Jerusalem – Die am Mittwoch von der EU-Kommission verabschiedete Leitlinie zur Kennzeichnung von Waren aus israelischen Siedlungen in den seit 1967 besetzten Gebieten hat in Israel große Verärgerung ausgelöst. Doch was genau steht eigentlich in der Leitlinie und warum ist sie so umstritten?

Was sieht die neue Richtlinie vor?

Die EU-Kommission stellt gegenüber den 28 Mitgliedsländern klar, dass laut der bestehenden Rechtsregelung Herkunftsbezeichnungen auf Waren keine Falschinformationen enthalten dürfen. So sei es im Falle der von Israel besetzten Palästinensergebiete (Westjordanland und Ost-Jerusalem) sowie der eroberten Teile der Golanhöhen nicht zulässig, "Made in Israel" aufs Etikett zu drucken. Auch reiche es nicht, "Erzeugnis aus dem Westjordanland" oder "von den Golanhöhen" anzugeben; erforderlich sei vielmehr etwa in Klammern der Zusatz "israelische Siedlung".

Warum fällt die Entscheidung gerade jetzt?

Hauptgrund für den Zeitpunkt ist wohl die steigende Frustration Europas angesichts des stockenden Nahost-Friedensprozesses. Weil zugleich die israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten völkerrechtswidrig immer weiter ausgebaut wurden, hatten die EU-Außenminister bereits 2012 eine Unterscheidung bei den Herkunftsbezeichnungen für Siedlerprodukte befürwortet. Mit Rücksicht auf eine letztlich erfolglose, von den USA vermittelte Verhandlungsrunde und dann die Wahlen in Israel lag das Projekt lange auf Eis. Heuer im April drängten dann aber 16 Außenminister, darunter Sebastian Kurz (ÖVP), die Kommission, den Beschluss nun umzusetzen.

Ist die Richtlinie für alle Länder bindend?

In Verbraucherfragen hat die EU Weisungskompetenz. Bei Waren, die zwingend eine Herkunftsangabe tragen müssen (die meisten Lebensmittel und Kosmetika) müssen die Angaben wahrheitsgemäß auf Verpackung und Etiketten stehen. Bei allen anderen Erzeugnissen liegt es im Ermessen der einzelnen Mitgliedsländer, ob diese Angaben entfallen können. Irreführend dürfen sie aber auch dort nicht sein.

Welche Gegenmaßnahmen sind aus Israel zu erwarten?

Vize-Außenministerin Tzipi Hotovely, die wie viele in der rechts-religiösen Regierung gegen einen eigenständigen Palästinenserstaat ist, droht mit politischen Folgen: "Jedes Land, das diese Richtlinien akzeptiert, zeigt, auf welcher Seite es im israelisch-palästinensischen Konflikt steht und wird in dieser Frage nicht mehr unser Gehör finden", verkündete sie bereits vor der Entscheidung der EU-Kommission.

Wie bedeutsam ist der Import von Siedlerprodukten in die EU?

Die EU ist der wichtigste Handelspartner Israels: Das Exportvolumen dorthin betrug 2014 fast 13 Milliarden Euro, importiert wurden Waren und Dienstleistungen für 17 Milliarden Euro. Produkte aus den Siedlungen machten bei industriellen Erzeugnissen aber nur 0,7 Prozent und bei Agrargütern nur 2,5 Prozent der Exporte aus, wie der wissenschaftliche Dienst des israelischen Parlaments errechnete. Ihr Handelsvolumen in der EU schwankt nach unterschiedlichen Angaben zwischen 160 und 300 Millionen Euro pro Jahr.

Warum reagiert Israel trotzdem so heftig?

Das rechte Lager in Israel kämpft vehement gegen die "Differenzierung" zwischen Israel in den Grenzen bis 1967 und seinen Siedlungen in Judäa und Samaria, wie das Westjordanland dort amtlich genannt wird. Wer auf diese "ein Label klebt, stigmatisiert ganz Israel. Das ist eine Rutschbahn", sagte Hotovely (Chotoveli).

Ist die israelische Angst vor einem Abrutschen in einen Boykott begründet?

Auch gemäßigte israelische Politiker und Handelsexperten sehen die Gefahr, dass Importeure und Supermärkte Irritationen ihrer Kunden scheuen könnten und auf den Verkauf von Datteln, Wein oder Orangen aus ganz Israel verzichten. Dazu kommt in Unternehmen, die auch in den Siedlungen tätig sind, die Sorge, dass ihre europäischen Geschäftspartner sich deshalb zurückziehen. Das betrifft vor allem die israelischen Banken. (APA, 11.11.2015)