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In der Masse, hier beim Grenzübergang Spielfeld, können Flüchtlinge einander leicht aus den Augen verlieren. Das Rote Kreuz und der Rote Halbmond unterstützen Betroffene, Verschollene wiederzufinden.

foto: afp/vladimir simicek

Wien/Zagreb – Ein Mädchen mit braunen Locken lächelt zaghaft in die Kamera und von tausenden Computer- und Handybildschirmen der Nutzer sozialer Netzwerke. Die Familie des Kleinkinds wird vom UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) und dem Roten Kreuz gesucht. Auch die kroatische Regierung hat sich via Twitter eingeschaltet und darum gebeten, das Bild der etwa Dreijährigen vor allem in Flüchtlingsunterkünften zu verbreiten.

Je öfter das Foto des Mädchens publiziert und geteilt wird, desto größer ist die Chance, dass jemand, der es kennt, den Suchaufruf entdeckt. Vielleicht ist das die einzige Möglichkeit des Kindes, wieder Kontakt zur eigenen Familie zu bekommen, nachdem es bereits vor einem Monat ohne Angehörige im kroatischen Velika Gorica gestrandet sein soll.

Persönlichkeitsschutz

Zugleich ist die Veröffentlichung solcher Fotos aber nicht unheikel. In Europa sei sie aufgrund des Persönlichkeitsschutzes genau genommen rechtlich nicht gedeckt, sagt Claire Schocher-Döring, Leiterin des Suchdiensts beim Österreichischen Roten Kreuz, im STANDARD-Gespräch sagt. Bei Kinderfotos müsse man besonders vorsichtig sein.

Außerdem könne die Fotoveröffentlichung Angehörigen, die in einem Krisenland zurückgeblieben sind, zum Nachteil gereichen: wenn dort bekannt werde, dass sich ein Teil der Familie in Europa befindet. Die Zurückgeblieben könnten um Geld erpresst werden, sagt Schocher-Döring. Vorsicht sei zudem geboten, weil Schlepper, die oft in Besitz von Pässen oder Papieren der Menschen sind, sich leicht als Verwandte ausgeben könnten.

Eigene Such-Homepage

Das Österreichische Rote Kreuz, das sich seit dem Ersten Weltkrieg mit der Suche nach Vermissten befasst, hat im Zuge der Flüchtlingsbewegung eine eigene Seite für Suchaufrufe gestartet (tracetheface.org). Die dort für die breite Öffentlichkeit sichtbaren Fotos zeigen nur Personen, die jemanden suchen und dezidiert zugestimmt haben, dass ihr Aufruf verbreitet werden soll.

Auf der Website halten derzeit mehr als 400 Personen Ausschau nach Bruder, Frau, Tochter oder der ganzen Familie. Namen stehen aus Sicherheitsgründen keine dabei. Nach dem Start in Österreich schlossen sich auch das deutsche Rote Kreuz und weitere auf den Flüchtlings-Hauptrouten liegende Staaten tracetheface.org an – zuletzt Italien und Lettland. Zusätzlich zur Website hängen Mitarbeiter in Flüchtlingsquartieren Poster mit den Bildern auf, die regelmäßig erneuert werden.

Intern noch mehr Infos

Das Rote Kreuz unterhält darüber hinaus ein organisationsinternes internationales Suchnetzwerk für Mitarbeiter entlang der Migrationsroute. Dieses umfasst weit detailliertere Informationen.

"Die Veröffentlichung bei Trace the Face ist oft nur das letzte Mittel, wenn sämtliche bisherigen Suchen im Sand verliefen", sagt Schocher-Döring. Suchanfragen würden daher oft mit einiger Verzögerung nach dem Ausbruch einer konflikt- oder krisenbedingten Flüchtlingsbewegung gestellt. Die Suchaufträge wiederum können innerhalb der Rotkreuz- beziehungsweise Roter-Halbmond-Organisationen, wenn die Sicherheitslage es zulässt, in detektivische Kleinarbeit münden. "Da begibt sich dann ein Mitarbeiter wirklich in ein Dorf in Afghanistan. In Somalia wird viel übers Radio gesucht. Und in großen Flüchtlingslagern mit dem Megafon", schildert Schocher-Döring.

Mehr Aufträge von Syrern

Derzeit stammten die meisten dem Roten Kreuz vorliegenden Suchanfragen noch von Afghanen, dem folgen jene von Eritreern und Somaliern. Erst an vierter Stelle kommen derzeit Anfragen von Syrern. Deren Zahl sei aber seit dem Sommer massiv im Steigen begriffen. Insgesamt gingen 2014 beim Österreichischen Rote Kreuz 1.600 Suchanfragen ein, von denen zwei Drittel aktuelle Konflikte betrafen. Heuer sei "auf jeden Fall mit mehr Fällen" zu rechnen, meint Schocher-Döring.

Auseinandergerissen werden Angehörige oft an Grenzübergängen. Heikel sind auch Orte, an denen Flüchtlinge in kleinere Gruppen aufgeteilt werden, etwa auf Busse oder Quartiere. Für die Betroffenen ist WLAN in Flüchtlingsunterkünften und an Grenzübergängen wichtig, um über Handy-Apps miteinander in Kontakt zu bleiben. Eine solche drahtlose Internetverbindung sei etwa beim Grenzübergang im burgenländischen Nickelsdorf rasch zur Verfügung gestellt worden, lobt Schocher-Döring.

Hunderte Anrufe nach Lkw-Fund

Mehr Vermisstenanzeigen habe die dortige Polizei aufgrund der Flüchtlingsbewegung nicht verzeichnet, sagt Christian Rosenich vom Landeskriminalamt Burgenland. Mit Suchanfragen hat er viel zu tun, da er für die Identifikation der 71 Leichen verantwortlich ist, die Ende August in einem Kühl-Lkw in Parndorf entdeckt wurden. Damals habe es hunderte Anrufe von Menschen gegeben, die Angehörige vermissten und in dem Fahrzeug vermuteten, schildert er.

"Ob die gesuchte Person eines der Opfer in dem Lkw gewesen sein könnte oder nicht, konnte man meist schon nach einem kurzen Gespräch feststellen", sagt Rosenich. Etwa mithilfe der Angabe, wann man zuletzt Kontakt gehabt habe und wo. Konnte der Tod im Lkw ausgeschlossen werden, habe man den Anrufern geraten, sich dort, wo sie sich befanden – meist im europäischen Ausland –, an eine örtliche Polizeidienststelle zu wenden und eine Vermisstenanzeige aufzugeben. Das sei das übliche Prozedere. Kontakt zum Suchdienst des Roten Kreuzes stelle man nicht extra her. (Gudrun Springer, 9.11.2015)