Der braune Sumpf an Verachtung, Hass und Niedertracht schwappt nun auch in Polen an die Oberfläche. Bisher war bei Attacken auf Ausländer, Juden, Muslime oder Homosexuelle immer wieder von "Einzelfällen" die Rede. Staatsanwälte und Richter verharmlosten das Gebrüll von Fußballrowdys, die in Stadien "Juden ins Gas" oder "Haut ab nach Auschwitz" riefen. Auch die Schändungen jüdischer Friedhöfe gingen meist als "dumme Jungenstreiche" durch. Jetzt aber brannte vergangene Woche auf dem Rathausplatz der niederschlesischen Metropole Wrocław (Breslau) eine "Juden-Puppe" mit Schläfenlocken, schwarzem Kaftan und einer Europaflagge in der Hand.

Unter dem Gebrüll "Bóg, honor i ojczyzna!" – "Gott, Ehre und Vaterland" – von knapp hundert rechtsradikalen Demonstranten übergoss der makabre Zeremonienmeister den "Juden" mit Benzin und zündete ihn an. "Polen den Polen", skandierte einer der Organisatoren auf der mobilen Bühne vor dem Rathaus. Die Skinheads und Rechtsradikalen vom Nationalradikalen Lager (ONR) und der Allpolnischen Jugend schrien es ihm nach und schwenkten die weiß-rote polnische Flagge. "Kein Islam in Polen! Keine muslimischen Terroristen! Gegen die EU! Für ein nationales Polen!" Gut zehn Minuten lang brannten der "Jude" und die EU-Flagge lichterloh. Dennoch griff die Polizei nicht ein. Passanten gingen gleichgültig weiter oder trauten sich – angesichts der passiven Polizei – nicht gegen die Hassdemonstranten vorzugehen.

Die Allpolnische Jugend, deren Vertreter seit den Wahlen am 25. Oktober auch im polnischen Parlament sitzen, macht "die Juden" für die angebliche "Islamisierung Europas" verantwortlich. Die Flüchtlinge seien in Wirklichkeit Sozialschmarotzer oder gar Terroristen. Auf dem größten Transparent war zu lesen: "Sie kommen hierher, um unsere Welt zu verändern, um zu zerstören, abzufackeln und zu vergewaltigen!" Von der Bühne hetzte Jarosław Bogusławski: "Jemand gibt ihnen Geld – für die Boote, für die Waffen in Europa. Jemand finanziert diese ganzen Ausschreitungen. Wir müssen wissen, wer das tut. Noch weiß ich es nicht – noch nicht!"

"Blut der Opfer von Paris"

Danach schallte die Stimme einer anderen Rechtsradikalen über den ganzen Rathausplatz: "Ich wende mich an die Anhänger der falschen Multikulti-Ideologie, an diejenigen, die die Mörder in die Europäische Union eingeladen haben. Diese Mörder, diese Islamisten, diese Fundamentalisten werden sich nicht assimilieren. Sie werden Terror säen, vergewaltigen und töten. Ihr, die ihr diese Menschen zu uns eingeladen habt, habt das Blut der Opfer von Paris an den Händen."

Kaum war die Demonstration vorbei, veröffentlichte die Wrocławer Lokalausgabe der "Gazeta Wyborcza" auch schon einen Bildbericht sowie auf der Internetseite ein Video von der Verbrennung der "Juden-Puppe". Der Oberbürgermeister von Wrocław, Rafał Dutkiewicz, verurteilte die Demonstration aufs Schärfste: "In Breslau ist kein Platz für Rassismus und Xenophobie. Wir werden mit aller Entschiedenheit unsere Werte verteidigen: Offenheit, Toleranz und kulturelle Vielfalt." Dutkiewicz zeigte die Demonstranten bei der Staatsanwaltschaft an.

Fassungslos über die Entwicklung zeigt sich Aleksander Gleichgewicht. Für die Jüdische Gemeinde in Wrocław gab er eine Erklärung ab. Es könne nicht sein, dass "ungelöste politische Weltprobleme, die auch unser Land betreffen können, keine verantwortungsvolle Diskussion in Polen auslösen, sondern zur Rechtfertigung einer immer größer werdenden Welle von braunem Rassismus dienen, von Chauvinismus, Antisemitismus und primitivem Antiislamismus". Besonders enttäuscht sei er über die Passivität von Polizei, Staatsanwaltschaft und Politikern. In einigen Wochen schon werde Wrocław die Kulturhauptstadt Europas 2016 sein. "Unsere wunderbare Stadt darf nicht von diesen zynischen und rassistischen Schurken in den Dreck gezogen werden."

Raue Töne im Wahlkampf

Auch die neue linke Partei Razem (Gemeinsam), die es bei den Wahlen noch nicht ins Parlament schaffte, aber gute Chancen auf den Einzug in vier Jahren hat, verurteilte die Kundgebung scharf und erstattete Anzeige.

Polens Präsident Andrzej Duda und die neue Premierministerin Beata Szydło hingegen schwiegen bisher. Ihr Problem: Die meisten Slogans der Rechtsradikalen von Wrocław klangen schon so ähnlich in deren eigenen Wahlkampagne an. Polens rechtsnationale Regierung will trotz der Zusicherung des Vorgängerkabinetts an die EU keine Kriegsflüchtlinge aufnehmen – es sei denn, die EU könne für jeden einzelnen Flüchtling eine Sicherheitsgarantie abgeben. (Gabriele Lesser aus Warschau, 23.11.2015)