Tom Bartels musste für die ARD das Spiel zwischen Frankreich und Deutschland kommentieren.

Foto: SWR/Olga Samuels

Köln – Irgendwann wollte Tom Bartels nur noch fliehen. Aus der "perversen Situation", aus dem Stade de France. "Weg aus diesem Albtraum", sagt er. Doch er machte weiter. Er kommentierte das Länderspiel für die ARD zu Ende, während der Terror Paris heimsuchte: "Mir haben die Knie gezittert."

Am Wochenende ist er wieder zu Hause, er hat Frankreich per Thalys-Schnellzug nach einer kurzen Nacht verlassen, doch der Schrecken sitzt ihm noch in den Gliedern. "Dies ist mit nichts vergleichbar, was ich jemals als Reporter erlebt habe", sagt Bartels im SID-Interview. "Das ist das Schlimmste, was passieren kann, dass Menschen sterben während eines Sportereignisses. Es war grausam, mit Worten nicht zu beschreiben und zu lösen. Man fühlt sich schlecht."

Erste Informationen

Im Durchschnitt 8,78 Millionen Zuschauer sahen am Freitagabend, wie Bartels immer unruhiger wurde. Mit einem "mulmigen Gefühl ab der ersten Detonation, nach der zweiten erst recht" kommentierte er normal weiter. "Eine Minute nach der Pause kam, dass es Verletzte gab. Da wusste ich, dass etwas ganz Schreckliches passiert ist", berichtet er. "Das verstärkte sich, als Frankreichs Präsident Francois Hollande nach der Pause nicht mehr auf seinem Platz saß."

Bartels wurde zwar jede Information "direkt aufs Ohr gegeben", allerdings war die Nachrichtenlage anfangs diffus. Er fuhr die Emotionen zum Spiel zurück, gab gesicherte Informationen weiter. Kritisiert wurde er dennoch heftig – besonders bei Twitter, Facebook und Co. Zu sachlich sei er gewesen, zu schlecht informiert und unsicher.

"Man wird eben überrollt"

Der 50-Jährige, als Kommentator des WM-Finales 2014 noch Transporteur eines Freudenfestes, begegnet der Kritik mit offenem Visier. "Diese Leute hätten das vor Ort sicher alle genau so gemacht, wie man das machen muss", sagt er spöttisch, zugleich wirbt er jedoch um Verständnis. "Man wird eben überrollt. Ich weiß gar nicht, wie man das machen muss. Ich will so etwas nie wieder erleben."

Sicher habe es innerhalb des ARD-Teams auch Diskussionen gegeben, zumal viele forderten, die Übertragung abzubrechen. "Aber ich finde es fast ärgerlich, wenn sich da jetzt Leute hinstellen und den Zeigefinger heben, als würden da Personen pietätlos im Ü-Wagen sitzen." Bartels räumt ein: "Sicher hätte man am Ende keine Spiele mehr zeigen sollen."

ARD wollte Zeit gewinnen

Dies hatte die ARD live mit Zeitgewinn für eine angemessene Krisenberichterstattung begründet. Auch Moderator Matthias Opdenhövel, der mit sichtlichem Abscheu die Berichte von anderen Spielen ankündigte, sprach anschließend von einem "Horror" und zitternden Beinen. Nicht wenige warfen der ARD vor, zu spät auf den Terror reagiert zu haben und nicht früher die Regie von den Fußballkommentatoren übernommen zu haben.

Diese Kritik, man habe die Sportreporter zu spät abgelöst, kann ARD-aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke nicht nachvollziehen. "Zunächst sind viele Beobachter davon ausgegangen, dass das Stadion Schwerpunkt des Geschehens war", sagte Gniffke am Samstag zum Medienmagazin DWDL.de. "Entsprechend war es richtig, dass die Sport-Kollegen direkt von dort über die Ereignisse abseits des Spielfelds berichtet haben. In dem Maße, in dem die Erkenntnisse zunahmen, haben wir die Zuschauerinnen und Zuschauer durch 'Tagesschau'-Sonderausgaben auf dem Laufenden gehalten und sind schließlich auf Strecke gegangen."

Bartels: "Ich wollte nur, dass es zu Ende geht"

Bartels hatte es zu diesem Zeitpunkt hinter sich und grübelte in den Katakomben noch lange. Er verließ das Stadion erst um drei Uhr, als er sich sicher fühlte. Sein Resümee: "Es war furchtbar, vor allem, wenn man sieht, dass die deutsche Mannschaft, die ja nicht informiert war, sich redlich um den Ausgleich bemüht oder um ein Tor. Diese Sinnlosigkeit wurde mir immer mehr bewusst. Ich wollte nur, dass es zu Ende geht."

Die Frage, ob er sich etwas vorzuwerfen habe, beantwortet er ausweichend. "Ich war mir lange nicht sicher, ob ich vielleicht übersensibel bin. Ich wurde anfangs gefragt, warum ich überhaupt diese vermeintlichen Böller erwähnt habe." Allein gelassen fühlte er sich nicht. (sid, red, 15.11.2015)