Ich wurde auf so vielen Ebenen plötzlich 'fremd' gemacht, dass das Einzige, was noch von meinem Ich übrig blieb, meine Sehnsucht nach dem großelterlichen Haus in Polen war", erzählt Radek Knapp. "Du hast keine Geschichte, weil du, auch wenn du auf der Straße gehst, niemanden siehst, der dich kennt", erinnert sich Dimitré Dinev an seine Erfahrungen in der Fremde. Für Julya Rabinowich bedeutet Ankommen, "dass man, wenn man durch die Straßen einer Stadt geht, diese Straßen so gut kennt wie seine Wohnung, dass man sie blind abgehen kann".

Brigitte Schwens-Harrant, die Feuilletonchefin der Furche, thematisiert die subjektiven und sehr persönlichen Erfahrungen des Auswanderns und Ankommens. In Gesprächen mit Schriftstellern wird äußerst luzide, wie unterschiedlich es sein kann, Sprache und Ort wechseln zu müssen.

Gerade aus der Perspektive der Autoren wird fassbar, wie dünn der Faden des Schicksals sein kann. Dinev reflektiert seine Zeit im Flüchtlingslager Traiskirchen, Anna Kim die Zeit des Kalten Krieges. Ins Blickfeld der Betrachtungen rücken Fragen der Identität, der Nächstenliebe, der Barmherzigkeit, auch der gesellschaftlichen Realitäten mit Ressentiments und Vorurteilen (auf beiden Seiten). Die Dialoge erläutern Begriffe wie Sehnsucht, Heimat, Fremde, Grenzen und Grenzenlosigkeit, Veränderung. "Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, wenn man eine Heimat hat", meint Anna Kim.

Hoffnungsvoller liest sich hingegen das Resümee von Michael Stavaric: "Das Neue ist immer eine Chance." Oder, wie Herta Müller poetisch attestiert: "In jeder Art des Sprechens sitzen andere Augen." (Gregor Auenhammer, 5.11.2015)