Ein hellblaues Einfamilienhaus inmitten einer Siedlung im Herzen Sarajevos. Es fahren kaum Autos vorbei, kein Fußgänger ist unterwegs, alles ist ruhig. Wer nicht weiß, dass dieses Gebäude der Sitz des Center for Investigative Reporting (CIN) ist, würde nicht auf die Idee kommen, hier zwanzig der besten Journalisten Bosniens und Herzegowinas finden zu können. In diesen Büros, die eher an ein Homeoffice als an einen Newsroom erinnern, arbeitet die erste unabhängige Medienagentur ihrer Art am Balkan. Ihre Schwerpunkte: Korruption und organisiertes Verbrechen.

"Wir bringen geheime Geschäfte und Aktivitäten ans Licht, die Machthaber vor uns verheimlichen wollen. Wir wollen normalen Leuten zeigen, dass die Politik auf privaten Interessen basiert", erklärt Azhar Kalamujić, der bereits seit acht Jahren für CIN arbeitet. Die Organisation veröffentlicht unter der Leitung von Chefredakteurin Renata Radić-Dragić die Ergebnisse ihrer investigativen Recherchen in nationalen und internationalen Medien. Auf der CIN-Website können Leser alle Artikel auch auf Englisch einsehen, so wollen die Journalisten ein internationales Publikum erreichen.

Chefredakteurin Radić-Dragić (links hinten) erzählt mit ihren Kollegen Besuchern von ihrer Arbeit.
Foto: Jessica Braunegger

Publikationen bringen Veränderungen

Viele dieser Publikationen bewirkten echte Veränderungen. Bereits kurz nach seiner Gründung fand das CIN heraus, dass Bürger jährlich zwischen 2.000 und 2.700 offizielle Beschwerden gegen korrupte Polizisten einreichten. Damit kam laut CIN durchschnittlich eine Beschwerde auf jeden siebenten Polizisten. Umgekehrt gab nur einer von 50 Polizisten an, bestechlich zu sein. Nach der Publikation dieser Zahlen verdoppelten Anwälte die Zahl der Untersuchungen in Fällen von Polizeikorruption und der bosnische Staat verordnete den Polizeibeamten spezielle Schulungen.

"Einer unserer Beiträge über den früheren Premierminister der Föderation führte sogar zu seinem Rücktritt", erzählt Radić-Dragić stolz. Auch die Veröffentlichung mehrerer Gesetzesübertretungen des stellvertretenden Gesundheitsministers Faris Gavrankapetanović erregte Aufsehen. Mit seinem und dem Einkommen seiner Familie konnte der Besitz von Immobilien im Wert von mehr als einer Million Euro nicht erklärt werden. Als ehemaliger Direktor des Sarajevo Clinical Center habe er CIN-Recherchen zufolge zwischen 2004 und 2010 einen Schaden von 12,1 Millionen Euro angerichtet. Ihm wurde vorgeworfen, das Wettbewerbsrecht bei der Vergabe von Ausbauaufträgen missachtet, 260 Mitarbeiter illegal angestellt und Verluste vertuscht zu haben. Die Veröffentlichung dieser Misstände hatte eine vom Staatsanwalt angeordnete Untersuchung von Gavrankapetanovićs Eigentum zur Folge. Dafür erhielt CIN von "Account", einem Antikorruptionsnetzwerk in Bosnien und Herzegowina, einen "Award for best corruption investigative story 2014".

"Wir wollen normalen Leuten zeigen, dass die Politik auf privaten Interessen basiert." Azhar Kalamujić (rechts) mit Übersetzer.
Foto: Marion Kirbis

Die Arbeit der CIN-Journalisten finanziert sich gänzlich durch Förderungen aus Auslandsprojekten, aktuell eine Kooperation mit der EU. Die Redakteure berichten von regelmäßigen Drohungen, alleine ihr Idealismus und der Wille, die Ungerechtigkeit im Land zu bekämpfen, ließen sie weitermachen. "Wir sehen uns selbst als Watchdogs. Wir sind immer in Alarmbereitschaft und bringen Missstände unserer Gesellschaft ans Licht, sei es Korruption oder andere Aktivitäten", erklärt CIN-Redakteur Ermin Zatega die Philosophie der Agentur.

Korruption als System

Vildana Selimbegović, die Chefredakteurin der regierungskritischen Tageszeitung "Osloboᵭenje", macht das gesamte politische System von Bosnien und Herzegowina für das Korruptionsproblem verantwortlich. "Jedes Land hat seine eigene Mafia, aber unsere regiert das Land", sagt sie. Laut Selimbegović werden Gesetze dazu verwendet, illegale Aktivitäten und politische Manipulationen zu verdecken. Das wirtschaftliche System benachteilige Durchschnittsbürger und bevorzuge Politiker.

Durch ein Schlupfloch im 2001 eingeführten "Freedom of Access to Information Act" verhindern Politiker etwa die öffentliche Einsichtnahme in deren Finanzen. Ein durchschnittlicher Pensionist bekommt netto etwa 200 Euro monatlich, während das Einstiegsgehalt eines Politikers bei rund 3.000 Euro liegt. Dieses steigt im Lauf der Politikerkarriere kontinuierlich, um wie viel, ist aufgrund des Gesetzes jedoch nicht mehr nachvollziehbar. Bei einer Erkrankung im Alter haben Politiker einen gesetzlichen Anspruch auf das Dreifache ihres letzten Gehalts. Mit dem durch Korruption zusätzlich erwirtschafteten Geld können sie sich Luxusbauten leisten, was sie ebenfalls per Gesetz verschleiern können. Ohne die investigative Arbeit der Journalisten könnte den Politikern deren Besitz nicht nachgewiesen werden.

