Hingegen tragen die meisten Unternehmer hohe Verantwortung und wollen ihr Lebenswerk für die nächste Generation bewahren. Eines ist allerdings für alle ähnlich: Die Welt wird kleiner, wenn man viel Geld hat.

STANDARD: Machen Sie uns doch mal neidisch ...

Druyen: Auf wen? Auf Superreiche? Für 450.000 Euro zwei Wochen lang auf die Malediven zu fliegen ist etwas völlig Normales für solche Leute. Ich habe auch einen begehbaren Schuhschrank in der Größe eines Einfamilienhauses gesehen. Einer denkt daran, sich einfrieren und in 200 Jahren wieder auftauen zu lassen. Es gibt unfassbare Inszenierungen wie künstliche Unterwasserwelten voller Haie – das ist wirklich wie bei James Bond. Achtzig Prozent leben aber recht normal, ihre Nachbarn wissen oft gar nicht, dass sie so viel Geld haben. Sie haben auch panische Angst davor, auf Vermögenslisten aufzutauchen.

STANDARD: Macht Geld diese Menschen glücklich?

Druyen: Diese Frage stelle ich meinen Gesprächspartnern regelmäßig. Es hat noch nie jemand mit einem bloßen Ja geantwortet. Denn – so banal es klingt – die wirklich wichtigen Dinge wie Familie, Liebe und Gesundheit kann man ja nicht kaufen. Wir wissen auch aus der Glücksforschung, dass ab einer gewissen Höhe mehr Einkommen nicht automatisch mehr Glück bedeutet. Die zufriedensten Menschen sind demnach jene, deren Jahreseinkommen um 70.000 Euro liegt.

STANDARD: Welche Sorgen haben Reiche?

Druyen: Eine der stärksten Emotionen ist Verlustangst. Ebenso existiert Angst vor Übergriffen oder Entführung ihrer Kinder. Wir merken auch immer wieder, dass Reichtum großen Stress auslöst. Wer sich theoretisch alles leisten kann, hat die Qual der Wahl, das erzeugt Handlungsdruck.

STANDARD: Was macht reiche Menschen zufrieden?

Druyen: Einem kleinen Teil reicht es wirklich, sich mit luxuriösen Dingen und Reisen die Zeit zu vertreiben. Die meisten aber wollen etwas Sinnstiftendes tun und unternehmerisch tätig sein. Das ist auch der Punkt, an dem die Politik diese vermögenden Menschen abholen sollte.

STANDARD: Was meinen Sie damit?

Druyen: Die meisten sind bereit, für andere zu geben, lehnen aber bloße Steuererhöhungen ab, weil sie oft nicht damit einverstanden sind, wofür der Staat das Geld verwendet. Viele wollen selber gestalten. Wichtige Motivationen sind Schaffung von Arbeitsplätzen und Finanzierung von Bildung. Da müsste die Politik neue Wege finden, um Vermögende besser einzubinden.

STANDARD: Haben Reiche auch eine Bringschuld?

Druyen: Ich finde schon. Reiche sollten sich nicht isolieren, sondern sich viel öfter zu wichtigen Themen äußern. Es wäre hilfreich, wenn sie sich seriös in die Politik einbringen. Gerade darin liegt eine Verantwortung für die Allgemeinheit.

STANDARD: Gibt es spezifische Erscheinungsformen von Reichtum in Österreich und in Deutschland?

Druyen: Ganz viele. In Deutschland beispielsweise sind viele Reiche im Norden wirklich von hanseatischer Zurückhaltung, während sich in München mehr Selbstdarsteller finden. Und bei vielen Reichen in Österreich spielt die kulturelle Inszenierung eine große Rolle. Das erinnert zuweilen an monarchische Zeiten. (Birgit Baumann, Portfolio, 7.12.2015)