Wer Sinn in seiner Arbeit sieht, ist erfüllter, macht einen besseren Job, sagt Dominic Veken. Auf die Profession komme es dabei nicht an.

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Das Grundproblem unserer Zeit? "Wir versuchen ständig externe Anforderungen zu erfüllen, aber wir sind nicht mehr erfüllt von etwas."

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Dominic Veken hatte vieles von dem, wovon andere nur träumen: Als Geschäftsführer und Gesellschafter einer großen Werbeagentur gewann er Preise, Anerkennung und machte viel Geld. Der Höhepunkt: als er 2009 erfolgreich den Wahlkampf für Angela Merkel gestaltete. "Weitermachen hätte keinen Sinn ergeben", sagt Veken heute. Als Unternehmensphilosoph betreut er weltweit Unternehmen, unterrichtet an der Universität der Künste in Berlin und hält Vorträge über Sinn und Begeisterung für Führungskräfte.

STANDARD: Im Titel Ihres neuen Buches fragen Sie: "Wofür arbeiten wir eigentlich?" Wie lautet Ihre Antwort?

Veken: Es gibt gerade eine ziemliche Entwicklung in der Beantwortung dieser Frage. Früher hat man sich darauf ausgeruht, dass man arbeitet, um Geld zu verdienen. Dann kamen langsam ein bisschen Selbstverwirklichung und Work-Life-Balance dazu. Und mittlerweile fragen viele richtigerweise nach dem Sinn des Ganzen, wofür sie eigentlich jeden Tag das tun, was sie tun. Das hat mit dem fundamentalen Wandel zu tun, den wir gegenwärtig erleben: mit der umfassenden Beschleunigung und Digitalisierung. Mit Oberflächlichem kommt man nicht mehr weiter als Unternehmen, denn auch die Arbeitsbedürfnisse haben sich geändert, vor allem durch die Generation Y. Die ist im Wohlstand aufgewachsen. Sie fragen nach etwas Größerem.

STANDARD: Und wenn jemand nur mit Zahlen argumentiert?

Veken: Unser Tun braucht einen Sinn. Wenn man sich nicht als Teil von etwas Größerem begreift, hat kein Unternehmen eine Zukunft. Viele Studien zeigen, dass Unternehmen, die Sinn in den Mittelpunkt stellen, auch wirtschaftlich erfolgreicher sind als reine Profitmaschinen.

STANDARD: Prominente Soziologen wie Heinz Bude kritisieren, dass die ständige Suche nach dem Sinn letzten Endes für viele Menschen ein großer Stress ist.

Veken: Ich sehe es komplett umgekehrt. Was stresst, ist die Selbstverwirklichung. Aber wenn man sich selbst als Teil von etwas Größerem sieht, dann stuft man sich automatisch zurück, nimmt sich weniger wichtig, ist nicht mehr so egogetrieben. Den Sinn kann man auch nicht suchen – wenn man den Sinn darin sieht, nur den Sinn zu suchen, dann beißt sich die Katze in den Schwanz, da gebe ich Bude und Co dann schon recht. Nach Sinn sucht man nicht, man gibt sich ihm hin. Sonst ist man irgendwann ausgebrannt, weil Sinn und Selbstverwirklichung nur noch weitere Anforderungen sind, die Druck erzeugen. Das ist einfach das Grundproblem unserer Zeit: Wir versuchen ständig externe Anforderungen zu erfüllen, aber wir sind nicht mehr erfüllt von etwas.

STANDARD: Mit Verlaub, aber ist dieser Akzent auf sinnvolles Arbeiten nicht ein Luxusproblem? Was sagt da der Dorfinstallateur oder jemand an der Supermarktkasse ?

