Mit einem breiten Lächeln und akkuratem Hüftschwung, fast schon ein wenig übermütig, tänzelt die Frau mit den taunassen Weintrauben auf dem Kopf hinter einer drei Meter hohen Wand aus erstarrter Lava hervor. Das glänzende Grün der Beeren wirkt giftig vor dem matten Schwarz des vulkanischen Gesteins, und der Gang der Winzerin leichtfüßig, weil der blaue Plastikbottich auf ihrem Haupt nur halbvoll gemacht wurde. Oder ist der Behälter mit den Beeren halbleer? Das kann man wohl auch auf den Kapverden, wie fast immer und überall auf der Welt, so oder so sehen.
"Dass hier überhaupt schon wieder Wein gelesen wird, ist ein Wunder", sagt Edmar Alves. Vor einem Jahr, am 23. November 2014, stand der Bergführer auch hier heroben vor dem Pico Pequeno, einem Seitenkrater des Vulkans Pico de Fogo. Nur eine halbe Stunde, nachdem er das Hochplateau mit einer Wandergruppe verlassen hatte, brach der kleine Krater aus.
Die Lava begrub den Ort Portela fast völlig unter sich, zerstörte die meisten umliegenden Felder und damit die Lebensgrundlage der Winzer, Bauern und Viehzüchter in diesem Kessel. Seither leben die Bewohner der Vulkan-Caldeira, die allesamt rechtzeitig evakuiert werden konnten, weiter unten in Notquartieren, die die Regierung der Kapverden auf der Insel Fogo errichten ließ.
Sahel im Atlantik
"Viele von ihnen sind längst wieder heraufgezogen, haben Zelte aufgestellt oder sich simple Hütten zusammengezimmert", sagt Alves. Nicht weil sie die Gefahren eines Lebens am Vulkan einfach beiseiteschieben würden, sondern weil es eine Notwendigkeit ist. Auf der Kapverden-Insel Fogo, die rund 600 Kilometer westlich von Senegal liegt, hat es seit zwei Jahren nicht mehr geregnet. Die Sahelzone breitet sich bis weit in den Atlantik aus, ist hier draußen aber noch regenärmer als auf dem Festland.
Unten im Tal sei es für die Caldeira-Bauern zu trocken, konstatiert Alves, um irgendetwas anzubauen, und Geld genug hätten sie nicht, um Lebensmittel einfach auf dem Markt zu kaufen. Oben in der Chã das Caldeiras, dem Kesselboden auf einer Seehöhe zwischen 1.600 und 1.800 Metern, reichen dagegen schon der Morgentau und manchmal ausflockende Wolken für die rudimentäre Bewässerung von Nutzpflanzen.
Die Winzerin mit den Weintrauben auf dem Kopf betrachtet den Bottich jedenfalls schon wieder als halbvoll, wie Alves ihren zuversichtlichen Kurzbericht auf Kreol übersetzt – auch wenn es wohl noch eine Zeitlang dauern wird, bis der Vinho Chã wieder in handelbaren Mengen gekeltert werden kann. In den vergangenen zehn Jahren bis zum Vulkanausbruch im Jahr 2014 wurden auf den vulkanischen Hochlagen Fogos bereits 200 Hektar Anbaufläche für Weine mit dieser Herkunftsbezeichnung geschaffen. Nicht weil der Geschmack der beiden portugiesischen Rebsorten so einzigartig ist, aber eben deren Lage – sie ist es, die in ihrer Limitiertheit Liebhaber findet.
Kooperative auf hohem Niveau
Rund 100 Winzerinnen und Winzer, dazu noch Obst- und Viehbauern, die unter anderem Ziegenkäse herstellen, hätten sich auf der Hochebene in unmittelbarer Nähe zum Pico de Fogo zu einer landwirtschaftlichen Kooperative zusammengeschlossen, sagt Alves. Das sind nicht wenige, wenn man bedenkt, dass auf dem gesamten westafrikanischen Archipel aus 15 Inseln insgesamt nur 40.000 Hektar überhaupt landwirtschaftlich genutzt werden können. Zu gebirgig im Süden und zu wüstenhaft im Norden sind die Kapverden, als dass hier viel anderes außer Zuckerrohr ohne enorme Anstrengungen angebaut werden könnte.
"Da haben es die Fischer auf den Kapverden schon leichter", meint Alves. "Sie brauchen nur eine Leine aus dem Boot hängen lassen, diese eine Zeitlang nachziehen, und schon gibt es Tunfisch und damit Essen für viele Tage. Auch die intensive Pflege wie für die eines Weingartens entfällt – die Menschen am Meer müssen nur hie und da ihre Boote lackieren, und wenn sie wollen, können sie auch ein lustiges Gesicht draufmalen."
Der Bergführer mag recht haben, was die Pflege des Weins betrifft, doch was die Leichtigkeit des heimischen Fischfangs in diesen Tagen betrifft, irrt er: Schwert- oder Tunfische gibt es in den Gewässern vor den Kapverden tatsächlich noch reichlich – allerdings eher für internationale Fangflotten. Sie sind es, die mit Hochseeschiffen weit vor der Küste schon so viel fangen, dass die kleinen Boote der Kapverdianer knapp vor der Küste nur mehr die kleinen Fische erwischen.
