Manchmal kann es auch helfen, entsprechende Vorbereitungen für die Zeit danach zu treffen, denn sich mit dem Tod abzufinden heißt nicht, ihm ohnmächtig gegenüberzutreten: Nanni Moretti und Margherita Buy als Bruder und Schwester in "Mia Madre".


Foto: Thimfilm

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Wien – Wie kann man Abschied nehmen, wenn man weiß, dass jeder Besuch am Krankenbett möglicherweise der letzte ist? Zunächst will man ihn nicht als einen solchen wahrhaben. Man verdrängt das Kommende, was nicht sein darf, und übt sich im Festhalten am Alltag. Doch gleichzeitig weiß man, dass man damit einem zutiefst menschlichen Ritual folgt: Denn die Gewohnheit bietet nur scheinbar jene Sicherheit, nach der man sich so sehnt.

Wenn die Geschwister Margherita (Margherita Buy) und Giovanni (Nanni Moretti) ihre Mutter Ada (Giulia Lazzarini) im Krankenhaus besuchen, haben sie verschiedene Speisen mitgebracht. Margherita hat am Imbissladen noch schnell etwas Warmes einpacken lassen, Giovanni hat zu Hause gekocht und streut der Mutter frisch geriebenen Parmesan über die Pasta. Doch was am Beginn von Mia Madre nach ungleicher Zuwendung der Kinder aussehen mag, erweist sich im Laufe der Erzählung nur als unterschiedlicher Weg, mit der Situation und der damit einhergehenden Angst umzugehen.

Obwohl Moretti mit Mia Madre den Tod seiner Mutter thematisiert, die vor wenigen Jahren während der Dreharbeiten zu seiner Komödie Habemus Papam verstarb, und somit ein Stück Autobiografie verarbeitet, ist dieser Film – obwohl sein Titel anderes vermuten lässt – keineswegs ein Porträt in Form einer melancholischen Erinnerung. Denn Mia Madre ist ein Film, der sich in erster Linie für jene interessiert, die zurückbleiben. Das ist zuvorderst auch seine größte Stärke, denn Moretti bleibt damit stets im Hier und Jetzt verhaftet. Und er mischt seinem wehmütigen zugleich einen optimistischen Grundton bei, mit dem er nie davon abrückt, zu behaupten, dass das Leben weitergeht.

Verschiedene Lebenswelten

Manches in dieser Erzählung wirkt auf den ersten Blick forciert, etwa dass Margherita als Regisseurin gerade mitten in der Produktion eines sozialkritischen Films steckt, in dem es um Arbeitskampf und Ausbeutung geht. Oder dass sie nebenbei mit einer pubertierenden Tochter konfrontiert ist, um die sie sich schon deshalb nicht kümmern kann, weil diese nach der Scheidung beim Vater lebt. Oder dass in ihrem Film John Turturro als exaltierter US-Schauspieler ("Fellini! Rossellini!", brüllt er durch die Straßen Roms) seine Starallüren auslebt, die nur dazu dienen, Margheritas Überforderung in die Höhe zu schrauben.

Doch diese episodenhaften Turbulenzen verknüpft Moretti mit erstaunlicher Raffinesse. Unmittelbar findet man sich von einer Szene zur nächsten in den verschiedenen Lebenswelten Margheritas, bekommen die schulischen Misserfolge der Tochter dieselbe Bedeutung wie die selbstverliebten Schwindeleien des US-Stars. Schnell wird ersichtlich, wie alles mit allem zusammenhängt, dass sich auch in den letzten Wochen eines Menschen für die anderen der Alltag unerbittlich bemerkbar macht. Die Frage ist: Wie geht man damit um?

Auf Beobachterposten

Vielleicht auf so unterschiedliche Weise wie Giovanni und Margherita: der Bruder besonnen, die Schwester kämpferisch und überfordert. Dass Moretti ihre Situation in den Vordergrund rückt und Margherita Buy in der Hauptrolle den Vortritt lässt, eröffnet Mia Madre Freiräume. Moretti kann sich dadurch nämlich von jener Rolle, die er bislang so oft selbst in seinen Filmen übernommen hat, distanzieren, ohne sie wirklich abzulegen. Er entlässt sein Alter Ego des Intellektuellen, der mit der Politik der italienischen Linken ebenso hadert wie mit seinen bürgerlichen Problemen, aus der Verantwortung und zieht sich auf einen Beobachterposten zurück.

Im Vergleich zum mehrfach prämierten Das Zimmer meines Sohnes (2001), in dem Moretti einen durch den Tod des Sohnes traumatisierten Familienvater spielte, ist Mia Madre der weniger schmerzvolle Film. Das Thema des Verlusts ist einer neuen Sicht gewichen. Man könnte es auch so sagen: Wenn man die Mühsal des Lebens zu akzeptieren lernt, kann man auch seiner Endgültigkeit ins Auge blicken. (Michael Pekler, 21.11.2015)