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Heute, Montag, ist der amtierende rote Kanzler Werner Faymann 2.533 Tage und damit gleich lange im Amt wie sein schwarzer Vorvorgänger Wolfgang Schüssel. Morgen, Dienstag, wird er ihn überholen.

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Wien – Da soll noch jemand behaupten, dieser Mann sei ein Umfaller: 18 von 19 Wahlen hat die SPÖ seit 2008 verloren, doch der oberste Verantwortliche hält sich eisern im Sattel. Platz um Platz klettert Werner Faymann in der Rangliste der längstdienenden Regierungschefs seit 1945 empor, am Dienstag wird er Schwarz-Blau-Macher Wolfgang Schüssel überholen. Ein Jahr muss der vermeintliche Wackelkanzler noch durchhalten, dann liegt er, vor allen ÖVP-Säulenheiligen, auf Platz drei.

Es ist längst genug

Grund zum Feiern hat Faymann dennoch nicht. Denn selbst im schrumpfenden Kreis jener Getreuen, die noch SPÖ wählen, meinen viele: Es ist längst genug.

Immer öfter schwappt der Unmut, der sich in der Kanzlerpartei über die Faymann-Jahre angestaut hat, an die Oberfläche. Die Initiative des Traiskirchener Bürgermeisters Andreas Babler, neuer Held der Parteilinken, fordert ebenso die Ablöse des Parteichefs wie die Onlinepetition "Wir wollen mehr", die Front der Angefressenen reicht von der Parteijugend bis zu Altvorderen wie Franz Vranitzky und Hannes Androsch.

Kanzlerbonus war einmal

Sicher, die Zahl der Kritiker mit offenem Visier ist immer noch so klein, dass ihnen die Parteispitze neben den offiziellen Lobhudlern auch die schweigende Mehrheit der vermeintlich Zufriedenen entgegenhalten kann. Doch wer ins SPÖ-Milieu hineinhört, lernt: Der Frust ist viel breiter gestreut als der Mut, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Früher einmal, da gab es einen Kanzlerbonus; heute ist die Person des Amtsinhabers für viele Sympathisanten ein Grund, die SPÖ nicht zu wählen.

Also weg mit Werner Faymann? Würde ein Führungswechsel die alte Tante Sozialdemokratie wieder auf Trab bringen?

Atmosphärische Befreiung

Einen Schub dürften sich die Sozialdemokraten von einem neuen Frontmann durchaus erhoffen. Die SPÖ, das betrifft keineswegs nur den Parteiobmann, hat ja nicht zuletzt ein Imageproblem: Die rote Regierungsriege umweht der Charme des farblosen Funktionärsklüngels, ein personifiziertes Kernschichtenprogramm ohne Strahlkraft in neue, geschweige denn junge Wählergruppen hinein. Ein politisch unverbrauchter Managertyp wie der als Faymann-Nachfolger gehandelte ÖBB-Chef Christian Kern könnte das Kanzleramt zumindest atmosphärisch vom Geruch der Bestandsverwaltung befreien.

Frag nach bei Mitterlehner

Doch Rückenwind kann rasch verfliegen – frag nach bei Reinhold Mitterlehner. Der neue ÖVP-Chef surfte nur kurz auf dem Django-Hype, um sich mittlerweile zwischen den gleichen Fronten aufzureiben wie seine erfolglosen Vorgänger. Ähnliches droht einem Newcomer an der SPÖ-Spitze zu widerfahren: Denn vieles, was die Kritiker Faymann als Führungsschwäche nachsagen, wurzelt in strukturellen Zwängen.

Neben einer offenen Diskussionskultur, wie sie derzeit dem Faymann'schen Diktum der Parteidisziplin zum Opfer fällt, wünschen sich viele der Unzufriedenen in der SPÖ vor allem eines: einen deutlichen Linksruck, eine Besinnung auf sozialdemokratische Werte. Sie ärgern sich, dass ihr oberster Genosse zwar wortreich den in Europa grassierenden Sparwahn geißelt, in Brüssel und Wien aber am Nulldefizit festhält, statt große Konjunkturprogramme zu lancieren. Und sie wollen keine Sonntagsreden mehr hören, in denen der Parteiobmann Vermögenssteuern beschwört, um dann als Regierungschef keinen Cent davon durchzusetzen.

Trügerische Hoffnungen

Allerdings umschiffen die Kritiker dabei gern eine unangenehme Frage: Wie soll die SPÖ ihre reine Lehre in einer Koalition aus zwei annähernd gleich starken Parteien durchsetzen? Man mag Faymann nun vorwerfen, in diversen Fahnenfragen schlecht verhandelt zu haben: Tatsächlich tendiert der konfliktscheue Kanzler dazu, um des ihm heiligen Koalitionsfriedens willen nachzugeben, während die ÖVP stur bleibt. Sicher wurden da politische Gelegenheiten ausgelassen, doch aus dem grundlegenden Dilemma könnte auch ein linker Heilsbringer nicht einfach ausbrechen: Die SPÖ ist an einen Koalitionspartner gekettet, der in entscheidenden Fragen von der Bildungs- bis zur Finanzpolitik in eine andere Richtung will – und als unerquickliche Alternative droht die Opposition unter Schwarz-Blau.

Ein Dandy als Reservekandidat

Als doppelt trügerisch könnten sich die Hoffnungen herausstellen, wenn Faymanns Nachfolger tatsächlich Christian Kern heißt. Der schick gekleidete, "perfektionistische Dandytyp" (Profil) ist politisch ein Kind der Neunzigerjahre, als die SPÖ-Spitze mit jenem von Tony Blair und Gerhard Schröder vorgezeichneten "dritten Weg" liebäugelte, der dem linken Flügel heute als Pfad ins neoliberale Übel gilt. Kern ist zuzutrauen, einen professionellen Kanzler abzugeben; ein Mann für eine Linkswende ist er nicht. (Gerald John, 9.11.2015)