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Australiens David Pocock schaute nach dem Semifinal-Erfolg gegen Argentinien ein bisschen bunt aus der Wäsche. Eine ordentliche Nummer 8 ficht so etwas aber natürlich nicht an.

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Der australische Boulevard arbeitet sich vor dem Finale an Neuseelands Lichtgestalt Richie McCaw ab.

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Wallaby-Leak: Coach Michael Cheika (links) und Scrum-Experte Mario Ledesma wacheln im Abschlusstraining mit ihren Taktik-Notizen.

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Wien/Twickenham – "Es ist eine freundliche Rivalität", sagt Dylan Whiting. Und er meint damit das Verhältnis zwischen den ozeanischen Nachbarn Neuseeland und Australien, bezogen in erster Linie auf das Feld sportlicher Auseinandersetzung. Aber nicht nur. Der Mann kennt sich aus. Schließlich ist er Austro-Kiwi, und – in diesem Zusammenhang besonders relevant – Old Boy der Wiener Rugby-Pioniere vom Vienna Celtic RFC.

Würze wird, wenn schon, von neuseeländischer Seite in die Liaison gemixt. "Wir sind eben das wesentlich kleinere Land", sagt Whiting. Da werden Episoden, die dem entspannteren Großen gerade einmal als Fußnoten erscheinen, schon einmal mit unverhältnismäßiger Relevanz aufgeladen. Australier würden Neuseeländer in erster Linie als diejenigen wahrnehmen, die in ihr Land kommen, um endlich auch in der Zivilisation zu leben. Die Retourkutsche für diesen Untergriff geht so: Während Australien einst von deportierten Kriminellen bevölkert worden wäre, seien die Aufdecker der Missetaten mit einem neuen Leben im "Land der langen weißen Wolke" belohnt worden.

Australier gelten Neuseeländern überdies als laut. Brash, was soviel heißt wie nassforsch, ist, so Whiting, hier das charakterdefinierende Zauberwort. Wäre Neuseeland England, dann wären die Aussies die Amis. Speziell böse: In Wahrheit neuseeländische Prominenz würde von australischer Seite mir nichts dir nichts als deren eigene ausgegeben. Beispiele: der Schauspieler Russel Crowe und die Pop-Band Crowded House.

Das Finale der Richtigen

Das also ist die eigentlich ja doch brisante Lage vor dem Finale der achten Rugby-WM am Samstag in Twickenham (Ankick 17 Uhr). Erstmals stehen einander die ozeanischen Kontrahenten (je zwei Titel) in einem Endspiel gegenüber, der Sieger wird sich Rekord-Weltmeister nennen dürfen.

Die Beobachter sind sich einig: es sind die beiden derzeit stärksten Teams, die sich um den Webb-Ellis-Pokal streiten. Sowohl Kiwis als auch Wallabies haben alle ihre sechs bisherigen Turnierspiele gewonnen, und das zumeist auch noch überzeugend. Was die titelverteidigenden All Blacks betrifft, kann das als beinahe schon selbstverständlich vorausgesetzt werden, so turmhoch thront das Team von Chefcoach Steve Hansen seit Jahren über der Konkurrenz.

Australiens Leistungskurve dagegen überrascht in ihrer stabilen Aufwärtstendenz doch etwas. Gerade ein Jahr ist es her, als die Wallabies auf ihrer Europa-Tournee drei von vier Tests verloren geben mussten und in der Weltrangliste auf Platz sechs abrutschten. Eine Peinlichkeit. Da übernahm Michael Cheika die Geschicke der Auswahl, dem 48-Jährigen Trainer gelang eine Transformation in Rekordzeit. Australien gewann 2015 erstmals (und ungeschlagen) die Rugby Championship, im August bezwang man Neuseeland in Sydney 27:19. Die Bilanz spricht allerdings nach wie vor klar für die All Blacks. Von insgesamt 154 Begegnungen (die erste fand 1903 statt) gingen gerade einmal 42 an die Wallabies, das ergibt eine Erfolgsquote von 29,2 Prozent.

