Menschen im Mietshaus (v. li. o. im Uhrzeigersinn): die Revolutionären, die Tänzerin (mit Android-Freundin), das junge Paar und auch Karl Kraus.

Foto: TimTom

Wien – Im Jahr 2070 liegt Österreich dank der Klimaerwärmung wieder am Meer. Sizilien ist wie Atlantis versunken, und der dadurch losgetretene Migrationsstrom in höher gelegene Gefilde hat eine sizilianische Tanzexpertin nach Wien geführt. Sie wohnt nun in einem alten Zinshaus nahe dem Stadtzentrum, wo die Kriminalitätsrate hoch und die Bevölkerungsdichte niedrig ist. Zu den Nachbarn ihres Appartements, in dem ein Tanzandroide den Walzerschritt lehrt, gehören eine bombenbastelnde Revolutionärin, ein sexuell aktives junges Pärchen und – Großkritiker Karl Kraus.

Das ist die Pointe: Die räumlich nebeneinander angeordneten Leben finden zu verschiedenen Zeiten statt. Bereitet Karl Kraus in seinen Gemächern anno 1912 eine Eloge auf Nestroy vor, so verdrahtet die Linksradikale im Obergeschoß um 1970 Kabel mit einer Bonbonniereschachtel und diskutiert das junge Paar der Jetztzeit das Parteiprogramm der Grünen. Die Verbindungslinien zwischen den (Selbst-) Gesprächen bleiben in It's always sunny in Vienna von Toxic Dreams aber hauchdünn.

Unwirksame Ungleichzeitigkeiten

Dabei wäre die Simultaneität des Ungleichzeitigen ein wirkungsvolles Instrument zur gegenseitigen Bespiegelung (siehe z. B. Jon Fosses Stück Schlaf): Welches Echo ergibt das Gesagte 150 Jahre später im Zimmer nebenan? Diese Spuren versanden in Yosi Wanunus Inszenierung komplett. Im Hamakom-Theater, wo ein Wohnungsgeviert mit aufgemalten Möbeln bis zur Decke aufragt (Bühne: Andreas Strauss), klaffen die Spielstile auseinander, die Szenen vermögen allein für sich zu stehen, was dem Unternehmen den Wind aus den Segeln nimmt.

Denn die – von Georges Perecs Roman Das Leben Gebrauchsanweisung (1978) inspirierte – Historie eines Zinshauses wäre gewiss schön anzuschauen. (Margarete Affenzeller, 18.11.2015)