Außer einem Specht, der die Dimensionen des Bildes sprengen würde, sind hier alle Beteiligten an einem biologischen Drama auf einen Blick versammelt: Eine gesunde braune Ameise der Art Temnothorax nylanderi, eine infizierte gelbliche und Larven des Bandwurms Anomotaenia brevis.

Foto: Susanne Foitzik

Mainz – "Die Parasiten haben faszinierende Strategien entwickelt, um ihre eigenen Interessen zu verfolgen", fasst die Evolutionsbiologin Susanne Foitzik die Ergebnisse einer Studie zusammen, die sie zusammen mit Kollegen durchführte. Im Mittelpunkt des Interesses standen die Ameisenart Temnothorax nylanderi und der winzige Bandwurm Anomotaenia brevis. Der befällt Ameisenkolonien und manipuliert diese gekonnt und auf mehrfache Weise, wie die Universität Mainz berichtet.

Temnothorax nylanderi ist in Westeuropa heimisch und lebt vorzugsweise in Eicheln oder Totholz am Waldboden. Die Arbeiterinnen sind zwei bis drei Millimeter groß und bilden Kolonien mit 50 bis 200 Tieren. Sie dienen als Zwischenwirt für den Bandwurm Anomotaenia brevis, der die Ameisen im Larvenstadium befällt und sich in ihrem Darm ansiedelt. Der Bandwurm vollendet seinen Lebenszyklus, wenn die Ameisen vom Hauptwirt, einem Specht, gefressen werden.

Erste Verhaltensänderung: Ein bequemeres Leben

Infizierte Ameisen sind gelb und unterscheiden sich damit deutlich von den ansonsten vorwiegend braunen Tieren. Sie sind aber auch inaktiv und bleiben im Nest, wo sie sich kaum an sozialen Aufgaben wie der Brutpflege beteiligen. Die aufgezwungene "Faulheit" rechnet sich sogar für sie: Befallene Ameisen leben nämlich länger als nicht befallene Nestgenossen, fanden die Forscher heraus.

"Möglicherweise ist die längere Lebensdauer eine Folge veränderter Genregulation, vielleicht aber auch ein Ergebnis der besseren Fütterung, die infizierte Tiere genießen", sagt Sara Beros, Erstautorin der Studie. Zunächst einmal "sorgen" die Parasiten also für ihre Zwischenwirte.

Zweite Verhaltensänderung: Verringerte Vorsicht

Allerdings kann ein solcherart verlängertes Leben zu einem abrupten Ende finden: Infizierte Tiere zeigen in Reaktion auf eine Spechtattacke ein geringeres Fluchtverhalten, was für den Parasiten die Chance, mitgefressen zu werden und damit in seinen Hauptwirt zu gelangen, erhöht. Das fanden die Forscher heraus, indem sie solche Attacken simulierten. "Sie versuchen dabei die Ameisen so zu beeinflussen, dass die Wahrscheinlichkeit, von einem Specht gefressen zu werden, steigt", meint Beros zur Strategie der Bandwürmer.

Dritte Verhaltensänderung: Die ganze Kolonie ist betroffen

Nicht infizierte Nestgenossen haben eine kürzere Lebensspanne nicht nur im Vergleich mit den befallenen Tieren, sondern auch im Vergleich mit Ameisen aus Kolonien, in denen keine Infektion aufgetreten ist. Die Forscher vermuten, dass dies auf den Stress zurückgeht, der sich aus der Notwendigkeit ergibt, für die infizierten Tiere mitzusorgen und dabei gleichzeitig auf ihre Arbeitskraft verzichten zu müssen.

Zum anderen zeigt eine befallene Kolonie ein geringeres Aggressionsniveau gegenüber Eindringlingen derselben Art. Die Wissenschafter nehmen an, dass dies daran liegt, dass infizierte Tiere eine chemische Signatur aufweisen, die von der normalen abweicht. Um selbst akzeptiert zu werden, erhöhen sie die Toleranzschwelle also soweit, dass selbst Eindringlinge akzeptiert werden. (red, 26. 12. 2015)