Der deutsche Diplomat Martin Kobler übernimmt nun die Leitung der UN-Mission in Libyen, nachdem Bernardino León zu einem Thinktank nach Abu Dhabi wechselt.

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Tobruk/Tripolis/Kairo – Als Skandal bezeichneten viele Analysten den Wechsel von Bernardino León auf den gut dotierten Chefposten der Diplomatischen Akademie in Abu Dhabi, einer Kaderschmiede für junge Diplomaten. Die Emirate gehören zu den wichtigsten Unterstützern der international anerkannten Regierung in Tobruk. Die Rivalen in Tripolis reagierten wütend und verlangten eine Erklärung von den Vereinten Nationen, weil mit diesem Wechsel Leóns Glaubwürdigkeit in Zweifel gezogen worden sei und die Gefahr bestehe, dass der politische Pfad zerstört werde.

Die Ankündigung aus Abu Dhabi kam zu einem heiklen Zeitpunkt, da León den Vorschlag zur Machtverteilung zwischen den beiden rivalisierenden Lagern noch einmal angepasst hatte: Er schlug einen von sechs auf neun Personen erweiterten Präsidialrat vor, um die verschiedenen Regionen des Landes besser berücksichtigen zu können.

Viele heikle Missionen

Die UN haben reagiert, indem die Amtsübergabe an den Nachfolger Martin Kobler beschleunigt wurde. Seit dem Wochenende ist der deutsche Diplomat offiziell Leiter der UN-Mission in Libyen. Nach diesem Eklat liegt aber ein Schatten über diesem Amt, und Koblers Arbeit wird nicht leichter.

Der 62-Jährige ist schwierige Aufgaben mit wenig Hoffnung auf Erfolg gewohnt: Er war in den letzten Jahren in mehreren Brennpunkten der Region engagiert. Er war Botschafter in Ägypten und im Irak und später Vertreter der UN in Bagdad und Afghanistan und leitete zuletzt die UN-Friedensmission in der Demokratischen Republik Kongo. Dort ging es vor allem darum, die Sicherheitslage zu stabilisieren – es sind verschiedene bewaffnete Gruppen aktiv – und die staatlichen Autoritäten wieder herzustellen. Das werden auch im nordafrikanischen Ölstaat die wichtigsten Prioritäten sein.

Wiederaufnahme der Verhandlungen als Ziel

Konkret geht es jetzt darum, die beiden verfeindeten Lager in Tobruk und Tripolis wieder an einen Tisch zu bringen, nachdem der von León im Oktober vorgelegte politische Kompromiss vorerst von beiden Seiten abgelehnt worden ist. Als Scharfmacher kristallisieren sich sowohl in Tobruk als auch in Tripolis immer deutlicher die beiden Parlamentspräsidenten heraus. Beide verhindern, dass die sich abzeichnende Mehrheit der Befürworter des León-Vorschlages sich Gehör verschaffen kann. León hatte im Übrigen nicht nur mit den Abgeordneten diskutiert, sondern mit vielen andern gesellschaftlichen Gruppen und Vertretern von Städten und Gemeinden – bei diesen waren die ausgehandelten Ideen für die Machtverteilung und den Neuaufbau der politischen Institutionen auf große Zustimmung gestoßen.

Der Sicherheitsrat hat daher am Wochenende die Dialogteilnehmer noch einmal aufgefordert, das Abkommen zur Bildung einer Regierung der nationalen Einheit zu unterzeichnen und gedroht, das Libyen Sanktionskomitee sei bereit, diejenigen zu benennen, die die libysche Sicherheit und Stabilität bedrohen und eine erfolgreiche Vollendung der politischen Transformation torpedieren.

Die Patt-Situation hat zur Folge, dass der libysche Sitz am EU-Afrika-Gipfel, der sich Mittwoch und Donnerstag mit dem Thema Migration beschäftigen wird, wahrscheinlich leer bleibt, weil nicht klar ist, wer ihn einnehmen sollte – und das, obwohl Libyen eines der wichtigsten Drehkreuze für die aktuellen Flüchtlingsbewegungen nach Europa ist. (Astrid Frefel, 9.11.2015)