Niemand in Osteuropa hat die Wahlsiege Viktor Orbáns und dessen autoritären Regierungsstil so lautstark bewundert wie der frühere rechtskonservative Ministerpräsident Polens (2005–2007), Jaroslaw Kaczyński, dessen Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) mit einem fulminanten Wahlsieg kürzlich die absolute Mehrheit im Warschauer Parlament errungen hat.

Deshalb löste die Nachricht Überraschung aus, dass Parteivorsitzender Kaczyński im Februar ein Treffen mit Orbán während dessen kurzen offiziellen Besuchs in Polen abgelehnt hatte. Der Sprecher Kaczyńskis machte keinen Hehl aus der Verärgerung wegen Orbáns Kehrtwendung in der Russlandpolitik, veranschaulicht durch den herzlichen Empfang Putins in Budapest und die ungarische Zurückhaltung im Konflikt um die Ukraine.

Trotz dieser (wohl vorübergehenden) persönlichen Abkühlung gibt es keinen Grund, die Feststellung westlicher Beobachter über die sich abzeichnende "Orbánisierung" Polens zu bezweifeln: "Polen wandert zügig in jene xenophobe, nationalistische, betonköpfige Ecke ab, in der sich bisher nur Ungarn herumdrückte. Viktor Orbán ist plötzlich vom Budapester Querulanten zum Trendsetter geworden. Das wird kein Spaß für Europa." ("Süddeutsche Zeitung") Auch die "Frankfurter Allgemeine", der Londoner "Economist" und die "Neue Zürcher", um nur einige gewichtige konservative Blätter zu zitieren, sind wegen der ersten Schritte und Ankündigungen der neuen polnischen Regierung beunruhigt. "Polen geht düsteren Zeiten entgegen", so die "FAZ".

Nach zwei Wahlsiegen in diesem Jahr ließ die Kaczyński-Partei die Maske der Mäßigung fallen. Drei berüchtigte Scharfmacher bekleiden Schlüsselpositionen: Verteidigungsminister Antoni Macierewicz war der Urheber des Mythos von russischer Verschwörung gegen den beim Flugzeugabsturz von Smolensk mit 95 anderen Passagieren verunglückten Präsidenten (und Zwillingbruder Jarosławs) Lech Kaczyński; der Geheimdienstkoordinator Mariusz Kamiński wurde in erster Instanz wegen der Inszenierung eines Korruptionsfalles mit falschen Papieren und Tricks während der ersten Kaczyński-Regierung (nicht rechtskräftig) zu drei Jahren Haft verurteilt und nun von seinem Parteifreund, dem Präsidenten Duda, begnadigt; Justizminister Zbigniew Ziobro, mit bedenklicher Amtsführung als Justizminister in der früheren Kaczyński-Regierung, trat vor zehn Jahren als Wortführer einer Gruppe von PiS-Abgeordneten für die Wiedereinführung der Todesstrafe auf. Nun soll ihm als Justizminister die unabhängige Staatsanwaltschaft unterstellt werden.

Auch das Verfassungsgericht wird durch eine umfassende Wachablöse auf Regierungslinie gebracht. Die öffentlichen Rundfunk- und Fernsehsender sollen innerhalb eines halben Jahres unter die Kontrolle der Regierung gestellt und der Einfluss der ausländischen Medien zurückgedrängt werden. Die von der rechtskonservativen Regierung angekündigten Maßnahmen zur "Erneuerung der Republik" tragen die Handschrift Jarosław Kaczyńskis und bedeuten eine folgenschwere Absage, sowohl an das EU-Programm zur Entschärfung der Flüchtlingskrise wie auch an die Person und Politik des EU-Ratsvorsitzenden (und bis September 2014 polnischen Ministerpräsidenten) Donald Tusk. (Paul Lendvai, 23.11.2015)