Anschaulich demonstrierte Wissenschaft: Andrea Accomazzo von der Esa zeigte in Berlin die Landung auf "Tschuri" mit Tennisbällen.

Andrea Accomazzo, Abteilungsleiter an der Europäischen Weltraumagentur Esa, beschreibt die erfolgreiche Landung der Raumsonde Philae auf dem Kometen Tschurjumow-Gerassimenko vor einem Jahr. Auf der Falling-Walls-Konferenz in Berlin nimmt er dieses Ereignis auch zum Anlass, um auf die Gefahren, vor allem aber auf die Möglichkeiten zukünftiger Missionen aufmerksam zu machen: Sollte die Erde einmal von einem dieser Kometen getroffen werden – und die Wahrscheinlichkeit sei in den nächsten Jahrhunderten sehr hoch -, dann sollten wir uns jetzt bereits überlegen, wie wir dem begegnen. "Lasst uns im Weltraum keine Mauern bauen, im Gegenteil."

Zum siebten Mal findet die "Konferenz für zukünftige Durchbrüche in Wissenschaft und Gesellschaft" statt, wie jedes Jahr am 9. November, einem Datum in der deutschen Geschichte, das vielfältige Bedeutung hat. An diesem Tag wurde 1918 die Republik proklamiert. 20 Jahre später riefen im Dritten Reich die Nationalsozialisten zu Pogromen auf. Um die positivste Erinnerung geht es bei dieser Konferenz: 1989 fiel an diesem Tag die Berliner Mauer.

Laboratorium der Jugend

"Falling Walls" ist in all den Jahren gewachsen. Um den Konferenztag herum sind mittlerweile mehrere Ableger angesiedelt: ein "Circle" über Wissenschaftsstrategien, an dem Entscheidungsträger aus Politik und Wirtschaft teilnehmen; die Veranstaltung "Venture", die junge Forscher und Investoren zusammenbringt (das diesjährige Siegerprojekt ist ein abbaubarer Wundkleber), und, ebenfalls am Vortag, das "Lab".

In diesem Laboratorium haben 100 junge Forscher aus mehr als 40 Ländern, die in 34 Entscheidungsrunden in aller Welt vorausgewählt wurden, je genau drei Minuten Zeit, um ihr Projekt vorzutragen. Eine 20-köpfige, offenbar sehr aufnahmefähige Jury wählt am Ende des Tages drei von ihnen zu Siegern. Diesmal sind es allesamt Frauen: Sabrina Badir (ETH Zürich) für die Entwicklung eines Geräts zur Erkennung von Frühgeburten; Lian Willetts (University of Alberta) für einen Bluttest zur Früherkennung von Prostatakrebsmetastasen; und Shani Elitzur (Technion Haifa) für die Entwicklung einer sicheren Wasserstoffproduktion und ferner einer Speichermöglichkeit elektrischer Energie.

Die drei Gewinnerinnen können ihre Arbeiten nochmals auf der Hauptkonferenz vortragen. Die bietet ein Forum für Diskussionen in Kleingruppen, viele Gelegenheiten für Networking und vor allem eine Bühne für Spitzenforscher. Die Gebiete, in denen die gemeinnützige Stiftung Falling Walls Durchbrüche vermutet und dahingehend Vortragende einlädt, reichen von Anthropologie bis Zoologie, sie schließen Museumsdidaktik ein und Politik nicht aus. Tatsächlich überwiegen Naturwissenschaften; Life-Sciences sind nach Meinung des Mitveranstalters Martin Sonnenschein von A.T. Kearney Deutschland zugunsten von Ingenieurswissenschaften und Nachrichtentechnik, Umwelt und Energie zurückgegangen.

Ersetzen von Gensequenzen

Eine große Bandbreite ist jedenfalls gegeben: Emmanuelle Charpentier, seit kurzem Direktorin am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie, berichtet von den erstaunlichen Möglichkeiten, Bakterien zum Löschen, Ersetzen und sonstigen "Redigieren" von Gensequenzen einzusetzen. Das Werkzeug, das sie gemeinsam mit einem Team entwickelt hat, heißt CRISPR/Cas9.

Damit, sagt sie, könne man eines Tages schwere Krankheiten behandeln und "insgesamt enorme Benefits erzielen – wenn die Technik verantwortungsbewusst eingesetzt wird". Charpentier, die auch an den Max F. Perutz Labs in Wien tätig war, wird als künftige Nobelpreisträgerin gehandelt – gemeinsam mit der US-amerikanischen Strukturbiologin Jennifer Doudna, die ebenfalls an diesem genetischen Werkzeug gearbeitet hat.

Arjen Hoekstra, Professor für Wassermanagement an der Uni Twente im niederländischen Enschede, warnt vor den enorm wachsenden Umweltproblemen, die durch Wassermangel entstehen. Eine globale Antwort wäre ein "Wasserfußabdruck", der etwa messen würde, wie viel Aufwand Konsumgüter dort verursachen, wo sie erzeugt werden, also oft in armen Ländern, die sowieso schon an Mangel leiden. Er ruft Wirtschaft und Zivilgesellschaft dazu auf, zu einer nachhaltigen Ressourcenpolitik beizutragen. Ähnlich möchte auch Ottmar Edenhofer, Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, der Umweltverschmutzung durch Kohleemissionen begegnen. Ein Ende der enormen Subventionen für diese Energiequelle sei ein unabdingbarer Schritt in Richtung vernünftige Klimapolitik.

Den Vortrag von Jeanne Liu, Präsidentin der Ärzte ohne Grenzen, die nicht über einen Durchbruch, sondern schlicht über die Notwendigkeit humanitärer Hilfe sprach, quittieren die Zuhörer mit Standing Ovations. Nicht alle Redner können mit dieser Reaktion rechnen, manche verzetteln sich in Power-Point-Dias, die auch Spezialisten überfordert hätten. Insgesamt aber erinnert der Großteil an die Qualität von TED-Talks, "vielleicht nicht so flashy", wie der amerikanische Wissenschaftsjournalist Andrew Curry kommentiert, "aber dafür mit mehr Tiefgang und Ernsthaftigkeit".

Kooperation mit Alpbach

Am Rande der Konferenz skizziert die österreichische Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny, Mitglied des Falling-Walls-Boards und seit kurzem auch im Rat für Forschung und Technologieentwicklung aktiv, eine mögliche Zusammenarbeit mit den Technologiegesprächen in Alpbach und der Lindauer Tagung der Nobelpreisträger. "Das hätte unglaublich viel internationale Reichweite und Strahlkraft," sagte sie.

Aus dem Austrian Institute of Technology (AIT), Koveranstalter der Technologiegespräche, verlautet unterdessen, dass ein Falling Walls Lab 2016 in Alpbach sicher stattfinden wird. Junge Wissenschafter sollten dann mit ihren Ideen im Congresszentrum Einzug halten. (Michael Freund aus Berlin, 18.11.2015)