ORF-Moderatorin Vera Russwurm: "Es ist mir eigentlich wurscht, was die anderen sagen."

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Wien – Jahrelang lehnte Vera Russwurm Interviewanfragen des STANDARD höflich, aber bestimmt ab – offiziell, weil sie keine Zeit hatte. Wie sich jetzt herausstellt, weil sie sich mit den ihrer Meinung nach polemischen Kritiken im STANDARD über ihre Sendung Vera nicht auseinandersetzen wollte. Nachdem sie jetzt im STANDARD gar nicht mehr vorkäme, sagte die Moderatorin und neuerdings kreuz & quer-Reporterin zu. Nach 27 STANDARD-Jahren ist es so weit: Vera bricht ihr Schweigen!

Russwurm: Ich kann es gar nicht fassen, dass der STANDARD Interesse an meiner Person zeigt.

STANDARD: Nicht nur das, jetzt machen Sie sogar "kreuz & quer"-Dokus, dieses Mal über Vegetarismus. Was ist passiert?

Russwurm: Nach meinem ersten Film mit Christian Kugler über Essensverschwendung wollten wir weiter zusammenarbeiten und kamen auf das nächste Essensthema. Ich selbst esse Fleisch, aber immer weniger, weil zwei meiner Töchter Vegetarierinnen sind.

STANDARD: Kann es sein, dass Sie sich schon ein nächstes Standbein suchen, nach Vera bei ...?

Russwurm: Vera bei ... hat ein Ablaufdatum, weil wir in Österreich nicht so viele Prominente haben. Ein neues Projekt ist pilotiert, mehr will ich dazu nicht sagen.

STANDARD: Im Hauptabend?

Russwurm: Wird man mich nicht lassen, fürchte ich.

STANDARD: Warum nicht?

Russwurm: Gute Frage, hat das vielleicht etwas mit dem Geburtsdatum zu tun? Ich liebe meinen Beruf in allen Facetten und würde mich freuen, wenn man mich fragt. Aber man fragt mich nicht, und es kommen die zum Zug, die 25 Jahre jünger sind. Das ist nachvollziehbar, ändert aber nichts daran, dass ich weiß, was ich kann.

STANDARD: Der ORF feiert 60 Jahre Fernsehen. Sie sind seit 36 Jahren dabei. Ihre Höhepunkte?

Russwurm: Sehr schwer zu beantworten, weil es so viele waren. Als Sendung war es die Millennium-Show zum Jahrtausendwechsel. Für mich ein wahnsinnig berührender Moment war, als die Opfer des Briefbombenattentäters Franz Fuchs dessen Eltern umarmten.

STANDARD: Was von Medien als moralischer Tiefpunkt im Fernsehen kommentiert wurde.

Russwurm: Ich fand es toll. Weder Opfer und schon gar nicht die Familie Fuchs hätten je den Mut aufgebracht, den Kontakt zu suchen.

STANDARD: Verzeihen ist wichtig, aber muss die Kamera dabei sein?

Russwurm: Die Kamera muss dabei sein, weil das ein Riesenthema in der Öffentlichkeit war. Franz Fuchs hat uns über Monate hinweg bewegt, jetzt wird man das nicht hinter den Kulissen machen. Die Voyeurismuskritik ist überhaupt das Doppelmoralischste. Printmedien haben nicht die Möglichkeit des bewegten Bildes.

STANDARD: Sie meinen, dass Printmedien Sie kritisierten, weil sie es selbst nicht besser konnten?

Russwurm: Jeder Journalist möchte mit seinen Berichten Publikum anziehen, aufklärend wirken. Bei mir war es dasselbe Anliegen. Das waren ganz einfache Leute, und die dafür zu prügeln, was der Sohn gemacht hat, war nicht fair.

STANDARD: Es war vielleicht auch nicht fair von Ihnen, weil es Leute waren, die keine Erfahrung hatten im Umgang mit Medien?

Russwurm: Die Eltern haben es als positiv empfunden, auch danach. Es ist mir eigentlich wurscht, was die anderen sagen. Ich fand es toll.

STANDARD: Wie gehen Sie mit Kritik um?

Russwurm: Eine negative Kritik ist mir über all die Jahre nicht egal – vor allem, wenn es Polemik ist.

STANDARD: Interessant, wenn Sie sich verletzt fühlen – nachdem Sie jahrelang die Würde von Menschen verletzten.

Russwurm: Das stimmt ja nicht. Mein Credo ist, Menschen nicht zu verletzen. Nennen Sie mir ein Beispiel, wo ich das getan hätte.

STANDARD: Sextouristen in Asien.

Russwurm: Ist das etwas Positives? Die sind von den Girls gelegt worden, dumme Menschen aus der Steiermark. Ich habe sie ausrutschen lassen. Das Publikum hat gebrüllt, die haben sich sicher geärgert, dass sie gekommen sind. Dann sollen sie es halt nicht machen! Nächstes Beispiel.

STANDARD: Österreichs größter Busen.

Russwurm: Wenn sie stolz darauf ist, soll sie ihn herzeigen. Menschen haben unterschiedliche Interessen und Neigungen. Das ist noch lange kein Vorführen. Ich habe eine hohe ethische Linie.

STANDARD: Gibt es auch Themen, auf die Sie weniger stolz sind?

Russwurm: Es gibt Themen, die ich heute auslassen würde. Wir hatten zum Beispiel ein Paar, das einen Swingerclub und einen achtjährigen Sohn hatte. Oder ein Paar, das immer Sex hatte, wenn die Mutter anrief, und die Mutter schlug vor, verdient doch Geld damit. Das würde ich heute nicht mehr machen.

STANDARD: Wie geht es Ihnen als Krone-Journalistin beim Anblick von Hetzkommentar und abgebildeten Leichen von Parndorf?

Russwurm: Die Krone ist ein sehr breites Medium, und es gibt tatsächlich keine vorgegebene Linie. Ich bin nicht verantwortlich dafür, was Kollegen schreiben. Das muss jeder mit sich selber ausmachen. Bevor ich andere verurteile, stelle ich mir die Frage, was tue ich eigentlich selbst.

STANDARD: Gefällt Ihnen, was Sie lesen?

Russwurm: Nein, es gefällt mir nicht, überhaupt keine Frage. (Doris Priesching, 10.11.2015)