Die Ausstellung "Handyfilme – Jugendkultur in Bild und Ton" wurde ausgehend von einer Studie konzipiert und tourt jetzt als Wanderausstellung durch die Schweiz.

Foto: SNF-Handyfilmprojekt Zürich/Peter Auchli

Wien – Wenn man im Blick auf die Jugend heute den Teufel an die Wand malt, hält er ein Smartphone in der Hand. Dass die Heranwachsenden vermeintlich verrohen und verdummen – dafür machen kulturpessimistische Erwachsene und ihre Boulevardmedien gerne das Mobiltelefon verantwortlich: Die Generation Selfie sei krankhaft narzisstisch, die "Happy Slapping" genannte mit dem Telefon dokumentierte Attacke auf Mitmenschen breite sich epidemisch aus – und an allem soll das Handy selbst schuld sein.

Das sei jedoch eine sehr verzerrte Sichtweise, erklärt Klaus Schönberger, Leiter der Abteilung für Kulturanthropologie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. "Die Berichterstattung über den jugendlichen Umgang mit Mobiltelefonen reduziert sich meist auf den skandalösen polizeilichen Akt."

So komme "Happy Slapping" in einzelnen Fällen vor, sei aber nicht die überwiegende Praxis der Jugendlichen bei der Nutzung des Smartphones. Ohnehin hält der Ethnologe die Perspektive der Erwachsenen für sehr verengt – Mobbing könne man nicht durch die Regulierung der Technik verhindern: "Das Hauptproblem ist, dass diese Diskussion häufig sehr technikzentriert geführt wird und man nicht bereit ist, die Komplexität der gesellschaftlichen Verhältnisse zu akzeptieren. Anstatt sich mit den wirklichen Ursachen von Gewalt und Ausgrenzung auseinanderzusetzen, wird die Technologie zum Sündenbock gemacht."

Auch Petra Missomelius vom Institut für Psychosoziale Intervention und Kommunikationsforschung der Universität Innsbruck konstatiert einen voreingenommenen Blick: "Es wird beklagt, dass diese Jugend nicht mehr draußen spielt und nur noch vor flimmernden Geräten sitzt. Da wird ein oberflächlicher Diskurs von einem Verlust aufgemacht, bei dem man übersieht, wie sich diese Jugendkultur konkret entwickelt." Die Medienkulturwissenschafterin, die die Onlinekanäle Jugendlicher erforscht, weist darauf hin, dass Räume, die sich dem Verständnis der Erwachsenen entziehen, für Heranwachsende als Orte der Interaktion immer interessant sind. So ließen die Jugendlichen auch Facebook in der Mehrheit gleich wieder fallen, als die Erwachsenen dieses Medium für sich entdeckten.

Klaus Schönberger beschäftigt sich als Kulturanthropologe mit sozialen Prozessen der Digitalisierung seit mehr als fünfzehn Jahren. Schließlich ist aus ethnologischer Sicht ein technologischer Wandel häufig auch ein kultureller – der aber nicht gleich den Untergang des Abendlandes bedeutet: Mithilfe der Technik werden althergebrachte Sitten – vor allem im Bereich der Jugendkultur – neuartig vollzogen.

Schönberger: "Zum Beispiel ist das Selfie eigentlich nichts Neues. Frühere Generationen haben sich doch ähnlich inszeniert – bloß damals etwa mithilfe von Fotoautomaten. Interessant ist vielmehr, wie soziale Praktiken – zum Beispiel die Selbstdarstellung – im digitalen Prozess rekombiniert werden und an bestehende Verhaltensweisen anknüpfen."

Gerade damit, wie Jugendliche bewegte Bilder – also Handyvideos – nutzen, hat sich Schönberger, der seit Anfang des Jahres am Wörthersee tätig ist, an seiner vorherigen Station, der Zürcher Hochschule der Künste, beschäftigt. In Zusammenarbeit mit Kollegen der Universität Zürich untersuchte er die Aufnahmen, die Jugendliche mit ihren Smartphones gemacht hatten.

