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In einigen Teilen der Welt ist der Wassermangel ein lebensbedrohendes Problem.

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Für ihre Bemühungen rund um das Menschenrecht auf Wasser hat Maude Barlow 2005 den Alternativen Nobelpreis erhalten.

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STANDARD: Sie haben den Begriff "Wasser-Apartheid" geprägt. Was beschreiben Sie damit?

Barlow: Millionen von Menschen weltweit haben keinen Zugang zu Trinkwasser. Sie können es sich schlicht nicht leisten. Oft betrifft das Minderheiten. Doch es gibt global gesehen längst nicht mehr nur die Kluft zwischen dem Norden und Süden. Wir müssen es als Klassenproblem betrachten.

STANDARD: Was gefährdet die Versorgung mit sauberem Wasser?

Barlow: Uns wurde schon in der Unterstufe gelehrt, dass das Wasser nicht ausgehen kann. Doch genau das ist der Fall. Sauberes Wasser wird rar. Wir managen es schlecht, verschmutzen es und leiten es von dort ab, wo es für einen gesunden ökologischen Kreislauf benötigt wird. Wir regulieren unsere Flüsse zu Tode. Wir pumpen das Grundwasser schneller ab, als es eingespeichert werden kann. Ein Großteil des Schadens wurde im Verlauf nur einer Generation verursacht.

STANDARD: Können Sie ein aktuelles Beispiel nennen, wo Kreisläufe irreparabel geschädigt wurden?

Barlow: São Paulo im Süden Brasiliens mit 20 Millionen Einwohnern galt noch bis vor 15 Jahren als eine der wasserreichsten Städte der Welt. Doch Grundwasser wurde für die Produktion von Zuckerrohr und Soja – hauptsächlich als Futtermittel in der Massentierhaltung – abgepumpt. Auch der Regenwald des Amazonas wurde stark abgeholzt. Dadurch verschwand die Feuchtigkeit der Wälder, die auch als "fliegende Flüsse" bezeichnet wird und die für Regen sorgt. Ähnliche Geschichten können wir von China bis nach Kalifornien beobachten.

STANDARD: Es gibt anschauliche Berechnungen, wie viel Wasser etwa zur Herstellung eines Kilogramms Rindfleisch oder für einen Baumwollpullover benötigt wird. Ist unser Konsum für die Wasserverknappung verantwortlich?

Barlow: Unser globaler Nahrungsmittelmarkt ist ein großer Teil des Problems. Das Wasser wird durch die Herstellung eines Produkts exportiert, dieser Mechanismus wird auch "virtuelles Wasser" genannt. Ein Beispiel ist das zuvor genannte Kalifornien, wo 80 Prozent der Mandeln des Weltmarkts produziert werden: Eine extrem wasserintensive Frucht wird also in einem Bundesstaat angebaut, dem das Wasser ausgeht. In unserer globalisierten Welt gehen die makroökonomischen Tendenzen oft dahin, all diese Probleme noch zu verschärfen.

STANDARD: Sie haben wiederholt den Konsum von Wasser in Plastikflaschen kritisiert. Gerade in Österreich hat das Leitungswasser eine hervorragende Qualität, aber dennoch wird viel Wasser gekauft. Gibt es hier Gegenbewegungen?

Barlow: Es ist eine Form kollektiven Wahnsinns, all das Wasser aus Plastikflaschen zu trinken. In Europa ist es schwieriger als in Nordamerika, dafür Bewusstsein zu schaffen. Dort gibt es zum Beispiel "blaue Gemeinden", in denen öffentliches Wasser gefördert wird. Dabei muss man betonen, dass es viele Länder gibt, in denen Leitungswasser krank macht. Doch gerade in Österreich ist das nicht der Fall. Außerhalb Kanadas war Bern vor zwei Jahren die erste "blaue" Gemeinde. Das ist insofern lustig, weil dort der Hauptsitz von Nestlé ist.

STANDARD: Verschließen die Politiker der Industriestaaten die Augen vor dem Ausmaß des Problems?

Barlow: Es erstaunt mich immer wieder. Es wird fast nur über Energiegewinnung diskutiert. Die Umstellung wäre zwar groß, aber wir könnten im Gegensatz zu Trinkwasser ohne fossile Brennstoffe leben. Die Tatsache, dass es schon wieder eine Präsidentschaftswahl in den USA ohne große Diskussion über das Dürreproblem gibt, erstaunt mich ebenso.

STANDARD: Sehen Sie eine Ge- fahr, dass Wasser auch in der EU zu einem kommerziellen Gut wird?

Barlow: Das geplante europäisch-kanadische Freihandelsabkommen CETA muss hier in einem Atemzug mit TTIP genannt werden. Es geht im Grund um dasselbe. Diese Vereinbarungen zwingen die Länder zwar nicht im Voraus, ihr Wasser zu privatisieren, doch sobald ein Bereich privatisiert wird, wird es fast unmöglich, diesen Prozess umzukehren. Denn Konzerne könnten wegen künftiger Gewinnausfälle klagen.

STANDARD: In Ihrem Buch "Blue Future" beschreiben Sie die Auswirkungen solcher Vereinbarungen auf Kanada. Können Sie die Situation kurz schildern?

Barlow: Wir leben in Kanada seit 21 Jahren mit ISDS (Investor-Staat-Streitbeilegung, Anm.). Dadurch kann ein ausländischer Investor gegen den Staat klagen, in dem er investiert hat. Quebec ist etwa aus Fracking ausgestiegen. Das lag auch an der Absicherung des Wassers. Doch eine Firma ficht dieses Verbot an. Interessanterweise handelt es sich um eine kanadische Firma. Doch sie nutzt ihre US-amerikanische Tochterfirma, also ihr Recht als ausländische Firma, um zu klagen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, zu wissen, dass in den vergangen 15 Jahren weltweit 235 Gemeinden verschiedene Bereiche privatisiert, aber ihre Meinung wieder geändert haben. Darunter sind Berlin oder Paris, die wieder zu einem öffentlichen System zurückgekehrt sind. Das wird durch solche Vereinbarungen kaum noch möglich sein.

STANDARD: Dieser Mechanismus, also das Beanspruchen von Ressourcen, mit denen ein Produkt gefertigt wird, erinnert an Landgrabbing in Afrika.

Barlow: Ja, Landgrabbing in unterschiedlichen afrikanischen Ländern betrifft mittlerweile eine Fläche, die dreimal so groß wie Großbritannien ist.

STANDARD: Es gibt auch Gegenbewegungen. Der Zugang zu Trinkwasser wurde 2010 von der UN als Menschenrecht anerkannt. Was hat sich seither getan?

Barlow: Der Kampf vor fünfeinhalb Jahren war bitter. 41 Staaten enthielten sich bei der Abstimmung der Stimme. Inzwischen sind alle Länder prinzipiell an Bord – auch wenn sie noch keine konkreten Maßnahmen gesetzt haben. Es gab sogar einige Gerichtsfälle weltweit, in denen Menschen Wasser oder das Menschenrecht darauf schützen lassen wollten. Wir hoffen, dass das in Zukunft auch genutzt wird, um Wasser vor Fracking oder Bergbau zu schützen. (Julia Schilly, 24.11.2015)