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An Mario Draghi scheiden sich die Geister.

Foto: AP/Roessler

Frankfurt – An Mario Draghi scheiden sich die Geister: Für die einen ist der EZB-Präsident der Held der Euro-Schuldenkrise – für die anderen hält er auf Kosten von Sparern und auf Risiko der Steuerzahler finanziell angeschlagene Banken und Staaten am Leben.

Fakt ist: In der ersten Hälfte seiner achtjährigen Amtszeit als oberster Währungshüter im Euroraum hat der inzwischen 68-Jährige den Instrumentenkasten der Notenbank kräftig ausgedehnt. Manche sagen: überdehnt.

Daran hat sich bis heute nichts geändert: Weil die Konjunktur nicht recht in Schwung kommt und die Verbraucherpreise zuletzt sogar wieder auf Jahressicht sanken, will Draghi nochmals nachlegen. Und zwar schon im Dezember, wie der Italiener Ende Oktober betont hat. Damit habe er die Europäische Zentralbank (EZB) unter Zugzwang gesetzt, kritisiert ING-Diba-Chefökonom Carsten Brzeski: "Draghis Kühnheit hat die EZB in eine Lage manövriert, aus der sie ohne weitere Maßnahmen kaum herauskommen wird."

Noch mehr massive Eingriffe

Damit dürfte die EZB unter Draghi ihre Strategie der massiven Eingriffe in die Märkte weiter ausdehnen. Schon als der Italiener zum 1. November 2011 die Nachfolge von Jean-Claude Trichet antrat, überraschte er mit seiner ersten Amtshandlung: Er senkte den Leitzins auf 1,25 Prozent. Doch damals brannte es im Euroraum lichterloh – und nicht wenige sahen in der EZB die einzige potente Retterin im Kampf gegen Schuldenkrise und Rezession.

Doch das war nur der Anfang einer in Europa beispiellos lockeren Geldpolitik: In den vier Jahren unter Draghi hat die EZB die Zinsen quasi abgeschafft, Strafzinsen für geparktes Geld der Banken eingeführt, die Märkte mit Geld überschwemmt und Griechenlands strauchelnde Banken mit Notkrediten über Wasser gehalten. Seit diesem März pumpt sie Monat für Monat Milliarden in Staatsanleihen und andere Vermögenswerte.

Dass der Währungsraum nicht auseinandergebrochen ist, ist nach Überzeugung vieler Experten aber auch Draghi zu verdanken. Als sich mehrere Euroländer nur noch sehr teuer frisches Geld an den Märkten besorgen konnten, beruhigte der Italiener im Sommer 2012 mit wenigen Worte die zum Zerreißen gespannte Lage: "Die EZB ist bereit, im Rahmen ihres Mandats alles zu tun, was nötig ist, um den Euro zu retten. Und glauben Sie mir: Es wird genug sein."

Wenig später legte die EZB ein Programm auf, um notfalls unbegrenzt Anleihen von Krisenstaaten kaufen zu können. Auch wenn über das sogenannte OMT-Programm keine einzige Anleihe gekauft wurde, rief vor allem dieses Instrument Kritiker auf den Plan. Sie werfen dem früheren Exekutivdirektor der Weltbank und späteren Goldman-Sachs-Investmentbanker vor, die EZB-Befugnisse überdehnt zu haben. Draghi habe Geldpolitik zum Spielball der Regierungen gemacht.

Die Deutsche Bundesbank wetterte, die EZB finanziere mit der Notenpresse Schulden von Ländern, was sie gar nicht dürfe. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann kritisierte: "Wir könnten natürlich mit unbegrenzter Feuerkraft feuern, die Frage ist aber, ob diese unbegrenzte Feuerkraft konsistent ist mit unserem Mandat."

Weidmann gegen Draghi

Ohnehin ist die Fehde Weidmann-Draghi ein Dauerbrenner. Bis heute. Denn trotz der Abschaffung der Zinsen und gigantischer Geldschwemme ist der Preisauftrieb im Euroraum meilenweit vom EZB-Ziel entfernt. Die Notenbank strebt eine Teuerung von knapp unter 2 Prozent an.

Deshalb will der ehemalige Jesuitenschüler Draghi das aktuelle Anleihenkaufprogramm "anpassen" – also verlängern und/oder noch mehr Geld in die Hand nehmen. "Wir haben den Willen und die Fähigkeit zu reagieren, falls dies notwendig ist", sagt Draghi. Bisher geplant ist ein Volumen von rund 1,1 Billionen Euro bis September 2016. Auch eine weitere Verschärfung der Strafzinsen, die Banken zahlen müssen, wenn sie ihr Geld bei der EZB parken, brachte Draghi ins Spiel.

Weidmann stemmt sich gegen eine noch größere Geldschwemme: "Ich rate dazu, nicht in hektischen Aktionismus zu verfallen und jetzt Kurs zu halten", sagte er kürzlich. Hauptgrund für die niedrige Inflation sei der gesunkene Ölpreis – und der entlaste Verbraucher und Unternehmen.

Kampf gegen Windmühlen

Denn ob eine weitere Lockerung der Geldpolitik überhaupt nötig ist, ist umstritten. Schließlich sei die Inflation deshalb so niedrig, weil die Ölpreise gewaltig gesunken sind, sagt auch Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank Gruppe. Und die Konjunktur in der Eurozone sei deshalb schwach, weil die Weltwirtschaft schwach ist: "Die EZB kämpft gegen Windmühlen. Viele Dinge, die Draghi zur Sorge veranlassen, liegen außerhalb des Einflussbereiches der EZB."

Experten der DZ Bank werfen der EZB vor, mit ihrem Anleihenprogramm durch künstlich niedrige Zinsniveaus einen Anreiz für Staaten zu schaffen, ihre Sparpolitik aufzuweichen. Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer mahnt: "Statt die kaum wirksamen Käufe einzustellen, zeichnet sich ab, dass die EZB sie erhöht. All das wird am Ende nicht der Konjunktur helfen, sondern nur den Kursen an den Finanzmärkten." (APA, 30.10.2015)