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Die US-Sängerin Cassandra Wilson wirkte im Wiener Konzerthaus nicht ganz auf der Höhe ihrer Kunst. Sie ließ die übliche Subtilität des Gesanges vermissen.

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Wien – Cassandra Wilson stand die längste Zeit für edle Vokalkunst, die sich auf die Verfügbarkeit des Nichterlernbaren verlassen konnte. Aus der Tiefe ihrer bluesgetränkten Ästhetik drangen herb-samtige Dunkeltöne, die auch Vertonungen von Speisekarten mit Substanz hätten aufladen können. Wer über solch vokale Grundausstattung verfügte wie die Dame aus Jackson (Mississippi), musste nicht herumbrüllen, Ekstase simulieren oder scatten.

Es genügte ein Ton; es reichte eine gehauchte Linie, und verzaubert war eine gesamte Musiksituation, wie das auch bei Trompeter Miles Davis oder Saxofonist Paul Desmond einst der Fall gewesen war. Es reicht, sich eine Nummer wie Run the Voodoo Down (aus Traveling Miles) zu vergegenwärtigen, um zu sehen, wie eine quasi träumende Fee mit sparsamen Mitteln über brodelndem Jazzrock intime Schwebezustände erzeugt. Dies in Erinnerung zu rufen ist essenziell, da im Wiener Konzerthaus bis zur Zugabe nichts von diesen Qualitäten zu erleben war.

Das Schlagzeug

Zu bezeugen war eher die Simulation des eigenen Stils – doch der Reihe nach: Ein ziemlich breiiger Gesamtsound, der dem Schlagzeug allzu viel Dezibelmacht verlieh, belästigte ohne Unterlass. Neben Bass, Klavier, Schlagzeug und Bassklarinette/Saxofon kam bedauerlicherweise dann auch der Einsatz einer intonatorisch fragwürdigen Geige hinzu.

In solch einer Mainstream-Umgebung zu glänzen ist für jemanden wie Wilson erstens nicht einfach, da der Stil, den sie praktiziert, auf origineller Dekonstruktion von Melodien basiert. Zweitens schien Wilson aus einer hauchenden Verlegenheit nicht herauszukommen; orientierungslos wirkten die Phrasen, landeten zufällig im Irgendwo. Rätselhaft.

Das Billie Holiday gewidmete Programm torkelte denn auch in der Tonart der Unverbindlichkeit dahin. Seltsam: Steuerte ein Lied so etwas wie einen Höhepunkt an, zog sich Wilson zurück, um der Band das Feld zu überlassen. Seltsam auch ihr minutenlanges Verschwinden mitten im Konzert. Und schließlich seltsam, dass nach einer knappen Stunde alles vorbei war. Immerhin die bluesige Zugabe: Wilson öffnete kurz ihre Stimme, beschenkte mit ein paar dieser magischen, unnachahmlichen Töne.

Zuvor war sie nur ein Schatten ihrer selbst. Hoffentlich nur einen schlechten Abend erwischt. Hoffentlich nicht grundsätzlich das Nichterlernbare, das ihre Stimme ausgezeichnet hat, verloren.

Die Wiener Konzerthaus-Reihe "The Art of Song" wird am 23. November mit der marokkanisch-französischen Künstlerin Hindi Zahra fortgesetzt. (Ljubiša Tošić, 3.11.2015)