Philosoph Liessmann: für eine "Moralaskese" im Journalismus"

Foto: VÖZ/Katharina Schiffl

Am Podium diskutierten (v.l.): Rainer Nowak ("Presse"), Alexandra Föderl-Schmid (STANDARD), Heinz Faßmann (Uni Wien), Moderatorin Angelika Simma (Caritas Österreich) und Christian Rainer ("Profil").

Foto: VÖZ/Katharina Schiffl

Wien – Auch wenn der Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) bei der Präsentation seines Public-Value-Berichts am Mittwochvormittag um positive Stimmung fürs Geschäft der Printmedien bemüht ist – Optimismus klingt anders: "Es wird bald eine Gruppe von Menschen geben, die sich primär über Social Media informieren und wenig gebildet sind", sagt Walter Osztovics, der für den VÖZ-Bericht die Studie mit dem Titel "Ordnende Kraft im Info-Chaos" verfasste.

28 Expertinnen und Experten befragte das Consulting-Unternehmen Kovar & Partners für den Bericht des VÖZ, darunter Medienmanager, Wissenschafter, Unternehmer und Journalisten. Und die Befragten seien in Sorge um die "ordnende Kraft" der Printmedien: "Beim Mediennutzungsverhalten der Jungen entsteht die Gefahr, dass eine ganze Generation politisches Interesse, Orientierung und Diskursfähigkeit verliert", sagt Studienautor und Kovar-Partner Osztovics. Jungen Menschen müsse man heute beibringen, kritisch zu differenzieren – früher hätten das die Print-Medien gemacht.

Printmedien als "Flagships"

Vor allem die Mechanismen der Info-Selektion in den Sozialen Medien beurteilen die Experten kritisch. Diese würde zu einem immer engeren Blick auf die Welt führen. "Was nicht der eigenen Meinung oder dem eigenen Interesse entspricht, wird gar nicht mehr wahrgenommen. Rund um die User entsteht eine Filter-Bubble, in der er nur jenen Teil der Welt sieht, der ihn im Status quo bestätigt."

Entgegen vorschneller Abgesänge auf gedruckte Inhalte sehen die Studienteilnehmer Printmedien als "Flagships" der jeweiligen Marke, deren Ruf sich auf ihre Online-Ausgaben übertrage. Auf der positiven Seite des aktuellen Medienwandels verbuchte Osztovics, dass der Vormarsch der Online-Medien zu einer Debatte um journalistische Qualität geführt habe.

Liessmann fordert "Moralaskese"

Keynote-Speaker Konrad Paul Liessmann, Professor für Philosophie an der Uni Wien, nützte die Gelegenheit für umfassende Medienschelte. "Längst sind Journalisten nicht mehr die Garanten für verlässliche und rasche Informationen", sagt Liessmann (seine Rede erscheint in Auszügen auch in der Donnerstag-Ausgabe des STANDARD als Kommentar der anderen). Liessmann ortet das Problem des Journalismus "in der Meinung selbst", denn sie stehe ja laut Hegel der Wahrheit gegenüber. Er empfiehlt der Branche eine "Moralaskese": gänzlich auf moralische Argumentation in Analysen zu verzichten.

Aktuell sieht man laut Liessmann, dass Medien durch das, was sie nicht sagen, "in einer Welt der raschen Informationszirkulation ins Zwielicht" geraten – etwa wenn bei Brandanschlägen auf Flüchtlingsheime "sofort" ein rechtsextremer Hintergrund angenommen werde, ein islamistischer Hintergrund der jüngsten Anschläge in Paris aber erst sehr spät berichtet werde.

Die Bedeutung der Printmedien sieht der Philosoph in der Pluralität der Standpunkte, die sie bieten. Leser der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit" werden zumindest teilweise die Kolumne des "konservativen Feigenblatts" der Zeitung, Harald Martenstein, lesen. In Social Media dagegen bekomme man per Algorithmus nur zugespielt, was man selber denke und lebe in einer "Filterblase".

Einordnen, filtern und selektieren "immer wichtiger"

Es sei "offensichtlicher denn je", dass der Druck auf allen Ebenen – vor allem auch durch die Sozialen Medien – zunehme, sagt STANDARD-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid bei der anschließenden Podiumsdiskussion. "Die Meldungen, die auf uns einprasseln, werden auch mehr, die Auswahl wird immer wichtiger." Auch mit der Auswahl und Dimension der Themen könne Meinung gemacht werden, sagt Föderl-Schmid. Die Funktion des Journalisten, einzuordnen, zu filtern und zu selektieren, werde jedoch immer wichtiger – gerade in diesen aufgeregten Zeiten.

"Profil"-Chefredakteur Christian Rainer widerspricht Liessmanns Plädoyer gegen die Meinung. Nur weil etwas emotional und mit Sprachgewalt dargestellt werde, müsse es sich noch lange nicht um Meinung handeln. Davon abgesehen sei sie – wie etwa in Sachen Flüchtlinge – nichts Schlechtes. Er glaube, dass es "in einem Land, in dem es ohnehin an positiv interessierten Eliten fehlt, mehr Meinungsdiskurs braucht, nicht weniger."

"Keine einfache, richtige und schnelle Lösung"

In der Flüchtlings- und Terrorismusberichterstattung seien vor allem "ein kühler Kopf, Zurückhaltung und ganz wenig Emotionen" gefragt, sagt "Presse"-Chefredakteur Rainer Nowak. Man müsse sich natürlich weiter mit dem Thema beschäftigen, vor allem da es in diesen Fragen keine einfache Lösung gebe. "Auch Journalisten würde es ganz gut anstehen, zu sagen, wir haben keine einfache, richtige und schnelle Lösung".

Heinz Faßmann, Vizerektor der Universität Wien und Vorsitzender des Expertenrats für Integration im Außenministerium, plädiert hingegen für die verstärkte Zusammenarbeit zwischen Journalisten und Wissenschaftern. Denn gerade im Hinblick auf Einordnung "kann die Wissenschaft schon etwas anbieten". Faßmann spricht sich zudem ebenfalls für kritische Distanz und Reflexion in der Branche aus. (APA, sefe, 18.11.2015)