"Die Quantenphysik ist die größte Revolution nach der industriellen Revolution", sagt der britische Quantenphysiker Peter Knight. Künftig könnten Atome genutzt werden, um Gehirnfunktionen zu messen.

Foto: Corn

STANDARD: Welche technischen Errungenschaften hat die Entwicklung der Quantenphysik gebracht?

Knight: Als sich die Quantenphysik in den 1920ern zu entwickeln begann, führte das zu einer ersten Revolution an Technologien: Laser, Transistoren, Halbleiter – unsere gesamte moderne Elektronik basiert auf Quantenphysik. Sie hat unser Leben revolutioniert und auch, wie wir die Natur sehen. Das ist die größte Revolution nach der industriellen Revolution, die die Welt mechanisiert hat. Was das 20. Jahrhundert gebracht hat, war, Wege zu finden, zu kommunizieren, zu interagieren, zu informieren – das wird durch die Quantenphysik ermöglicht, indem man Nutzen daraus zieht, dass Energie quantisiert ist.

STANDARD: Welche weiteren Eigenschaften der Quantenphysik lassen sich praktisch nutzbar machen?

Knight: Seit den 1950ern ist eine zweite Quantenrevolution in Gange. Dabei werden Superpositionszustände ausgenützt. Das sind Überlagerungen von Zuständen, die merkwürdige Eigenschaften haben. Eine der Technologien, die daraus entstehen, verändert schon jetzt unsere Welt: GPS. Dieses ist nur durch Atomuhren möglich, die wie ein atomisches Pendel funktionieren. Das ist eine extrem genaue Methode, Zeit zu messen.

STANDARD: Gibt es weitere Anwendungsbereiche von GPS?

Knight: Ein relativ hoher Anteil des Weltmarktes ist von GPS abhängig, und auch Flugzeuge können nur mithilfe von GPS navigiert werden. Wie abhängig wir von GPS sind, sehen wir, wenn das System sabotiert wird. Vor einigen Jahren hat ein Lastwagenfahrer in New York sich ein GPS-Störgerät gekauft, um seinem Arbeitgeber zu verbergen, dass er seine Freundin besuchte. Sobald er das Gerät verwendete, konnten für Stunden am nahegelegenen Flughafen keine Flugzeuge landen – und das in New York.

STANDARD: Inwiefern könnten Atomuhren auch an den Finanzmärkten eine Rolle spielen?

Knight: An den Finanzmärkten wird ein hoher Anteil der Transaktionen automatisch abgewickelt. Computer generieren Mikrogeschäfte, die in einer Mikrosekunde oder weniger stattfinden – mehr als die Hälfte der Geschäfte an der New Yorker und der Londoner Börse werden so abgewickelt. Das erfordert eine extrem genaue Zeitbestimmung. Bei einem Flashcrash an der New Yorker Börse 2010 kam es zu großen Verlusten, weil die Zeitmessung nicht ausreichend genau war. Niemand hätte je gedacht, dass sie einmal Recht und Ordnung ins Börsengeschäft bringen kann. Ich denke, dass das passieren wird.

STANDARD: Auch die Verschränkung spielt eine wichtige Rolle bei Anwendungen – warum?

Knight: Verschränkte Teilchen sind über Entfernungen in Raum und Zeit korreliert. In der Quantenkryptografie wird das ausgenutzt, um sichere Informationsübertragung zu ermöglichen. Österreich ist eines der weltweit führenden Zentren in diesem Bereich. Ich vergleiche Verschränkung gerne mit Monogamie: Wenn man zwei Partner hat, die miteinander verschränkt sind, können sie nicht gleichzeitig mit jemand anderem verschränkt sein. Dadurch können wir sichere Informationsübertragung garantieren.

STANDARD: Der Versuch, einen Quantencomputer zu bauen, scheitert bisher daran, dass die Überlagerungszustände sehr fragil sind. Hat das nur Nachteile oder auch Anwendungsmöglichkeiten?

Knight: Die Fragilität von Superpositionszuständen kommt daher, dass sie sehr stark mit der Außenwelt interagieren. Das können wir nutzen, um die lokale Umgebung zu messen. Mit Quantensensoren könnte man das lokale elektrische Feld oder vergrabene Infrastruktur wie Wasserleitungen detektieren. Möglicherweise können wir damit bessere bildgebende Verfahren entwickeln. Statt Magnetresonanztomografie könnten wir Atome als Sensoren nutzen, um Gehirnfunktionen zu messen.

STANDARD: Während Ihres Wien-Aufenthalts letzte Woche wohnten Sie in der Pasteurgasse, gegenüber dem Haus, in dem Erwin Schrödinger einige Jahre lebte. Was verbinden Sie mit Schrödinger?

Knight: Schrödinger war einer der führenden Architekten der ersten Quantenrevolution. Was wir heute in Wien sehen, ist Teil seines Erbes: das Interesse an fundamentalen Fragen. Ich habe auch eine persönliche Verbindung zu Schrödinger: Mein Nachfolger am Imperial College ist Terry Rudolph, Schrödingers Enkelsohn. Ich bin sehr stolz, dass ich ihn in meine Gruppe bringen konnte. (INTERVIEW: Tanja Traxler, 4.11.2015)