Teilnehmende Beobachtung

Wie in ihrem Fach üblich gingen die Volkskundler dabei ethnografisch vor: Statt quantitativ zu forschen und Umfragen durchzuführen, wurde teilnehmend beobachtend gearbeitet. Die Videos wurden auf der Straße und in einer berufsbildenden Schule gesammelt und die einzelnen Jugendlichen über die Funktion dieser Filme befragt: "Uns interessierten nicht so sehr die quantitativen Verteilungen der verschiedenen Nutzungen, sondern die konkreten Praktiken der Jugendlichen im Umgang Handyfilmen." Schönberger war vor allem von der Bandbreite der Filme überrascht: Die untersuchten Aufnahmen waren häufig sehr kreativ und nutzten zahlreiche Möglichkeiten der Technik. Und dieser Eifer wurde in der Mehrheit weniger für einen selbst, sondern für andere an den Tag gelegt. Zur sozialen Interaktion gehört zwar auch die Selbstdarstellung, jedoch gibt Schönberger zu bedenken, dass Jugendliche von heute sich solche Verhaltensweisen der Optimierung des eigenen Ichs eher von den Erwachsenen abschauen, als darauf ein Monopol zu haben. Seine Innsbrucker Kollegin pflichtet ihm bei: "Die Selbstdarstellung wird einem in unserer Leistungsgesellschaft sehr früh beigebracht. Das ist nicht unbedingt etwas für diese Generation Spezifisches."

In der Zürcher Studie zeigte sich aber, dass das Handyvideo weniger zur Feier des eigenen Egos als vielmehr zur Kommunikation genutzt wird. Über selbstgedrehte oder weitergeleitete Handyvideos konstituieren sich unter den Jugendlichen soziale Gruppen. Diese Filme werden daher vor allem als Mittel genutzt, um emotionale Verbundenheit herzustellen und Freundschafts- wie Liebesbeziehungen zu dokumentieren und zu zelebrieren. Gerade deshalb teilen die angeblich so selbstverliebten Jugendlichen auch nicht alles mit der Öffentlichkeit und haben einen erheblich differenzierteren Begriff von Privatsphäre, als es Erwachsene normalerweise annehmen. Laut Petra Missomelius war das durchaus einmal anders, aber inzwischen etabliere sich auch bei den Jugendlichen eine größere Sensibilität für diese Problematik.

Die Privatsphäre stellte Schönberger und sein Team aber auch vor wissenschaftliche Herausforderungen. Dass hier relativ viel sensibles Material gesichtet wurde, machte es den Ethnologen nicht immer leicht: "Wir hatten da etwa ein Video, das die erweiterte technischen Möglichkeiten des Films einsetzt für eine Liebeserklärung. Dieser Liebesbrief ist medienhistorisch betrachtet eigentlich ein tolles Dokument. Aber es ist schwierig, damit umzugehen, weil wir dieses intime Bekenntnis nicht publizieren können und wollen."

Vor allem hält die Forscher aber der schnelle technologische Fortschritt auf Trab. Missomelius: "Es ist immer die Herausforderung, auf dem neusten Stand zu bleiben, wenn man über aktuelle Erscheinungen forscht." Schönberger nennt in diesem Zusammenhang das konkrete Beispiel: Bei der Beantragung seines Projekts hatte es noch kein Whatsapp gegeben, was dann im Lauf der Studie aber als Kommunikationsinstrument für die Jugendlichen immer wichtiger wurde. "Es ist schwierig, in diesem Bereich ständig mit den technischen Veränderungen wissenschaftlich Schritt zu halten, aber letztlich verändert sich dadurch nicht automatisch die Funktion: Bestimmte soziale Bedürfnisse bleiben dieselben. Den Wunsch, kreativ zu sein, sich zu artikulieren, gab es vorher auch, bloß geschah das nur unter anderen technischen Bedingungen." (Johannes Lau, 26.11.2015)