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Frauenrechte werden in den jüngsten Wertedebatten hochgehalten. In der geplanten Asylnovelle steht die Situation von Frauen aber nicht im Vordergrund.

Foto: APA / Harald Tittel

Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist ein Grundwert des Zusammenlebens in Österreich – so steht es zumindest im Integrationsplan, den Sebastian Kurz diese Woche präsentiert hat. Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte sollen in einem Orientierungs- und Wertekurs künftig lernen, was in Österreich "unverhandelbar" sei. Frauenrechte werden in derartigen Wertedebatten hochgehalten – in der geplanten Asylnovelle steht die Situation von Frauen allerdings nicht im Vordergrund. Weit mehr Männer – 2015 wurden bis Ende September nur 24 Prozent der Asylanträge in Österreich von Frauen gestellt – treten die gefährliche Flucht nach Europa an, meist in der Hoffnung, ihre Familie auf legalem Wege nachzuholen.

"Der Großteil der erwachsenen Personen, die nachgeholt werden, sind Frauen", sagt Birgit Einzenberger, Leiterin der Rechtsabteilung des Flüchtlingshochkommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) in Österreich. Die Asylnovelle, die eine Verschärfung bei der Familienzusammenführung beinhaltet, würde somit vor allem Frauen und Kinder treffen. Subsidiär Schutzberechtigte sollen künftig mindestens drei Jahre warten müssen, bis ein Familienmitglied nachkommen kann. "Wenn Ihre Tochter in diesen drei Jahren 18 Jahre alt, also volljährig wird, kann sie nicht mehr nachgeholt werden", so Einzenberger.

Aber auch für anerkannte Flüchtlinge sieht der Gesetzesentwurf potenzielle Erschwernisse beim Familiennachzug vor. Wenn Familienangehörige nicht innerhalb von drei Monaten einen Antrag bei einer österreichischen Botschaft stellen, muss ihr schutzberechtigter Verwandter geeigneten Wohnraum und ein Einkommen, das den Familienerhalt sichert, nachweisen.

Fluchtwege und neue Chancen

Sharifa Taheri konnte vor rund sieben Jahren sicher und legal nach Österreich reisen – seit einer Woche ist sie österreichische Staatsbürgerin. Ihr Vater flüchtete aus Afghanistan und holte seine Familie nach. Sharifa ist Schülerin an einer HTL für Biomedizin und Gesundheitstechnik und zuversichtlich, mit ihrer Ausbildung bald eine gut bezahlte Arbeitsstelle zu finden. Mit dem Schulbesuch erfüllte sich auch ein großer Wunsch ihrer Eltern, die solche Möglichkeiten nicht vorfanden. "In Afghanistan gibt es noch immer einen sehr hohen Anteil an AnalphabetInnen. Gerade Frauen können nur selten studieren, auch das Geld für eine Ausbildung fehlt oft", erzählt Taheri.

Sie selbst engagiert sich im Verein Neuer Start, der MigrantInnen dabei unterstützt, sich im neuen Heimatland zurechtzufinden. "Ich möchte das nicht verallgemeinern, aber es gibt einige AfghanInnen, die auch in Österreich weiterhin in sehr traditionellen Strukturen leben. Frauen, die von ihren Männern kontrolliert werden", erzählt Taheri. Wichtig sei ein Miteinander. Wenn gegen MigrantInnen gehetzt werde, würden diese sich noch viel weniger in die Gesellschaft integrieren. "Sie fühlen sich dann ausgeschlossen. So kann es keine Gemeinschaft geben."

Hanada Al Refai, die in Damaskus als Mathematiklehrerin arbeitete, gelangte auf der lebensgefährlichen Mittelmeerroute nach Europa. Aufgrund ihrer politischen Aktivitäten wurde sie vom syrischen Regime verhaftet und saß sieben Monate lang im Gefängnis. Die erste Station ihrer Flucht war die Türkei, wo sie eineinhalb Jahre blieb und sich und ihre Familie mit schlecht bezahlten Arbeiten über Wasser hielt. "Als ich im Sommer in Österreich angekommen bin, habe ich nichts besessen außer der Kleidung, die ich gerade trug", erzählt Al Refai in englischer Sprache.

Gleich nach ihrer Ankunft begann die 53-Jährige wieder politisch aktiv zu werden – sie half gemeinsam mit vielen anderen Freiwilligen am Westbahnhof aus und schloss sich der Frauengruppe Women* support Refugee Women an. Das untätige Warten im laufenden Asylverfahren empfindet Al Refai als lähmend, sie möchte Deutsch lernen, eine Arbeit finden, ankommen. Aktuell lebt sie in einer Wohngemeinschaft im 14. Bezirk, in schlechter Erinnerung ist ihr die völlig überfüllte Betreuungsstelle in Traiskirchen geblieben.

