Meist sind es rechte bis rechtsradikale Parteien, die uns routiniert mit verhaltensoriginellen Mandataren verwöhnen. Sie degradieren damit das Parlament zur Dauerausstellung "Politsonderlinge". Frau Winter ist nur eine spezielle Erscheinungsform dieser Spezies. Was dabei unter den Tisch fällt: Die Parteien tragen die Verantwortung für die Personalauswahl – die ist in einem System starrer Listen eine ihrer wesentlichsten Aufgaben. Die FPÖ wusste, wes Geistes Kind Frau Winter ist. Die Rücktrittssaufforderungen von Strache sind Flucht aus dieser Verantwortung. Für den Verlust des Mandats gibt es ohnehin klare Regelungen.

Statt über die Rolle von Abgeordneten im parlamentarischen Getriebe zu sprechen, wird wieder einmal die Frage aufgeworfen, ob deren Anzahl nicht zu hoch sei, man könne für jede Partei eine Person nominieren, die bei Abstimmungen ein Taferl mit der jeweiligen Mandatszahl hochhält. Angesichts von Klubzwang und durchzuwinkenden Regierungsvorlagen eine berechtigte Frage. Trotzdem ist sie ebenso falsch wie die Forderung nach dem Rücktritt "wilder" Abgeordneter. Diese würden Geld kassieren, aber keine Gegenleistung erbringen dürfen. Die richtige Frage, die sich angesichts fraktionsloser Mandatare stellt, ist eine grundsätzlichere: die nach der Art, wie Parlamentarismus in Österreich gelebt wird. Denn die erzwungene "Untätigkeit" der "Wilden" ist Symptom der größten Sünde wider das freie Mandat. Der Skandal besteht nicht darin, dass Fraktionslose nicht arbeiten, sondern darin, dass man sie nicht arbeiten lässt. Die etablierten Parteien haben sich ein Zwangssystem für die Abgeordneten einfallen lassen, das dem freien Mandat Hohn spricht.

Gegängelte Abgeordnete

Zuallererst ist dieses System für die eigenen Abgeordneten gedacht – um sie zu gängeln und zu disziplinieren. Meisterhaft vorgeführt wurde das einst vom damaligen SP-Klubchef Wille, dem es mit den Werkzeugen der Geschäftsordnung gelang, dem direkt gewählten (damals jungen) Josef Cap zu zeigen, wo der Barthel den Most holt. Die Idee, ein aufmüpfiger Abgeordneter hätte die Möglichkeit, den Protest und den Willen seiner Wählerschaft im Parlament zu formulieren, erwies sich im Rahmen dieses Systems als abstrus. Cap lernte seine Lektion, passte sich an. Ein Dasein als "freier" Abgeordneter hätte ihm nichts gebracht, da außerhalb der Fraktion parlamentarische Arbeit ebenso wenig möglich ist wie als "Abweichler" innerhalb des Klubs. Seine einzige Alternative wäre letzten Endes die gewesen, den Politikerberuf aufzugeben, da er bei eigenwilligem Verhalten, egal ob inner- oder außerhalb des Klubs, nie wieder auf einer Parteiliste gelandet wäre. An der Ex-SPlerin und Ex-Mandatarin Ablinger wurde erst vor kurzem beispielhaft vorgeführt, wie das läuft.

"Alleinstehende" Abgeordnete sind sinnvoller Arbeitsmöglichkeiten beraubt. Das freie Mandat ist eine Fiktion. Es sind also ganz andere Fragen als die nach dem Rücktritt Fraktionsfreier zu stellen. Etwa: Warum dürfen sie erst nach den Rednern aller anderen Parteien sprechen? Warum haben sie extrem beschränkte Sprechzeiten? Warum ist ihnen die Antragstellung weitgehend verwehrt? Warum dürfen sie sich in Unterausschüssen nicht zu Wort melden, sondern nur still sitzen und zuhören? Warum haben sie dort nicht zumindest eine beratende Stimme? Warum knebelt man die Mandatare?

Die Antwort auf diese Fragen ist einfach: Die Parteien und die jeweiligen "Parteigewaltigen" haben kein Interesse an mündigen Abgeordneten. Sie betrachten und behandeln "ihre" Mandatare als Stimmvieh. Sie gebärden sich wie Lehensherren, die über Wohl und Wehe ihrer Lehensnehmer entscheiden. Es gilt das Motto: Der Herr (=die Partei) hat es gegeben, der Herr hat es genommen.

Nicht der Rücktritt fraktionsloser Abgeordneter ist die Forderung der Stunde, sondern die Abschaffung der Fesselung durch Geschäftsordnung und Klubzwang. Alles andere spottet demokratischen Mindeststandards und zeigt nur, dass Parteiapparate meist kein wirkliches Interesse an lebendigem Parlamentarismus haben. (Michael Amon, 13.11.2015)