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Jorge Lorenzo lag in einigen Rennen vor seinem Yamaha-Kollegen Valentino Rossi. In der WM führt vor dem Finale allerdings der Italiener.

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Pit Beirer führt KTM demnächst zurück in die Königsklasse.

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Valencia/Wien – Dass Motorradfahren ein Imageproblem hat (zu gefährlich, zu teuer), kann nur ein Gerücht sein, das sich spätestens an den Absperrungszäunen der MotoGP-Rennstrecken zerstreut. Rückblick: Der Italiener Valentino Rossi, fünffacher Champion in der Königsklasse des Motorradsports und aktueller WM-Führender, soll den Spanier Marc Márquez beim Grand Prix von Sepang im Zweikampf in einer Kurve von der Maschine getreten haben. Der Spanier stürzt, bleibt unverletzt.

"Dem vorausgegangen ist eine unfaire Aktion von Márquez, der Rossi ausgebremst hat. Es gibt ein ungeschriebenes Gesetz im Motorsport: Wenn zwei Fahrer um den WM-Titel kämpfen, dann hält sich die Konkurrenz aus diesem Zweikampf heraus", sagt Pit Beirer, Sportdirektor des oberösterreichischen Motorradherstellers KTM. Rossi hat vor dem letzten WM-Lauf in Valencia am Sonntag noch sieben Punkte Vorsprung auf seinen spanischen Teamkollegen Jorge Lorenzo, wurde nach seinem Manöver aber mit einer Rückversetzung auf den letzten Startplatz bestraft. Der neunfache Weltmeister ist deshalb vor den Internationalen Sportgerichtshof (CAS) gezogen, er ist mit seinem Einspruch abgeblitzt. Beirer hat ein persönliches Urteil gefällt, es deckt sich mit dem offiziellen. "Unschön für den Sport, aber die Strafe ist gerechtfertigt. Der Schnellste soll gewinnen, nicht der Brutalste", sagt der 43-jährige Deutsche. "Ansonsten haben wir bald lebensgefährliche Unfälle en masse."

Komplett in Eigenregie

2017 wird KTM in die MotoGP einsteigen. Neuerlich. Vor zwölf Jahren hatte KTM als Motorenlieferant für das amerikanische Team Roberts einen ersten Anlauf unternommen, sich aber nach wenigen Monaten wegen finanzieller Differenzen mit dem Eigentümer wieder zurückgezogen. Diesmal soll alles anders werden. Der Rennstall steht bereits, auf dem Red Bull Ring testete der deutsche Alex Hofmann die KTM RC16, das erste komplett in Eigenregie entwickelte MotoGP-Motorrad von KTM. Finanziell wird der Einstieg das teuerste Sport-Engagement in der Firmengeschichte. Ein 265 PS starkes Motorrad der MotoGP-Klasse kostet über 1,5 Millionen Euro, davon gehen allein für das Getriebe 700.000 Euro drauf. Andere Sparten, wie etwa Rallye, sollen darunter nicht leiden. "Unser großes Ziel bleibt der Sieg bei der Rallye Dakar."

Pit Beirer ist Herr über die KTM-Rennabteilung, die sich mittlerweile in Munderfing befindet, rund fünf Kilometer vom KTM-Stammsitz im oberösterreichischen Mattighofen entfernt. Davor waren die verschiedenen Abteilungen (Rallye, Motocross, Enduro etc.) in allen Ecken des Mattighofener Werksgeländes verteilt. KTM geht es nicht schlecht, allein 2013 stieg der Umsatz um satte 23 Prozent auf den Rekordwert von 700 Millionen Euro.

Seit 1974 hat KTM fast ausschließlich im Offroad-Motorradsport mehr als 200 Fahrer- und Marken-Weltmeistertitel gewonnen. Beirer: "Wir haben schon Druck, sind in allen Sparten Weltmeister geworden, wo wir etwas aufgebaut haben. Einen WM-Titel als Ziel auszugeben wäre aber vermessen. Es gibt sechs Hersteller in der MotoGP, darunter die Giganten Honda und Yamaha. An den restlichen Teams wollen wir uns am Anfang orientieren."

Das Leben danach

Beirer, ehemaliger Motocross-Vizeweltmeister, sitzt seit zwölf Jahren im Rollstuhl. Passiert ist es am 8. Juni 2003. Beirer verfehlte beim Großen Preis von Bulgarien in Sewliewo bei hohem Tempo die Spur zu einem Sprunghügel, wurde dreißig Meter durch die Luft geschleudert und landete mit dem Kopf voran in feuchtem Erdreich. "Ich bin dagelegen wie ein nasser Sack, ich wusste sofort, dass ich gelähmt bin." Beirers Glück: Der bulgarische Ministerpräsident war zum Rennen eingeflogen worden, sein Helikopter brachte Beirer ins Militärkrankenhaus nach Sofia. Von dort ging es weiter in die Münchner Unfallklinik Murnau, Beirer kämpfte mit einem Bruch des sechsten Halswirbels und einem Lungenriss sechs Tage lang ums Überleben. Er gewann diesen Kampf, seit 2006 ist er für KTM tätig.

Die Zahl schwerer Unfälle hält sich in der MotoGP-Serie in Grenzen, weil es auf den Strecken ausreichend Sturzräume gibt. Beirer: "Handgelenks- oder Schlüsselbeinbrüche gehören dazu. Man muss die Fahrer aber zur Vernunft zwingen." KTM hält auch nach heimischen Kandidaten Ausschau. "Es kommt bald Weihnachten, man darf sich etwas wünschen", sagt Beirer. "Wir suchen mit Red Bull im Rookies-Cup verzweifelt nach Talenten, derzeit ist keines in Sicht." Man sei dankbar, dass es in der Rallye-Sparte mittlerweile Matthias Walkner gibt. Auf der Straße feierte August Auinger von 1978 bis 1989 fünf WM-Siege in der 125er-Klasse. Den Sprung in die Königsklasse (damals 500 ccm) schaffte er aber nie.

"Ein Tank voll Benzin"

Pit Beirer wird beim Finale vor Ort sein. Einem Könner wie Rossi, sagt er, sei immer alles zuzutrauen. "In der Formel 1 sind hundert Ingenieure damit beschäftigt, das Rennen direkt zu beeinflussen. Beim Motorradrennen bekommt der Fahrer einen Tank voll Benzin, der Rest bleibt ihm überlassen. Es ist ein Kampf Mann gegen Mann. Das fasziniert." (Florian Vetter, 6.11.2015)