Veken: Überhaupt nicht. In meinem Buch zitiere ich den Psychologen Mihály Csíkszentmihályi, der über viele Jahre die Wirkung der Arbeit auf das Glücksempfinden der Menschen untersucht hat. Chirurgen sind demnach die Beschäftigten mit dem höchsten Glücksempfinden, da bei ihnen alle positiven Arbeitsfaktoren zusammenkommen. Das ist nicht überraschend. Was aber durchaus verblüfft: Auch unter den Putzfrauen in Krankenhäusern waren immer wieder einige anzutreffen, deren Glücksempfinden ähnlich hoch war. Der Grund: Sei sehen sich als wichtige Größe für die Gesundheit und das Leben der Patienten statt nur als Putzfrau. Wenn man sieht, dass durch die eigene Arbeit die Welt ein Stück weit verändert wird, dann können wir auch stupideste Arbeiten machen und dennoch davon erfüllt sein.

STANDARD: Angenommen, jemand vermisst dieses Erfülltsein schon länger. Was raten Sie in diesen Situationen?

Veken: Ich glaube, man muss sich der Folgewirkungen seines Tuns bewusst werden. Warum ist das, was man tut, etwas Großes, etwas, das die Welt ein bisschen verändert? Das wäre eine erste Sinnfrage. Die zweite: Was würde ich tun, wenn ich keine Angst hätte, wenn ich einmal nicht den Anforderungen von außen folgen würde? Da spielt das Wort "Eigentlichkeit" von Martin Heidegger eine Hauptrolle – bestimmt kennen den Gedankengang viele: "Ich wollte ja eigentlich immer schon ..." Als Drittes kann man sich fragen, wann und wo man sich jetzt schon als Teil von etwas Großem fühlt. Das ist für mich die beste Definition von Begeisterung

STANDARD: Ist das bei Ihnen auch so verlaufen?

Veken: Ich habe mich in der Tat nicht immer als Teil von etwas Großem gesehen. Sonst könnte ich über die gegenwärtigen Arbeitsbedürfnisse auch kaum glaubwürdig philosophieren. Ich wusste irgendwann, dass ich in dem Job letztlich nur ein Erfüller sein kann, und habe dann von einem Tag auf den anderen gekündigt. Was ich nun mit Unternehmen als deren Philosophie erarbeite, sehe ich in meiner sehr idealistischen Art und Weise als großen Hebel, um Unternehmen erfolgreich und mehr Menschen glücklich zu machen. Dadurch fühle ich mich jetzt schon viel erfüllter. Ich glaube schon deswegen, dass Unternehmen heute eine große Verantwortung für Sinnhaftigkeit tragen, denn die klassischen Institutionen wie Kirche, Familie oder Gewerkschaft fallen ja in der Sinnstiftung mittlerweile ziemlich aus.

STANDARD: Ist dieses sinnzentrierte Unternehmensmodell denn nicht auch etwas sehr angloamerikanisches? Sind wir Österreicher und Deutschen nicht zu nüchtern für so viel Pathos?

Veken: Das glaube ich nicht. Gerade der deutsche und österreichische Mittelstand beherbergt viele Unternehmen, die sehr stark von einer Überzeugung geprägt sind und sich nicht darauf reduzieren lassen wollen, nur Geld zu verdienen.

STANDARD: Und Sie betonen, dass das alles nichts mit Selbstverwirklichung zu tun hat.

Veken: Selbstverwirklichung heißt eben, dass man das Selbst als Sinn begreift. Das ist eine totale Egomaniestrategie. Da sind wir wieder bei den krankmachenden Anforderungen. Bei Viktor Frankl gibt es den Begriff der Selbsttranszendenz als Gegenstück, also: sich etwas Größerem widmen, mit Hingabe, ohne sich dabei zu verlieren. Auch Maslow hat das kurz vor seinem Tod in die Bedürfnispyramide aufgenommen – und zwar über dem Bedürfnis nach Selbstverwirklichung: sich selbst nicht mehr so wichtig zu nehmen, eine bedeutende, sinnvolle Sache zu verwirklichen statt nur sich selbst. Leider haben wir da zum Teil noch nicht das Bewusstsein dafür, weil wir noch zu sehr dem Ideal des konkurrenzorientierten Nutzenmaximierers folgen. (Lara Hagen, 7.11.2015)