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Versorgung und Betreuung der Flüchtlinge wie hier in Salzburg führen zwangsläufig zu höheren Ausgaben für Österreich. Auch die Kosten für wochenlange Polizeieinsätze summieren sich.

Foto: APA / Barbara Gindl

Wien – Wann muss welches Land wie viel sparen? Seit dem Ausbruch der Eurokrise 2010 und der Beinahepleite mehrerer Staaten bestimmt die Frage nach Defiziten und Schuldenquoten einen großen Teil der innereuropäischen Debatten. Dabei hat die EU unter Federführung Deutschlands eine ganze Reihe neuer Regeln mit dem Ziel verabschiedet, die Haushaltsdisziplin zu stärken. Das Credo dabei: Die Euroländer sollten sich künftig an Sparvorgaben auch gefälligst halten.

Doch dieser Konsens scheint unter dem Eindruck der Flüchtlingskrise und des Terrors in Paris zu wanken. Am Dienstag gab die EU-Kommission in Brüssel bekannt, dass sie bei der Bewertung von staatlichen Ausgaben für Flüchtlinge gewillt ist, eine besondere Flexibilität zu gewähren.

Doch über drei Prozent

Im Rahmen des sogenannten Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP) ist festgeschrieben, dass die Neuverschuldung der einzelnen EU-Staaten nicht über drei Prozent der Wirtschaftsleistung steigen soll. Liegt das Defizit höher, leitet die Kommission ein Verfahren gegen das jeweilige Land ein. Im Extremfall drohen theoretisch sogar Strafzahlungen. Im Rahmen des Paktes gibt es aber eine Regelung, die vorsieht, dass im Falle "außergewöhnlicher Ereignisse", die sich der Kontrolle eines Landes entziehen, Ausnahmen von den strikten Regeln möglich sind. Die Anwendung dieser Sonderklausel ermöglicht also Verstöße gegen Budgetvorgaben, ohne dass Konsequenzen drohen.

Der Vizepräsident der Kommission, der Lette Valdis Dombrovskis, sagte am Dienstag, seine Behörde sei bereit, die Ausgaben für Flüchtlinge als außergewöhnlich einzustufen. Konkrete Zahlen für 2016 haben bisher Österreich, Deutschland, Belgien, Italien und Finnland genannt. Österreichs Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) will eine Milliarde Euro als Sonderausgabe geltend machen.

Geld für Polizei und Heer

Bereits am Montag war Frankreichs Staatschef François Hollande, was die Budgetregeln betrifft, sogar einen Schritt weiter gegangen. In einer Rede vor den beiden Parlamentskammern in Versailles kündigte er als Reaktion auf die Terroranschläge mehr Geld für Polizei und Armee an.

Gehaltskürzungen für das Militär werden bis 2019 nicht stattfinden, in Polizei- und Justizapparat sollen 5.000 neue Jobs entstehen. Dabei sagte der Staatschef offen, dass diese Pläne mit den EU-Budgetvorgaben nicht vereinbar wären, dass ihn dies aber nicht weiter kümmere: "Der Sicherheitspakt ist wichtiger als der Stabilitätspakt." Will Paris also fortan die Regeln ignorieren?

Spielraum für Frankreich

Die EU-Kommission versuchte am Tag nach der Ansprache die französische Regierung wieder einzufangen. "In der aktuellen Situation ist klar, dass der Schutz der Bürger in Frankreich und Europa absolut Vorrang hat", sagte Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici. Aber der Wachstumspakt biete jene Flexibilität, die Paris brauche. Man werde mit den bestehenden Regeln eine Lösung finden. Das sieht auch der Salzburger Europarechtler Stefan Griller so: "Trotz aller Verschärfungen in den vergangenen Jahren sind die Vorschriften in puncto Defizite und Verschuldung so vage geblieben, dass sie im Bedarfsfall der Politik genügend Spielraum lassen."

Juristisch gebe es kein Problem, wenn die Staaten auf Flexibilität pochen, das sei eine politische Frage. Tatsächlich ist Brüssel großen Ländern immer entgegengekommen. Gegen Frankreich läuft seit 2009 ein Verfahren wegen eines zu hohen Defizits. Mit der EU-Kommission wurde vereinbart, dieses bis 2012 unter die Dreiprozentmarke zu drücken. Als das nicht gelang, verschob man das Ziel auf 2013, dann 2015 – aktuell wird 2017 angepeilt.

Österreich ist solche Sorgen bereits los. Denn im Gegensatz zu Frankreich konnte die Republik im vergangenen Jahr ihr Verfahren wegen eines übermäßigen Defizits abschließen. Trotzdem gab es für Wien am Dienstag eine Rüge der EU-Behörde.

Rüge für Österreich

Österreich gehört neben Italien, Spanien und Litauen zu jenen Ländern, die laut Kommission 2016 die Regeln des Stabilitätspakts verletzten könnten. Derzeit gilt, dass das strukturelle Defizit von Ländern in der Regel 0,5 Prozent nicht überschreiten soll. Schellings Mitte Oktober vorgelegter Haushaltsentwurf sieht die Einhaltung dieser Bestimmung vor. Doch das bezweifelt die EU.

Wegen der Kosten für Flüchtlinge, aber auch wegen möglicher zu optimistischer Annahmen bei der Gegenfinanzierung für die Steuerreform rechnet man in Brüssel mit einem strukturellen Defizit von rund einem Prozent. Wenn man die Kosten für Flüchtlinge rausrechnet, würde dies bedeuten, dass die Abweichung nicht signifikant ist, so die Kommission. Die genauen Berechnungen sollen im Frühjahr erfolgen. (András Szigetvari, 18.11.2015)