Während man all das mit Alves bespricht, hat der Bergführer rasch Höhenmeter gemacht und den Kamm der Bordeira de Fogo erreicht. Rund 1000 Meter ragen diese Felswände senkrecht über dem Kesselboden der Caldeira auf und bescheren der Vulkaninsel eine äußerst ungewöhnliche Topografie: Die Bordeira ist nicht im Zuge eines großen Vulkanausbruchs entstanden, sondern durch einen gigantischen Erdrutsch. Dadurch sieht man von diesem Kamm zur einen Seite in das Kesselinnere mit dem Pico de Fogo im Zentrum und zur anderen Seite bis zur Atlantikküste. Im Wesentlichen behält man so die gesamte Insel im Blick, während man in zwei Tagesetappen auf diesem Kamm den 2.829 Meter hohen Vulkan umrundet. Eine faszinierende Perspektive, wie es sie weltweit vermutlich kein zweites Mal gibt.
Feuerwehr auf Fogo
Alves weiß ob dieser Besonderheit und auch, wie sehr ein aktiver Vulkan fasziniert. Noch einmal beginnt er vom 23. November 2014 zu erzählen: "Da unten bin ich mit meinem Jeep gerast, als die Lava schon geflossen ist. Ich musste meinen Onkel und ein paar andere Verwandte retten." Er deutet auf die rund sechs Kilometer lange, schnurgerade Straße, die mitten durch den Kessel nach Portela führte. Heute sieht man nur mehr ein kurzes Fragment von diesem Weg, der Großteil ist von frischer Lava bedeckt. Die ist noch schwarz im Gegensatz zur rotbraunen Lava, die vom vorletzten größeren Ausbruch im Jahr 1995 stammt und sich unmittelbar daneben ergossen hat.
"Ich habe mich an das permanente Feuerwehrspielen auf Fogo gewöhnt", sagt er dann grinsend, ein wenig stolz auf sein Wortspiel, weil "Fogo" auf Portugiesisch ja "Feuer" heißt. Und weil dieses Spiel mit dem Feuer auch Koketterie ist, ergänzt er: "Die Verwandten hätten es auch ohne meine Hilfe geschafft, die Lava floss ja zum Glück nicht ganz so schnell nach Portela. Außerdem waren die Hubschrauber längst unterwegs."
Tatsächlich konnte Alves auch zwei deutschen Touristen, die zum Zeitpunkt des Vulkanausbruchs auf eigene Faust in der Caldeira unterwegs waren, in aller Ruhe raten: Keine Panik! Schaut doch einfach, dass ihr zu den Nordosthängen des Vulkans geht – dort ist Regenwald, und die Lava kommt gar nicht erst hin. Aha, es gibt also auch Regenwald auf dieser staubtrockenen Insel.
Bohnen für Bobos
Ebenso berühmt wie der Wein aus Fogo ist der Kaffee von der Insel, der in der Tat nach tropischen Wäldern verlangt. Dass von einer nur 476 Quadratmeter großen Insel, deren Vulkan die dort ansässigen Bauern eher permanent nervt, gleich zwei renommierte landwirtschaftliche Produkte stammen, mag ein wenig verwundern. Doch bis ins 19. Jahrhundert wurden in Lissabon mit Fogo-Kaffeebohnen höchste Preise erzielt, und auch heute zeigen sich Experten weltweit wieder begeistert.
Die außergewöhnlich süßen und kräftigen Bohnen wachsen auf einem lächerlich kleinen Streifen Wald in Mischkultur mit Papayas, Bohnen, Mais, Maniok und Tamarinden. Gourmets weltweit finden das so spannend, dass sie dafür ähnlich hohe Preise bezahlen wie für streng limitierten Vinho vom Vulkan.
Ähnlich erbaulich wie Retsina in Rethymnon schmeckt auch Fogo-Kaffee nur auf "seiner" Insel – selbst dann, wenn ihn ein sachverständiger Italiener zubereitet. An einem Strand südlich der Hauptstadt São Filipe lebt einer, er macht selber Mamma-mia-gute Marmeladen, feinste Fischpasteten, und er vermietet Zimmer. Nur vier Räume, um genau zu sein, in völliger Einsamkeit eines kilometerlangen schwarzen Lavasandstrands, der zu Mittag nicht nur den Siedepunkt erreicht, sondern zum Baden auch völlig ungeeignet ist. Wenn einen die Strömung nicht rauszieht, beißen mit Sicherheit die Haie zu.
Gut, dass man wegen des nervigen Vulkans gekommen ist, um mit Alves in den Bergen über Tunfisch zu reden und um beim Italiener in Afrika einfach nur aufs Meer zu schauen. Klar hätte man auch im Norden der Kapverden wie auf den Kanaren baden gehen können. Aber wozu denn, wenn auf Fogo der Wein immer halbvoll ist. (Sascha Aumüller, Rondo, 2.12.2015)