Man kennt sich

Die Gegenseite zu überraschen, wird den Feldherren nicht leicht fallen. Ihre Teams dürften sich auf Augenhöhe gegenüberstehen, ein Ausschlag zu wessen Gunsten auch immer sollte eher spät als früh im Spiel zu erwarten sein. (Kurios: Offenbar deckte der australische Betreuerstab beim Abschlusstraining am Freitag höchstselbst seine hochgeheimen strategischen Überlegungen für das Finale auf, unabsichtlich natürlich.) Die Neuseeländer zeichnet aus, die einfachen Dinge sehr gut zu machen – was alles andere als leicht ist. Individuelle Klasse nahe der Fehlerlosigkeit paart sich mit absoluter Gnadenlosigkeit, wenn es um die Umwandlung von Chancen in Punkte geht. Australien ist die vergleichsweise vielleicht etwas unternehmungslustigere Gruppe, hat sich aber gerade bei Standards am augenfälligsten verbessert. So konnte etwa der Scrum endlich stabilisiert werden. Obwohl Scott Sio für das Finale wieder fit ist, sollten die Vorteile (wie auch beim Lineout) hier aber doch auf Seiten der All Blacks liegen.

Australien vs. Neuseeland: Ein Klassiker in der Rückschau.
World Rugby

Selbstverständlich ebenfalls von Belang: das Duell der Masterminds Dan Carter und Bernard Foley. Während Carter, der das Endspiel 2011 wegen einer Verletzung verpasste, seit vielen Jahren bei den All Blacks die Fäden zieht, war Foley auf der ganz großen Bühne bis vor kurzem ein eher unbeschriebenes Blatt. Dass er dort bestehen kann, bewies der Fly-half im Verlauf des Turniers. Seine größten Momente erlebte er im Gruppenspiel gegen Gastgeber England, in dem von insgesamt 33 australischen Punkten nicht weniger als 28 auf sein Konto gingen. Im engen Viertelfinale gegen Schottland behielt Foley beim entscheidenden Penaltykick die Nerven. Carter wird am Samstag ein letztes Mal das schwarze Trikot überstreifen, seine Karriere als All Black endet.

Die Entscheidung über Wohl und Wehe dürfte am Samstag aber ohnehin im Breakdown fallen. Hier, in der kurzen Phase offenen Spiels nach einem Tackle, werden Bälle gewonnen oder verloren. Hier wird sich weisen, wer die Gestaltungshoheit über das Geschehen erlangt. Die Kräfteverhältnisse in diesem Epizentrum dürften im modernen Rugby den größten Einfluss auf den Ausgang eines Matches haben. Seine Brisanz erfährt es auch deshalb, da die Gefahr einer Regelübertretung besonders zugespitzt präsent ist. Wer in diesen Momenten auf die Spitze getriebener Körperlichkeit sowohl Leidensfähigkeit zeigt als auch kühlen Kopf bewahrt, wird sich am Ende durchsetzen.

Pocock und McCaw

Die Wallabies sind dafür bestens aufgestellt. David Pocock, die Nummer 8, gilt nicht wenigen als der wirkmächtigste Spieler dieser WM. Im Zusammenspiel mit seinen Partnern Michael Hooper und Scott Fardy formt der 27-Jährige die derzeit wohl dominanteste Dritte Reihe. Dumm nur, dass Pococks Widerpart auf den Namen Richie McCaw hört. Neuseelands Kapitän ist die unbestrittene Lichtgestalt im Welt-Rugby – und das schon seit gut zehn Jahren.

McCaw (34), der mit dem Finale ebenfalls seine unvergleichliche internationale Laufbahn (Rekordmann mit 148 Spielen für das Nationalteam) beenden wird, ist mit allen Wassern gewaschen. Keinem anderen gelingt es besser, das Reglement bis an seine Grenzen auszureizen. Mit Jerome Kaino und Kieran Read verfügt er zudem über außergewöhnliche Leutnants. Eine gewaltige Auseinandersetzung steht zu erwarten, die Freundlichkeit dürfte für zumindest 80 Minuten Pause haben.

Bronze an Südafrika

Im freitäglichen Spiel um Platz drei behielt Südafrika gegen Argentinien die Oberhand. Die Springboks setzten sich in Londons Olympiastadion mit 24:13 durch, die etwas zäh verlaufende Partie war bei einem Stand von 16:0 bereits zur Halbzeit entschieden. Den Springboks, die im Vorfeld des Turniers recht offensiv den Titelgewinn als Ziel formuliert hatten, gelang so ein zumindest aktzeptabler Abschluss eines schwierigen Jahres. Mit dem Erfolg gelang sowohl die Revanche für die erste Niederlage gegen die Südamerikaner im August, als auch die Verteidigung des dritten Weltranglisten-Platzes gegen die Herausforderer in Blau-Weiß. Argentinien hatte zwar wie schon im Halbfinale gegen Australien deutlich mehr Ballbesitz (65:35 Prozent), konnte aber daraus erneut kaum Kapital schlagen. (Michael Robausch, 30.10. 2015)