Es scheint, als habe Russlands Präsident Wladimir Putin in kurzer Zeit alle außenpolitischen Ziele erreicht. Er hat die nach der Annexion der Krim verhängte internationale Isolation durchbrochen. US-Präsident Barack Obama verhandelt mit ihm, Frankreichs Staatspräsident François Hollande kommt zu Besuch; er spielt eine Schlüsselrolle im Syrien-Krieg und ist De-facto-Verbündeter des Westens im Kampf gegen den "Islamischen Staat". Und all dies ist Putin ohne signifikante Zugeständnisse in der Ostukraine gelungen.

Doch der Schein der Stärke trügt. Putins Rückkehr auf die diplomatische Bühne ist vor allem eine Folge seiner Schwäche. In der Ukraine und nun auch im Nahen Osten steckt Russland militärisch und politisch fest.

Moskau hat durch seine Interventionspolitik die prowestliche Regierung in Kiew nicht gefährden können. Die Ergebnisse der jüngsten Kommunalwahlen zeigen den Niedergang der russlandfreundlichen Kräfte auf. Unter der russischen Herrschaft verkommt die Krim zum Armenhaus – und der von Separatisten gehaltene Donbass zu einem Notstandsgebiet, in dem Anarchie und Elend regieren. Die Aggression gegen den Nachbarn hat Russland letztlich nichts gebracht.

Offenbar fehlt dem Staat wegen der gefallenen Ölpreise und der westlichen Sanktionen das Geld, um seine Vasallengebiete in halbwegs funktionierende Regionen zu verwandeln. Und das schmälert Russlands Einfluss in anderen Ländern. Trotz der Unbeliebtheit der Sanktionen in vielen EU-Staaten konnte Putin die Einigkeit des Westens nicht brechen; außer Ungarns Viktor Orbán hat er in Europas Regierungen keine Freunde.

In Syrien schien es anfangs, als ob Putin mit seinem medial gefeierten Eingreifen die Initiative an sich gerissen hätte. Tatsächlich ist es ihm durch gezielte Luftangriffe gelungen, seinen Verbündeten Bashar al-Assad militärisch zu retten und politisch aufzuwerten. Bei den Wiener Syrien-Gesprächen war das syrische Regime ein Faktor, den man nicht übergehen konnte. Aber schnell bekam auch Russland die Kosten solcher Interventionen zu spüren. Die Hoffnung, den Kampf gegen den IS nur vortäuschen zu können, hat sich seit dem Anschlag der Terrormiliz auf ein russisches Flugzeug über dem Sinai zerschlagen. Putin steht nun vor dem gleichen Dilemma wie Obama, Hollande und andere: Interventionen in der islamischen Welt sind langwierige, finanziell belastende und mit hohen menschlichen Kosten beladene Unternehmungen mit ungewissem Ausgang.

Im eigenen Land ist Putins Popularität ungebrochen. Aber er braucht die außenpolitischen Erfolge, um vom rasch sinkenden Lebensstandard der Bevölkerung abzulenken. Bleiben diese aus, dann wird die anhaltende Wirtschaftskrise zunehmend an seiner innenpolitischen Macht nagen.

Es ist diese schmerzhafte Begegnung mit der Realität, die Russland wieder zum Partner des Westens macht. Putin kämpft um internationale Anerkennung und stellt daher derzeit keine Gefahr für seine Nachbarn dar – auch wenn die neue polnische Regierung diese Bedrohung gerne hochspielt.

Der Westen muss wachsam bleiben: Ein Kollaps der Waffenruhe in der Ostukraine etwa würde das diplomatische Tauwetter rasch beenden. Aber es ist von Vorteil, einen geschwächten Putin mit am Tisch zu haben. Er hat auch schon früher bewiesen, dass er zu einer konstruktiven Außenpolitik fähig ist. (Eric Frey, 18.11.2015)