Washington/Tel Aviv – Die Beziehungen zwischen den USA und Israel sind auf einem Tiefpunkt angelangt. Jetzt wird der israelische Spion Jonathan Pollard nach 30 Jahren US-Haft entlassen. Kann seine Freilassung den Bündnispartnern dabei helfen, ein neues Kapitel in ihrem Verhältnis aufzuschlagen?

Als Jonathan Pollard ins Gefängnis kam, war Ronald Reagan noch US-Präsident. Ganze drei Jahrzehnte hat der wegen Spionage für Israel verurteilte US-Marineoffizier hinter Gittern verbracht. Wohl am Freitag soll der 61-Jährige wieder in die Freiheit entlassen werden – auf Bewährung zunächst und in eine dramatisch veränderte Welt. Zur Zeit seiner Verhaftung gab es noch kein Internet, und die noch kaum verbreiteten Handys waren so groß wie Aktentaschen.

Der zivile Marineanalyst wurde 1985 festgenommen. Auf seinem Schreibtisch waren immer wieder geheime Akten aufgefallen, mit denen er eigentlich beruflich nichts zu tun hatte. Tatsächlich übermittelte der jüdische US-Staatsbürger während seiner Arbeit mehrfach streng geheime Dokumente an Israel. Darunter sollen auch Informationen über arabische Staaten gewesen sein.

Ein Fluchtversuch Pollards in die israelische Botschaft scheiterte – er wurde nicht eingelassen. 1987 wurde er schließlich zu lebenslanger Haft verurteilt. Sein Geständnis verhinderte, dass im Prozess Einzelheiten zu den Vorwürfen gegen ihn verhandelt wurden.

Die Akte Pollard hat über Jahrzehnte erhebliche diplomatische Verwerfungen bewirkt. Mehrere israelische Ministerpräsidenten – von Izchak Rabin bis Benjamin Netanyahu – forderten die Begnadigung des bärtigen Mannes mit der hohen Stirn. Mehrere US-Präsidenten verweigerten sie ihm, darunter George W. Bush und Bill Clinton. Die USA behielten Pollard auch als diplomatisches Pfund in der Hinterhand, die Verhandlungen zu einem Friedensprozess in Nahost begleitend.

Gerüchte keimten auf und verschwanden wieder. So soll Pollard gleich für mehrere Länder spioniert haben, darunter Pakistan. Andere behaupteten, die USA seien deswegen so sauer auf Israel, weil Jerusalem vertrauliche Informationen an den Kreml weiterverkauft habe – um jüdische Bürger aus der Sowjetunion auszulösen.

Mit Pollards Freilassung geht auch eine der düstersten Episoden in den Beziehungen zwischen den engen Bündnispartnern Israel und USA ihrem Ende entgegen. Sein Wunsch, nach Israel zu ziehen, wird sich wohl vorerst nicht erfüllen. Der jüdische Staat hatte ihm zwar bereits vor zwei Jahrzehnten die israelische Staatsbürgerschaft verliehen. Für weitere fünf Jahre darf Pollard aber voraussichtlich die USA nicht verlassen, denn er gilt weiterhin als Sicherheitsrisiko.

Die Sichtweise auf Pollard könnte unterschiedlicher nicht sein. Die USA sehen in ihm auch heute noch einen "gierigen und arroganten Spion", wie ein Geheimdienst-Chef es einmal ausdrückte. In Israel wird er dagegen als Held gefeiert, vor allem von der religiösen Rechten.

Pollards Freilassung kommt zu einem Zeitpunkt, an dem das Verhältnis zwischen Israel und den USA an einem Tiefpunkt angelangt ist. Der heftige Streit um die Atomvereinbarung mit dem Iran hat den bereits vorher belasteten Beziehungen zwischen US-Präsident Barack Obama und dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu zusätzlich geschadet. Das Weiße Haus wies jedoch Spekulationen, man wolle Israel mit der Begnadigung Pollards möglicherweise besänftigen, deutlich zurück.

Netanyahu, der jahrelang sehr aktiv für eine Freilassung des Spions gekämpft hatte, sagte der heutigen Ehefrau Pollards nach Bekanntgabe der Entscheidung: "Wir freuen uns sehr auf seine Haftentlassung." Die Gesundheit des israelischen Spions gilt nach seinem langen Gefängnisaufenthalt als ziemlich angeschlagen, er musste über die Jahre mehrmals im Krankenhaus behandelt werden.

Zumindest dürfte Pollard, wenn er das Bundesgefängnis in Butner im US-Bundesstaat North Carolina verlässt, keine Quelle für sensible Informationen mehr darstellen. Was er einst wusste, ist heute veraltet – und die aktuelle Geheimdienst-Technik hat er nie kennengelernt. (APA, 18.11.2015)