Drohungen und Überwachung

Da die Politiker in Bosnien und Herzegowina Medien immer noch als Sprachrohr der amtierenden Partei ansehen, müssen vor allem Journalisten in Führungspositionen mit Drohungen rechnen. Selimbegović berichtet von 40 anonymen Drohungen, die sie alleine während der vergangenen fünf Jahre erhalten habe. Die Polizei ermittelte in diesen Fällen zwar, blieb aber ohne konkrete Ergebnisse. Sie hörte jedoch unter dem Vorwand, den Drohungen nachgehen zu wollen, die Telefonleitung der "Osloboᵭenje" ab. Diese Maßnahme prangerte das Medium öffentlich an. Kritische Meldungen wie diese gestalten die Finanzierung der Zeitung schwierig. Ohne finanzielle Unterstützung aus dem Ausland könnte auch sie nicht überleben.

Die Ergebnisse des "World Press Freedom Index 2015" bestätigen, wie hart die Arbeit von Journalisten wie Selimbegović und denen des CIN ist. Darin werden 180 Länder nach Kriterien wie Freiheit der Berichterstattung, Medienpluralismus und -unabhängigkeit gereiht. Bosnien und Herzegowina rangiert auf dem 66. Platz. Der "Corruption Perception Index", der 175 Staaten untersuchte, zeichnet ein ähnliches Bild. Durch die mangelnde Transparenz und die Korruption im öffentlichen Bereich landete der Staat 2014 an 80. Stelle.

"Das kann zehn Minuten dauern oder zwei Stunden"

Norbert Mappes-Niediek schätzt Korruption als Problem ein, das von der Regierungsebene auf den Alltag der Bürger herabstrahlt. Der Südosteuropa-Korrespondent arbeitete in den Neunzigern als Berater des UN-Sonderbeauftragten für das frühere Jugoslawien und beschäftigt sich seit Jahren mit dem Balkan. Gravierend an der dort herrschenden Situation sei für ihn, dass sich ihr niemand komplett entziehen könne. "Angenommen, dein Vater erleidet einen Herzinfarkt, und die Rettung kommt nur, wenn du ihr Geld zusteckst, dann tust du das auch. Du lässt deinen Vater nicht sterben, nur weil du nicht Teil des korrupten Systems sein willst", erklärt er den Gewissenskonflikt vieler Bürger.

An den Grenzen Bosniens kann man das alltägliche System von Geben und Nehmen auch gut selbst nachvollziehen. Die "Eintrittsmaut" von Kroatien nach Bosnien gestaltetete sich mit fünf Euro, die der Zöllner "erbat", um die Abfertigung zügig zu gestalten, eher günstig. Für die Ausreise fielen zwei Flaschen Cola, zwei Flaschen Jägermeister und 25 Euro an. Der Zöllner bedeutete dem Fahrer, dass die Formalitäten wohl ein paar Stunden dauern könnten – "oder wir trinken etwas". Nach einer Viertelstunde war der Bus durch den Zoll.

Kampf gegen Korruption

Um das zu ändern, konzipierte die Kommission der EU eine neue Strategie für den Kampf gegen die Korruption, die das Land von 2015 bis 2019 umsetzen muss. Laut dem am 10. November von der Kommission veröffentlichten "Fortschrittsbericht" führte das bisher zu einer signifikanten Erhöhung von beschlagnahmtem Vermögen. Dennoch bleibe Korruption ein weitreichendes Problem, für dessen Lösung es mehr Engagement der Regierung benötige.

Die gesetzlichen und institutionellen Rahmenbedingungen zur Bekämpfung der Korruption werden in dem Bericht als "schwach und inadäquat" bezeichnet. Die mangelnde Vollstreckung der Gesetze wirke sich außerdem negativ auf die Bürger und Institutionen des Landes aus. Im Vorjahr gab es auf Staatsebene 158 Untersuchungen von Finanzverbrechen und Korruptionsvorwürfen. 103 Fälle wurden abgeschlossen, ob in allen eine Verurteilung erfolgte, ist aus offiziellen Dokumenten nicht ersichtlich. Die übrigen 53 Fälle wurden an die Staatsanwaltschaft von Bosnien und Herzegowina weitergeleitet.

Ein weiter Weg

Für die Europäische Union zählt der Kampf gegen die Korruption zu den obersten Prioritäten Bosnien und Herzegowinas, sollte das Land künftig den Beitritt anstreben. Die EU-Kommission nennt als Lösungsvorschläge neben der Verbesserung des gesetzlichen Rahmens für Parteienfinanzierung rigorose Strafen und eine umfassende Prävention in allen relevanten politischen Funktionen. Ob die Umsetzung funktionieren wird, sind sich nicht alle sicher. Für Radić-Dragić sieht das Land einer negativen Entwicklung entgegen: "Es gibt immer mehr Korruption, aber weniger Geld. Es ist schwer, der Zukunft positiv entgegenzublicken." (Marion Kirbis, Jessica Braunegger, 2.12.2015)