Prekäre Lage geflüchteter LGBTIQs

"Mitten in Österreich lässt man Kinder in der brütenden Hitze im Gras schlafen", erinnert sich auch Marty Huber an die katastrophalen Zustände im Sommer in Traiskirchen. Die Aktivistin ist seit vielen Jahren in der Rosa Lila Villa aktiv, im August ist dort die Queer Base entstanden. Rechtsberatung und Coming-out-Beratung wird ebenso geboten wie Vernetzung und Gesundheitsprävention. Um asylwerbende LGBTIQs vor Wohnungslosigkeit zu schützen, arbeitet die Queer Base mittlerweile mit Organisationen wie der Diakonie zusammen. "Es passiert immer wieder, dass Menschen aus ihren Unterbringungen in anderen Bundesländern nach Wien fahren, weil sie Mobbing oder sexualisierte Gewalt erfahren haben. Somit fallen sie aus der Grundversorgung und sind auch nicht mehr krankenversichert", schildert Huber die besondere Prekarisierung, die schutzsuchende LGBTIQs erfahren.

Neben einer zielgruppengerechten Unterbringung und der Aufnahme von LGBTIQ-Personen in die Gruppe besonders schützenswerter Geflüchteter ist ein fairer Zugang zum Asylverfahren eine zentrale Forderung der AktivistInnen. Wiederholt wurde ihnen von homo- und transphoben Übersetzungen berichtet, oft fehlt die vertrauensvolle Umgebung, um über die eigene Sexualität oder die Geschlechtsidentität als Fluchtgrund sprechen zu können. "Das betrifft auch Frauen, die Gewalt erfahren haben: Es braucht dringend speziell geschulte ÜbersetzerInnen", sagt Marty Huber.

Vergessene Frauen

UNHCR fordert diesbezüglich das Recht auf eine gleichgeschlechtliche Einvernahme, das laut der neuen EU-Asylverfahrensrichtlinie eigentlich besteht, in Österreich jedoch nur gilt, wenn es sich um ein Vorbringen von Sachverhalten handelt, das Eingriffe in die sexuelle Selbstbestimmung betrifft, erläutert Birgit Einzenberger. Betroffene Frauen müssen also schon vorab – zum Beispiel gegenüber einem männlichen Dolmetscher aus der eigenen Community – benennen, was ihnen widerfahren ist. Auch die Unterbringung speziell von alleinreisenden und alleinerziehenden Frauen ist nach wie vor mangelhaft, spezielle Frauenunterkünfte fehlen vielerorts. Von entsprechendem Bedarf berichten Betroffene und NGOs seit Monaten: In den Massenquartieren fehlen etwa getrennte Sanitärbereiche, auch ein effektiver Schutz vor Übergriffen ist nicht gegeben.

Zivilgesellschaftliche Initiativen weisen unermüdlich auf die zum Teil katastrophalen Zustände in der Versorgung von Geflüchteten hin. "Die Bundesregierung verlässt sich natürlich auch darauf, dass die Zivilgesellschaft und NGOs tätig werden", meint Marty Huber. Dennoch kann sie der aktivistischen Selbstausbeutung positive Seiten abgewinnen: "Menschen haben jetzt konkret die Erfahrung gemacht, was es heißt, mit Geflüchteten zu sprechen, zu essen, ihnen zuzuhören, von ihnen zu lernen."

Auftrag für die Politik

Asiye Sel beschäftigt sich indessen mit anderen Versäumnissen der Politik. Seit 2008 arbeitet die Soziologin als Referentin in der Abteilung Frauen und Familie der Arbeiterkammer Wien und hat speziell die Situation der sogenannten Gastarbeiterinnen untersucht. Frauen, die im Zuge der Familienzusammenführung in den 1970er-, 80er- und 90er-Jahren nach Österreich gekommen sind, könne man mit jenen Frauen vergleichen, die nun etwa aus Syrien oder Afghanistan zuziehen. "Die Erwerbsquote unter türkischen Frauen, die in Österreich leben, ist wesentlich geringer als in anderen Frauengruppen", sagt Sel.

Erwerbsarbeit sieht die Arbeitsmarktexpertin als ein wichtiges Element der Integration, als zentral für die persönliche Entfaltung und Selbstbestimmung von Frauen – gerade deshalb müsste Frauen spezielle Unterstützung angeboten werden, die sich an ihre Lebensumstände anpasst. "Es ist wichtig, dass man die Frauen jetzt schnell erreicht und unterstützt. Man muss Migrantinnen abholen, man darf nicht noch einmal den Fehler machen, sie sich selbst zu überlassen", sagt Sel. (Brigitte Theißl, 22.11.2015)